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[InetBib] Kulturunterschiede, Informatiker, individuelle Beduerfnisse



Hoi,

da bin ich nun doch mal wieder. 

Ich moechte ueber ein Thema schreiben, das mich immer wieder und
eigentlich staendig beschaeftigt.


Wenn jemand das Wort ``Informatiker'' in einem Satz mit
``Stellenausschreibung'' und ``Bibliothek/Archiv'' verwendet,
dann kommt jedesmal in einem der Folgesaetze die Aussage von
nicht genug Geld, das man bieten koenne.

Jedes Mal denke ich mir, dass das sicherlich so stimmt, und doch
auch gleichzeitig voll am eigentlichen Problem vorbei geht.

Ich bin mir sicher, wuerde man gleich viel Geld zahlen, wie fuer
gleichwertige Jobs in der Industrie gezahlt wird, dann wuerde
man die gewuenschten Informatiker auch nicht bekommen. Man
wuerde mehr Informatiker bekommen als derzeit, das schon, aber
das Problem waere noch immer vorhanden.

Geld ist sicher ein Faktor, aber eben nur einer und, aus meiner
Sicht, nicht der wichtigste. Wenn Geld das Wichtigste waere,
dann waere doch niemand mehr Historiker! ;-)


Ein Grossteil der relevanten Arbeitnehmergruppe gehoert derzeit
(vereinfacht gesagt) zur Generation Y. Ihnen ist der Sinn ihrer
Arbeit tendenziell wichtiger als ihr Einkommen.
Gedaechtniseinrichtungen und ueberhaupt der oeffentliche Dienst
haben ein grosses Potenzial an Sinnhaftigkeit (auch wenn das
wenig genutzt wird). Warum sind diese Menschen dann trotzdem
nicht da?

Weil es eben nicht primaer am Geld haengt.

Das Problem auf das Geld abzuwaelzen, enthebt einen nur selbst der
moeglichen Schuld. Am Geld kann man ja nichts machen. Tja, schade.
*schulterzuck*

Viel mehr liegt es aber an der Kultur!


Ich will eine kleine Geschichte erzaehlen, die das Problem gut
zum Ausdruck bringt:

        Zufaellig habe ich mitbekommen, dass ich einen neuen
        Computer bekommen soll. Etwas ueberrascht habe ich
        nachgefragt: ``Warum?'' Daraufhin, mit einen recht
        irritierten Gesichtsausdruck, die Antwort: ``Na, wir
        wollten dir was Gutes tun.''

Meine Sicht dazu:

Warum bekomme ich das nur mit und wurde nicht gefragt? Ich bin
schliesslich erwachsen und muendig und will mich selbst
betreffende Entscheidungen selber treffen! Ausserdem bin ich
als Informatiker sehr gut in der Lage, zu beurteilen, ob mein
Rechner passend ist, oder was daran zu langsam ist, oder ob
ein komplett neuer Rechner Sinn machen wuerde. Warum entscheide
das also nicht ich?

Ich will nichts unterstellen. Fuer mich jedenfalls (und auch
fuer die meisten Informatiker die ich kenne) sind Statussymbole
irrelevant. Von mir aus kann ich gerne den langsamsten Rechner
von allen haben, wenn ich damit produktiv arbeiten kann. In der
Richtung kann man mir also nichts Gutes tun, falls das ein
Hintergedanke war. Im Gegenteil (!), wenn mein Rechner oder
meine Bildschirmflaeche zu sehr als Statussymbol sichtbar
waeren, dann wuerde mich das viel eher in eine unangenehme
Lage bringen.

Richtig demotivieren wuerde mich, wenn ich unnoetigerweise
einen neuen Computer bekomme und das womoeglich dazu fuehrt,
dass mein alter Computer entsorgt wird. Die Vorstellung, was so
ein Gesellschaftsverhalten fuer oekologische Folgen hat! Dazu
will ich sicher nicht beitragen und auch nicht damit verwickelt
werden. Eine komponentenweise Aufruestung (z.B. eine SSD
zusaetzlich zu meiner HDD) waere vielleicht sinnvoll und fuer
mich auch oekologisch vertretbar, ein neuer Rechner wenn der
alte noch gut genug ist, kaum.

Das sind die Dinge, die *mich* beschaeftigen.

Irgendwie kommt es mir immer wieder so vor, wie wenn ich den
anderen vorkomme wie jemand vom Mars. Man guckt mich an, wie
wenn man sich ueberhaupt gar nicht vorstellen koenne, dass
jemand *keinen* neuen Computer haben wollen koennte. ... wie
wenn man sich nicht vorstellen koenne, dass jemand bei
solchen Fragen mitentscheiden wollen koennte. Usw. Wie gesagt,
so kommt es mir vor. Das schliesse ich daraus, dass ich immer
wieder der Allererste bin, der irgendetwas so und so macht
oder sich so und so verhaelt.

