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[InetBib] Call for Papers: Über Stammbücher schreiben (Wolfenbüttel, 23.-24.03.2023)
- Date: Mon, 14 Feb 2022 12:19:33 +0100
- From: Sven Limbeck via InetBib <inetbib@xxxxxxxxxx>
- Subject: [InetBib] Call for Papers: Über Stammbücher schreiben (Wolfenbüttel, 23.-24.03.2023)
Über Stammbücher schreiben. Stand und Perspektiven der Erschließung und
Erforschung von Freundschaftsbüchern (16.-19. Jahrhundert)
Tagung vom 23.-24. März 2023 an der Herzog August Bibliothek und am
Niedersächsischen Landesarchiv in Wolfenbüttel
Seit den 1980er Jahren werden Stamm- oder Freundschaftsbücher systematisch
tiefenerschlossen und erfreuen sich gesteigerter Forschungsaufmerksamkeit. Eine
epochen- und disziplinenübergreifende Synopse, welche diese Textgattung im
Lichte neuerer Projekte und Erkenntnisse beleuchtet, steht allerdings aus. Die
geplante Tagung will daher Ergebnisse und Perspektiven der Erforschung und
Erschließung von Stammbüchern zusammenzuführen.
Tagungskonzept:
Stamm- oder Freundschaftsbücher entstanden aus dem Bedürfnis Wittenberger
Studenten, eigenhändige Widmungen der Reformatoren zu sammeln, um sich als
deren Schüler kenntlich machen zu können. Im Laufe der Frühen Neuzeit weitete
sich diese Praxis zu Büchern aus, in denen insbesondere Studenten und Adlige
auf Reisen Einträge von Kommilitonen, Professoren, Honoratioren, Machthabern
und sonstigen Bekanntschaften sammelten. Zunehmend führten aber auch Frauen,
Offiziere, Künstler, Musiker, Handwerker und Besitzer von gelehrten Sammlungen
Stammbücher, wobei in Form und Inhalt der Einträge jeweils eine gruppen- oder
milieuspezifische Praxis zum Tragen kommt. Die vielsprachigen, oftmals
kunstvoll ausgestalteten und reich illustrierten Freundschaftsalben wurden zu
selbstrepräsentativen und memorialen Zwecken angelegt, sollten aber auch
Beziehungsnetzwerke veranschaulichen und als Empfehlungsschreiben dienen.
Die Erschließung und Bereitstellung von Stammbüchern ist komplex und
zeitintensiv. Ihre Strukturierung in einzelne Notate verlangt eine aufwendige
Einzelblatterschließung, idealerweise angereichert mit Normdaten. Der
technische Fortschritt eröffnet neue Möglichkeiten: Wurde früher eine
Faksimile-Edition favorisiert, um ikonografische Eigenheiten abzubilden, bietet
sich heute eine vollständige Digitalisierung an. Durch Text- und
Bilderkennungsprogramme stehen zudem neue Ansätze der Erschließung zur
Verfügung. Ein spartenübergreifender Austausch zur Erschließung und
Bereitstellung von Stammbüchern hat in Hinblick auf diese Möglichkeiten und
Anforderungen bislang aber noch nicht stattgefunden, da Stammbücher vornehmlich
von Bibliotheken erschlossen werden, obwohl sie in großer Zahl auch in Archiven
und Museen zu finden sind. Letztere Einrichtungen haben den
Freundschaftsbüchern bisher verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit geschenkt und
bis dato weder eigene Erschließungsstandards erarbeitet, noch ihre spezifischen
Arbeitsweisen und ihr institutionelles Potenzial in die Fachdiskussion
miteingebracht. Gerade die Relation zu Archivgut sowie die Querverbindungen zu
dort verwahrten Quellengattungen und Beständen können aber völlig neue Zugänge
zum Verständnis und der Ausdeutung von Freundschaftsbüchern schaffen.
