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Re: [InetBib] Corona-Krise: Bibliotheken muessten jetzt mehr fuer die Nutzer*innen tun



Lieber Herr Graf,

Bibliothekarinnen und Bibliothekare versuchen in diesen Tagen in Ihren Bibliotheken - so diese noch geöffnet sind - oder von zu Hause ihr Möglichstes, um die Nutzerinnen und Nutzer weiter mit Literatur zu versorgen. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk natürlich auf digitaler Literaturversorgung. Das ist aufgrund von Lizenzbedingungen, Authentifizierungsproblemen, der Knappheit von VPN-Zugängen und vielem anderen, ein mühsames und mitunter frustrierendes Unterfangen.

Konkret im Hinblick auf die Fernleihe: Diese wird zwar in Teilen online abgewickelt, aber im Kern geht es darum, Printbestände Nutzerinnen und Nutzern in anderen Institutionen zugänglich zu machen. Das kann durch den Versand von Büchern erfolgen oder das Einscannen von einzelnen Aufsätzen oder Teilen eines Werkes. Leider können wir - Hintergrund ist ein Streit mit der VG Wort um die Vergütung - nicht elektronisch an den Endnutzer liefern. Vielmehr muss die nehmende Bibliothek die elektronisch übermittelten Scans ausdrucken und stellt diese dann für den Endkunden zur Abholung bereit (und ja das finde ich als Bibliothekar ebenfalls absurd). Da aber immer mehr Bibliotheken schließen, war es leider nur eine Frage der Zeit bis die ersten Bibliotheksverbünde die Fernleihe als Dienstleistung einstellen mussten.

Mit einer elektronische Fernleihe ähnlich der Onleihe in öffentlichen Bibliotheken wird zwar experimentiert. Diese ist aber aufgrund einer fehlenden Schrankenregelung im deutschen Urheberrecht leider von entsprechenden Lizenzen abhängig. Das EuGH-Urteil vom 10.11.2016 C-174/15, das europarechtlich den Weg freimacht, hat die Politik leider bis heute nicht zum Anlass für eine Rechtsänderung genommen. Das rächt sich jetzt.

In aller Regel lizenzieren Einrichtungen hingegen digitale Inhalte nur für die eigenen Nutzerinnen und Nutzer. Anders verhält es sich nur mit Inhalten, die Open Access publiziert wurden und damit jedermann frei zur Verfügung stehen. Zwar gibt es an Open Access durchaus berechtigte Kritik, die aktuelle Situation hebt aber sehr deutlich die Vorteile hervor, die bestehen, wenn wissenschaftliche Informationen ungehindert von Paywalls und Lizenzbedingungen geteilt werden.

Zu Ihren Problemen mit der Anmeldung als neuer Nutzer: Ich kann Ihren Frust gut verstehen und Ihre Argumentation, wonach die Umstände eine Ausnahme nahelegen, klingt von außen betrachtet einleuchtend. Trotzdem halte ich es für wenig hilfreich, einzelne Bibliotheken hier an den Pranger zu stellen. Im Augenblick müssen in den Häusern Geschäftsgänge und Organisationsstrukturen umgestellt werden, dass geht nicht ohne schmerzhaftes Priorisieren und Reibungsverluste. Daher würde ich Sie darum bitten, mit Ihren Bibliotheken in dieser Lage Geduld zu haben. Nutzerinnen oder Nutzer an den Türen einer Bibliothek abweisen zu müssen, ist für Bibliothekarinnen und Bibliothekare nicht weniger schmerzlich als für Sie als Betroffenen.

Mit besten Grüßen

Peter Brettschneider


Am 20.03.2020 um 14:52 schrieb Klaus Graf via InetBib:
Wegen #COVID19de hat der Verbund für Fernleihen den #medizinischen
#Bibliotheken den Online (!) Service abgestellt. Online! #Ärzte
bekommen keine wissenschaftlichen Artikel mehr online (!) geliefert.
Kann das jemand erklären? #coronavirus #Krankenhaus

— Holger Schulze (@HolgerAtSocial) March 19, 2020 [Twitter]

Das Urheberrecht gilt selbstverständlich weiter und die Vorgaben der
Onleihe sind in jedem Fall zu beachten. Und die SLUB Dresden und die
anderen Bibliotheken haben jetzt natürlich anderes zu tun (was?), als
unbürokratisch Online-Zugänge einzuräumen.

Die Direktorin der LB Oldenburg schreibt mir: “Sehr geehrter Herr Graf,

wie Ihnen Frau […] als Benutzungsleiterin der Landesbibliothek
Oldenburg bereits mitgeteilt hat, ist die Landesbibliothek leider bis
voraussichtlich 19.4.20 für den Publikumsverkehr geschlossen.