... moeglicherweise liegt das daran, dass ich anders *bin*!

Und moeglicherweise bin nicht nur ich anders, sondern fast
alle Informatiker. ... koennte ja sein. Dann koennte es auch
sein, dass ihr einfach ueberhaupt keine Ahnung von unseren
Beduerfnissen habt. (Jedenfalls ist man von meinen immer
wieder sehr ueberrascht.)

Dann waere es womoeglich recht sinnvoll, die Informatiker
mal zu fragen, welche Beduerfnisse sie denn tatsaechlich
haben. Wann habt ihr das eure Informatiker das letzte Mal
gefragt? Gibt es bei euch Jahresgespraeche? Werden da solche
Themen besprochen?

Auch interessant: Wie zeigt ihr euren wertvollsten
Informatikern denn, dass sie euch wichtig sind? Wie macht ihr
das bei euren wertvollsten sonstigen Mitarbeitern (und
Mitarbeiterinnen!)? Ist es auf die gleiche Weise? Wirkt es auf
beide gleich? Wisst ihr, wie es auf sie wirkt?

Wisst ihr, was eure faehigsten Informatiker motiviert
dazubleiben? Wisst ihr, was sie davontreiben wuerde?

Wie geht ihr damit um, dass sie null Aufstiegsmoeglichkeiten
haben, wenn sie rein fachlich arbeiten wollen (was bei
vielen Informatikern der Fall sein duerfte)? Wie geht ihr damit
um, dass sie oft in Aussenbereichen der Organisation verortet
sind und geringere Chancen auf Verbeamtungen haben?

In welcher Weise kommt ihr ihnen entgegen, um sie zu halten?
Man muss sich doch schliesslich in der Mitte treffen, oder?
... oder vielleicht auch eher auf der Seite der Informatiker,
wo man von ihnen, im Vergleich zu ihren sonstigen
Jobmoeglichkeiten, mit Unternehmenskultur und Geld sowieso
schon eine Menge abverlangt.

Nun gut, das Ergebnis kann ja auch sein, dass man nicht
angemessen weit genug entgegen kommen kann oder will, damit
ein fairer Kompromiss entsteht -- mag ja sein -- aber dann
will ich nicht mehr hoeren muessen, dass das Geld schuld
daran sei, dass die Informatiker nicht kommen! (Und
impliziert: dass man daran ja nichts aendern koenne.)


In erster Linie handelt es sich um einen tiefgreifenden
Kulturkonflikt, der, in meiner Erfahrung, nicht als solcher
erkannt und nicht aktiv angegangen wird. Man tut so, als
gaebe es ihn nicht.

Das finde ich sehr schade.


markus


P.S.
Ich schreibe oben von den andersartigen Beduerfnissen der
Informatiker. Das ist natuerlich (!) viel zu kurz geblickt.
Es geht letztlich nicht um Informatiker vs. Bibliothekare/
Archivare, sondern um die Erkenntnis, dass *Menschen*
unterschiedlich sind. In jeder Gruppe kann es diese
Unterschiede geben und man sollte insgesamt im eigenen
Bewusstsein und Handeln darauf reagieren. Im Fall der
Informatiker sind die Unterschiede nur besonders deutlich
sichtbar ... und ich bin nunmal Informatiker und schreibe
von meinen eigenen Erfahrungen.


P.P.S.
Oft zeichne ich in meinen Argumentationen das Bild der
``guten Informatiker''. Ich will an dieser Stelle deutlich
machen, dass die Qualitaet nicht an Abschluessen haengt.
Ich kenne einen Fachinformatiker fuer Systemintegration
(Ausbildungsberuf) ohne Studium, der zu den wertvollsten
Mitarbeitern im Projekt gehoert. Ebenso kenne ich zwei
Personen mit Bachelor (einmal sogar fachfremd), die zu den
besten Entwicklern im Projekt gehoeren. Ich beziehe mich
immer auf die Kenntnisse und Faehigkeiten -- bei denen,
meiner Meinung nach, die Soft-Skills (wie Problemverstaendnis,
Kommunikation, Zusammenarbeit, Egoless Programming, schnelles
Einarbeitenkoennen in neue Themen, usw.) sehr viel wichtiger
sind als Abschluesse. Bezahlt wird aber nach Abschluessen.
Dem faehigen Fachinformatiker koennte man sicherlich genug
Geld bieten, wenn man ihn nach Leistung und nicht nach
Abschluss eingruppieren wuerde ...

Diese Aussagen gelten fuer die Bibliothekar*innen natuerlich
(!) in gleicher Weise. Ihr Abschluss und ihr Beitrag zum
Arbeitserfolg sind auch unabhaengig voneinander!


P.P.P.S.
Ich selber habe natuerlich auch Probleme und Blinde Flecken
mit mir fremden Kulturen. Ich verhalte mich bei weitem nicht
so gut wie ich sollte. Es kann nur gelingen, wenn alle dazu
beitragen.


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