DIENSTAG, 12. SEPTEMBER 2017
MEDIEN
Digitale Demokratie, digitaler Rechtsstaat
Das neue Gesetz gegen Hass im Netz hat seine Berechtigung. Missglückt ist
bislang die rechtliche Absicherung von Urhebern. Da ist noch einiges zu tun.
Von Günter Krings und Ansgar Heveling
Ohne Frage ist das Internet das beherrschende Medium unserer vernetzten
Welt. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Demokratie und
Staatlichkeit? Viele preisen das Internet als basisdemokratisches Medium.
Jedermann kann Informationen ebenso schnell wie unkompliziert beschaffen und
überprüfen. Über Facebook, Twitter und Co. können User Meinungen kundtun und
Gleichgesinnte finden, Kampagnen und Demonstrationen organisieren. Das
Internet hat fraglos Einfluss auf die gesellschaftliche Meinungsbildung und
den demokratischen Prozess. Das ist weder per se schlecht noch falsch.
Dieses digitale gesellschaftliche Leben braucht aber eine rechtsstaatliche
Einhegung und Ordnung.
Für die Kommunikation in digitalen Netzen gelten prinzipiell die gleichen
Regeln, die sich in der analogen Welt bewährt haben. Wir müssen sie nicht
neu erfinden. Digitale Systeme setzen sie schon gar nicht außer Kraft. Gute
Digitalgesetzgebung bewahrt das „gute alte Recht“ durch neue Instrumente und
schützt so die Rechte der Bürgerinnen und Bürger.
Der Deutsche Bundestag hat in der 18. Wahlperiode zahlreiche Gesetze mit
digitalem Bezug verabschiedet. In der letzten Sitzungswoche verabschiedete
er das 3. Telemedien-Änderungsgesetz (W-Lan-Gesetz), das
Urheberrechts-Wissensgesellschaftsgesetz (UrhWissG) und das
Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG).
Erklärter Anlass für die Änderung des Telemediengesetzes ist nach Auffassung
der Bundesregierung die EuGH-Entscheidung aus 2016 in der Rechtssache
McFadden (Az. C-383/14). Der EuGH hat entschieden, dass gewerbliche
W-Lan-Netze verschlüsselt werden müssen, wenn über diese Netze zuvor schon
Urheberrechtsverletzungen begangen worden sind. Die Entwurfsverfasser
befürchteten daraufhin den Rückgang öffentlicher W-Lan-Angebote in
Deutschland. So hat das SPD-geführte Wirtschaftsministerium eine neuerliche
Änderung des TMG vorangetrieben. Das Gesetz stellt nun klar, dass
W-Lan-Angebote „frei“ sein dürfen, das heißt kostenfrei und zugleich „frei
von Einschränkungen“ wie Passwortsicherung oder anderen
Identifizierungsmaßnahmen. Die Betreiber von W-Lan-Hotspots haften nicht
mehr für Rechtsverletzungen, die aus ihrem Netz begangen werden. Das neue
W-Lan-Gesetz setzt damit tragende Rechtsprinzipien außer Kraft und stellt
schutzbedürftige Gruppen im Ergebnis rechtlos.
Aus technischen Gründen können Urheber und Kreative ihre Rechtsverletzer
nicht direkt in Anspruch nehmen. Denn jeder Nutzer eines W-Lan-Netzes tritt
im Internet mit derselben IP-Adresse auf, nämlich der des W-Lan-Betreibers.
Die interne IP-Adresse, die vom W-Lan-Router vergeben wird, kann der
W-Lan-Betreiber dem Täter nicht zuordnen. Sie dient nur der Kommunikation
zwischen Router und Endgerät. Täter sind in der Folge nicht identifizierbar
und damit faktisch nicht haftbar. Die Rechteinhaber sind deshalb auf die
Haftung desjenigen angewiesen, der durch die Bereitstellung eines anonymen
W-Lan-Netzes zur Gefahr beigetragen hat. Die CDU/CSU hat immerhin erreicht,
dass Sicherungsmaßnahmen auf freiwilliger Basis erlaubt und jedem
W-Lan-Betreiber selbst überlassen sind.