Ihre komplexe Deutungsoffenheit, ihr hoher Quellenwert und ihre visuelle
Attraktivität haben die Stammbücher seit dem späten 19. Jahrhundert zu einem
vielbeachteten Untersuchungsgegenstand avancieren lassen. Seit den 1980er
Jahren ist eine bislang ungebrochene Forschungskonjunktur festzustellen, die
sich ebenso in einer breiten Erschließung der vorhandenen Bestände
manifestiert, wie sie umgekehrt von dieser befördert wird. Die Anlage von
Datenbanken und die fortschreitende Digitalisierung von Freundschaftsbüchern
ermöglichen der Forschung inzwischen einen breiten Zugriff auf das Material.
Gleichwohl werden die Stammbücher noch allzu selten vertieft ausgewertet und in
Relation zu anderen Quellengattungen gesetzt. An prinzipiellem Interesse
mangelt es dabei nicht: Stammbücher stehen zwischen den traditionellen
Fächerkanones verschiedener Wissenschaftsdisziplinen, ihre Erforschung
konstituiert ein transdisziplinäres Arbeitsfeld. Während sich vorrangig die
Germanistik mit Stammbüchern als literarischer Gattung sui generis befasst,
nutzen insbesondere die Geschichtswissenschaft, die Theologie, die
Neulatinistik, die Kunstgeschichte, die Musikwissenschaft, die
Medizingeschichte und die Philosophie dieses Sammelmedium als wichtige
historische Quelle. Eine Gesamtschau, die leitlinienhaft Ergebnisse und
Perspektiven dieses heterogenen Forschungsfeldes zusammenführt, steht
allerdings aus. Diese Lücke will die geplante Wolfenbütteler Tagung schließen.
Zudem soll ein Impuls zur weiteren Erschließung und Erforschung dieser
Textgattung gesetzt werden.
Mit der Herzog August Bibliothek (HAB) und dem Niedersächsischen Landesarchiv
(NLA) existieren in Wolfenbüttel zwei Institutionen mit herausragenden
Stammbuchsammlungen, welche beide im Rahmen von DFG-Projekten zeitlich parallel
erschlossen, digitalisiert und beforscht werden. Unter den gut 100
Freundschaftsbüchern der HAB befindet sich mit dem „Großen Stammbuch“ des
Philipp Hainhofer ein eminentes Glanzstück, welches womöglich das bedeutendste
Exemplar der gesamten Gattung markiert. Das NLA verwahrt in der Abteilung
Wolfenbüttel mit über 300 Stammbüchern die größte Sammlung in Niedersachsen,
die zudem mit dem nördlichen Deutschland und der Universität Helmstedt sowie
etwa einer Vielzahl weiblicher Stammbuchhalter besondere Schwerpunkte
aufzuweisen hat. Bei ihrer Erschließung und Digitalisierung handelt es sich um
das erste archivische Projekt seiner Art. Beide Institutionen möchten ihre
Stammbuchsammlungen im Rahmen der Tagung einer Fachöffentlichkeit vorstellen.
Mögliche Fragestellungen:
Entsprechend der doppelten Ausrichtung der Tagung richtet sich die
Ausschreibung gleichermaßen an Vertreter*innen der Wissenschaftsinfrastruktur
(Archive, Bibliotheken, Museen, private Sammlungen), die Stammbücher verwahren
und erschließen, und an Forschende der oben aufgeführten
Wissenschaftsdisziplinen. Mögliche Fragestellungen könnten etwa sein:
Überlieferung, Erschließung und erschließungsgebundene Forschungsperspektiven
1) Provenienz: In welchem Verhältnis steht die private und öffentliche
Überlieferung von Stammbüchern? Welche Intention hatten und haben Sammlungen in
staatlichen Institutionen?
2) Erschließungsstandards und -praxis: Wie werden Stammbücher in Archiven,
Bibliotheken und Museen jeweils erschlossen oder wie sollten sie idealerweise
erschlossen werden?
3) Digitalisierung als Paradigmenwechsel: Welchen Stellenwert nehmen bei der
Erschließung die Digitalisierung, die Anreicherung mit Normdaten und Text- oder
Bilderkennungsprogramme ein?