Der Remote Access auf die lizensierten E-Books der von Ihnen genannten
Verlage ist auf die zugelassenen Nutzerinnen und Nutzer der
Landesbibliothek beschränkt.

Die Zulassung zur Benutzung ist in § 4 der Benutzungsordnung für die
Landesbibliotheken Niedersachsens geregelt:
https://www.lb-oldenburg.de/benutzung/benutzungsordnung.htm#vier

In Satz 2 heißt es u.a.: „Die Benutzung ist erst nach Anmeldung
zulässig. Die Anmeldung ist grundsätzlich persönlich vorzunehmen. Dabei
ist ein gültiger Personalausweis oder Reisepaß vorzulegen.“

In Satz 4 ergänzend: „Die Zulassung zur Benutzung erfolgt durch
Aushändigung des Benutzerausweises, der Eigentum der Bibliothek bleibt
und nicht übertragbar ist.“

Eine Ausnahme von der persönlichen Anmeldung oder eine (auch zeitlich
beschränkte) reine Online-Zulassung sind in der Benutzungsordnung nicht
vorgesehen.

Daher kann die Landesbibliothek Oldenburg während der Schließungszeit
leider keine neuen Nutzerinnen und Nutzer zulassen.

Ich bedauere, Ihrem Wunsch daher nicht entsprechen zu können.”

Ich hatte mich am 13. März zur Nutzung online angemeldet und das per
Mail erläutert, worauf erst am 17.3. eine Antwort kam. Ich wäre schon
längst nach Oldenburg gefahren, wäre meine Frau nicht sehr schwer
krank. Sie hat nicht mehr lange zu leben. Da überlegt man sich längere
Reisen wegen eines Bibliotheksausweises.

Abgesehen davon, dass die Landesbibliothek Oldenburg, die persönlich
alle Benutzer mit deutschem Wohnsitz akzeptiert, die juristische
Bedeutung des Worts “grundsätzlich” nicht kapiert (= es gibt
Ausnahmen), obwohl ich sie darauf hingewiesen hatte, bedeutet das, dass
auch Behinderte, die sich nicht zur Bibliothek schleppen können, keine
Zulassung bekommen. Ich finde das Verhalten der LB Oldenburg in der
derzeitigen Lage absolut empörend und werde dagegen agitieren.

Bildung und Wissenschaft sind zur Stabilisierung der Gesellschaft
angesichts der Ausgangsbeschränkung wichtiger denn je.

Die Bibliotheken müssten in der jetzigen Lage erheblich mehr tun:

* Jeder und jede sollte jetzt die Chance auf einen KOSTENLOSEN
befristeten Zugang zu E-Angeboten von öffentlichen Bibliotheken haben.
Die Bibliotheken müssen jetzt umgehend durch Absprachen dafür sorgen,
dass auch die Nutzer bedient werden, deren Bibliothek keinen oder
keinen kostenlosen Zugang anbietet.

Zur Onleihe: https://archivalia.hypotheses.org/121667

* Wissenschaftliche Bibliotheken sollten eine befristete kostenlose
Online-Registrierung anbieten und ihre Datenbanken für die
Registrierten unabhängig von der Uni-Zugehörigkeit ermöglichen.

Wie die Online-Zugänge der “reinen” Landesbibliotheken (vor allem
Berlin, Hannover, Karlsruhe, München, Oldenburg und Stuttgart) und
einzelne Angebote von Universitätsbibliotheken (Dresden, Erlangen,
Hamburg) zeigen, gibt es keine allgemeine Verweigerung der Verleger.
Zudem würden viele auf Anfrage Entgegenkommen zeigen, wie die bei

https://netbib.hypotheses.org/78636010

aufgelisteten pro-bono-Angebote zeigen (“Vendor love”).

Siehe allgemein zum Remote Access:
https://archivalia.hypotheses.org/103941

* Bibliotheken sollten den Ausfall der Fernleihe im Rahmen ihrer
Kapazitäten durch kostenlose elektronische Lieferdienste (E-Ressourcen
und Scans) für ALLE kompensieren.

* Öffentliche Bibliotheken sollten ihre Träger bitten, für ihren
Sprengel Sharemagazines zu erwerben.

Zum Kreis Heinsberg: https://archivalia.hypotheses.org/121639

Klaus Graf

--
Peter Brettschneider
Universität Konstanz
Kommunikations-, Informations-, Medienzentrum (KIM)
Fachreferent Rechtswissenschaften / Open Science Team (bw2FDM)
+49 7531 88-4787


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.