Jenseits von urheberrechtlichen Fragen ist das neue W-Lan-Gesetz auch
sicherheitspolitisch bedenklich. Ein Beispiel aus jüngster Zeit, das die
Sinnhaftigkeit von Identifizierung unterstreicht, war der perfide Anschlag
auf den BVB-Mannschaftsbus im April. Die IP-Adresse des passwortgeschützten
Hotel-W-Lans hat die Polizei auf die Spur des Täters geführt.
Wenn eine Leitlinie unseres gesellschaftlichen Miteinanders die offene
Kommunikation und das „Gesicht-Zeigen“ ist, dann gilt dies für die analoge
und die digitale Welt. Erwerber von Prepaid-Handys müssen sich ausweisen und
soziale Netzwerke die Identität anonym agierender Rechtsverletzter
preisgeben. Nur das W-Lan-Gesetz setzt auf absolute Anonymität und schließt
effektiven Rechtsschutz faktisch aus. Ob dieses Gesetz im Lichte der
McFadden-Entscheidung mit dem Europarecht vereinbar ist, steht in Frage.
Rechtspolitisch folgt aus dieser Gesetzgebung für die nächsten Wahlperioden,
mehr achtzugeben auf die Einheit der Rechtsordnung bei vergleichbaren
analogen und digitalen Sachverhalten.
Dass die deutsche Bildungs- und Wissenschaftslandschaft die Chancen der
Digitalisierung nutzt, ist selbstverständlich. Umstritten ist seit Jahren
der Umgang mit den geistigen Schöpfungen der Wissenschaft. Das
Urheberrechts-Wissensgesellschaftsgesetz (UrhWissG) macht einseitig die
Interessen von Universitäten und wissenschaftlichen Bibliotheken zum
Ausgangspunkt des Wissenschafts-Urheberrechts. Universitäten dürfen nun bis
zu fünfzehn Prozent eines Werkes für Forschung und Lehre erlaubnisfrei
nutzen und müssen dafür nur eine Pauschale entrichten. Nur die Höhe der
Pauschale dürfen Universitäten und Verwertungsgesellschaften vertraglich
vereinbaren.
So stellt das Gesetz den Grundgedanken des Urheberrechts auf den Kopf, dass
ein Urheber angemessen am wirtschaftlichen Nutzen seines Werkes zu
beteiligen ist (Paragraph 11 S. 2 UrhG). Bisherige Pauschalen im
Wissenschaftsbereich machen wenig Hoffnung, dass die Pauschale auch nur
annähernd objektiv angemessen sein wird. Gerade von einer
„Wissenschafts“-Gesetzgebung sollte man erwarten können, dass sie sich einer
rationalen Interessenabwägung verpflichtet sieht.
Stattdessen sollen für die gute Sache der Wissenschaft die grundrechtlichen
Positionen von Urhebern und Verlegern im Zweifel weichen. Es lohnt daher der
Kontrollblick auf die Maßstäbe der analogen Welt: Wenn man den Lieferanten
von Bibliotheks-Computern nicht mit dem Hinweis auf den noblen Zweck der
Wissenschaft überzeugen kann, seine Produkte umsonst oder unter Preis zu
liefern, so sollte man das auch nicht von einem Wissenschafts- oder
Zeitungsverlag verlangen. Für den Bildungs- und Wissenschaftsstandort
Deutschland ist eine angemessene und faire Vergütung der geistigen
Wertschöpfung wichtiger Anreiz und Standortfaktor zugleich. Die Kritik an
dem ursprünglichen Entwurf des Justizministers hat immerhin dazu geführt,
dass Presseverlage richtigerweise von der Schrankenregelung ausgenommen
werden.
Statt einer pauschal vergüteten Basisversorgung der Universitäten mit
wissenschaftlichen Publikationen brauchen wir eine moderne
Online-Lizenzierungsplattform. Damit ließen sich die wissenschaftlichen
Beiträge und Publikationen in einem bequemen one-stop-shop individuell und
angemessen vergüten. Im Gegensatz zur gleichmacherischen Pauschale wäre
diese Einzelabrechnung eines: gerecht. Sie würde die tatsächliche
Werknutzung berücksichtigen. Eine solche Plattform zu entwickeln ist
vorrangig Aufgabe der Verlage selbst. Der deutsche Gesetzgeber wird ein
solches Vorhaben aber mit gesetzgeberischen Impulsen unterstützen müssen.