4) Neue Möglichkeiten der Kooperation: Welche Portale und Austauschformate
eignen sich für Erschließungsdaten von Stammbüchern? Welche Kooperationsformen
zwischen den verschiedenen Zweigen der Wissenschaftsinfrastruktur bieten sich
an?
5) Institutionen und Forschungsperspektiven: Welche Forschungs- und
Deutungsmöglichkeiten erfährt das Stammbuch eingebunden im Archiv und als
archivalische Quelle? Welche als Museumsgut? Wie können Bestände dieser
Einrichtungen umgekehrt der Stammbuchforschung neue Impulse geben?
Bedeutung des Stammbuchs für die wissenschaftliche Forschung
6) Forschungsstand: Welche neueren Forschungsansätze existieren in anderen
Wissenschaftsdisziplinen zum oder unter Rückgriff auf das Stammbuch? Welche
konkreten Forschungsfelder eröffnen die beiden Wolfenbütteler
Stammbuchsammlungen? Welche Forschungsprojekte können an diese anknüpfen?
7) Pragmatik: Welche Rezeption erlangten Stammbücher im privaten und
öffentlichen Umfeld der Stammbuchhalter? Wie wurden sie von ihren Halter*innen
lebenspraktisch verwendet?
8) Form- und Mediengeschichte des Stammbuchs: Welche zeitgenössischen
Begrifflichkeiten wurden zur Beschreibung des Stammbuchs verwendet und
wandelten sich diese ggf. im Laufe der Jahrhunderte? Wie lässt sich die mediale
Hybridität des Stammbuchs beschreiben (Diversität der Notationsformen Text,
Bild und Musiknotation; Mit-, In- und Gegeneinander von Handschrift und Druck;
Diversität der Materialität etc.). Lassen sich die einzelnen Subgattungen des
Stammbuchs, etwa unter Rückgriff auf archivalische Quellen, genauer bestimmen?
9) Stammbücher als historische Quellen: Welche Bedeutung erlangen die in den
Stammbüchern greifbaren Netzwerke jenseits der Freundschaftsbücher? Welche
biographischen Informationen teilen Stammbücher über deren Halter*innen und
ihre Einträger*innen mit?
10) Inter- und Transdisziplinarität der Stammbuchforschung: Was ist das
Besondere der Einträge in Stammbüchern aus philologischer, theologischer,
philosophischer, kunsthistorischer oder musikwissenschaftlicher Sicht?
11) Stammbuchforschung unter Genderaspekten: Gibt es gruppen- oder
geschlechtsspezifische Formen der Einträge?
Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch.
Organisatorisches:
Die Tagung wird von zwei Institutionen ausgerichtet und soll folglich
alternierend an zwei Orten in Wolfenbüttel stattfinden. Veranstaltungsort des
ersten Tages, inklusive eines öffentlichen Abendvortrages, ist die Herzog
August Bibliothek, während das Niedersächsische Landesarchiv, Abteilung
Wolfenbüttel, inklusive einer Aus- und Vorstellung der Stammbuchsammlung,
Schauplatz des zweiten Tages sein wird. Auch Dank der finanziellen
Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft können die Veranstalter für
die Kosten von Reise und Unterkunft sowie für die Verpflegung aufkommen. Die
Tagungsbeiträge sollen in der Reihe „Veröffentlichungen des Niedersächsischen
Landesarchivs“ publiziert werden.
Abstracts von max. 3000 Zeichen mit einem kurzen Lebenslauf werden bis zum 31.
März 2022 per-E-Mail erbeten an:
forschung@xxxxxx und Philip.Haas@xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
--
Dr. Sven Limbeck, Stellv. Leiter der Abteilung Handschriften und
Sondersammlungen, Musiksammlung
Herzog August Bibliothek, Lessingplatz 1 38304 Wolfenbüttel Tel. +49 5331
808-123
im Homeoffice +49 5331 703 20 39
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.