Auf bewährte Rechtsprinzipien hat sich der Gesetzgeber dagegen beim
Netzwerkdurchsetzungsgesetz besonnen. Es verfolgt ein lobenswertes Ziel: die
bessere Durchsetzung von Persönlichkeitsrechten in sozialen Netzwerken.
Hasskriminalität und andere strafbare Äußerungen gefährden unsere freie,
offene und demokratische Gesellschaft. Das nehmen wir als deutsche
Gesellschaft nicht hin. Weder online oder offline.
Das Gesetz stellt deshalb drei Pflichten für die Betreiber von sozialen
Netzwerken auf: Sie müssen ein wirksames Beschwerdemanagement einrichten.
Das heißt, jeder rechtswidrige Inhalt wird in der Regel innerhalb von sieben
Tagen nach Eingang der Beschwerde gelöscht. Bei schwierigeren Fällen darf es
länger dauern, und dem Nutzer kann vorher Gelegenheit zur Stellungnahme
gegeben werden. Zweitens müssen Betreiber halbjährlich öffentlich über ihren
Umgang mit Beschwerden berichten. Drittens muss ein soziales Netzwerk einen
Bevollmächtigten im Inland leicht erkennbar benennen. Von ihm können
Strafverfolgungsbehörden bei Verdacht bestimmter Straftaten Auskunft zur
Identität eines Nutzers verlangen. Private brauchen zusätzlich eine
gerichtliche Anordnung. Die Geldbußen bei ernstlichen Versäumnissen der
Plattformbetreiber sind empfindlich.
Ziel und Ansatz des Gesetzes sind richtig. Wer einen Verkehr eröffnet, der
muss im Rahmen des Zumutbaren alles so einrichten, dass von ihm keine Gefahr
ausgeht. Dass dieses Grundprinzip unserer Rechtsordnung hier hochgehalten
und es in der W-Lan-Novelle konsequent „ausgeblendet“ wurde, entbehrt nicht
einer gewissen Ironie, spricht aber gerade für das
Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Publizisten tragen selbstverständlich die
Verantwortung dafür, keine strafrechtlich relevanten Inhalte zu verbreiten.
Sie können sich auch nicht darauf berufen, nur die Meinung eines anderen zu
veröffentlichen. Es gibt keinen Grund, die Betreiber von Plattformen
grundsätzlich anders zu behandeln und von der Verantwortung freizustellen.
Auch soziale Netzwerke müssen ihre Dienste so anbieten, dass sie auf
(drohende) Rechtsverletzungen effektiv reagieren können.
Die Meinungsfreiheit wird nicht unzulässig beschränkt, wenn das soziale
Netzwerk den fraglichen Beitrag selbständig löscht und nicht eine staatliche
Stelle. Denn bislang sind allein die AGB der Plattformbetreiber und ihre
„Gemeinschaftsstandards“ der Maßstab, nach dem gelöscht wird oder nicht. Vor
dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz war nicht nur die Rechtsdurchsetzung
privatisiert, sondern die Rechtsetzung gleich mit. Der Gesetzgeber konnte
nur darauf hoffen, dass seine Verbotsnormen mit den privaten AGB der
Plattformbetreiber übereinstimmen. Es ist richtig, dass nun wieder
staatliche Gesetze den Verbotsmaßstab bilden. Der jetzige Gesetzentwurf mag
noch nicht der Weisheit letzter Schluss sein und einer Fortentwicklung
harren, aber er ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Die Digitalisierung unserer Demokratie braucht freiheitliche und
rechtsstaatliche Regeln. Der Gesetzgeber muss dabei die Interessen von
Einzelnen und ihre Rechte schützen und in einen Ausgleich bringen mit den
Interessen der Allgemeinheit. Das gelingt beim Telemediengesetz und im
Urheber-Wissensgesellschaftsgesetz deutlich schlechter als im
Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Für eine kohärente Regelung des digitalen
Rechtsstaats braucht es mehr: vor allem das Verständnis, dass die bewährten
Wertentscheidungen unseres Rechts auch in der digitalen Rechtssphäre ihre
Geltung behalten. Die vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers ist es, diese
Grundwerte auch dort zur Entfaltung zu bringen.
Günter Krings (CDU) ist Bundestagsabgeordneter und Parlamentarischer
Staatssekretär im Bundesinnenministerium.
Ansgar Heveling (CDU) ist Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages
und Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Kulturausschuss.
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