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Re: [InetBib] Heute in der FAZ
- Date: Tue, 2 May 2017 0:22:30 +0200
- From: Prof. Dr. Rudi Schmiede via InetBib <inetbib@xxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Heute in der FAZ
Vielen Dank für den Artikel-Hinweis. Leider gibt die digitalisierte Version
nicht den in der gedruckten Zeitung enthaltenen Hinweis auf die Autoren wieder.
Beide sind im FAZ-Feuilleton erprobte Kämpfer für eine konservative
Publikationspolitik - leider unterstützt von dem FAZ-Redakteur Hubert Spiegel -
und spielen dadurch, ohne dass das je thematisiert würde, den Verlagsinteressen
in die Hand. Der eine - Roland Reuß - ist Germanist und Editionsspezialist an
der Universität Heidelberg und hat sich vor allem als Kämpfer für das
individuelle Publikationsrecht bekannt gemacht, indem er Open Access als "Eine
Kriegserklärung an das Buch" (FAZ vom 13.10.2015) diffamiert und sich dadurch
faktisch zum Fürsprecher der Verlage macht (s. etwa sein Interview im
Börsenblatt:
https://www.boersenblatt.net/artikel-interview_mit_roland_reuss_zu_open_access.1163366.html.
Der andere - Volker Rieble - lehrt als konservativer Arbeitsrechtler an der
LMU München und hat sich politisch durch ausgeprägte anti-gewerkschaftliche
Positionen und die Unterstützung von Thilo Sarrazin verortet. Beiden gemeinsam
ist eine Furcht vor der Digitalisierung wissenschaftlicher Texte (sie gehören
zu den Initiatoren des Heidelberger Appells (s.
https://de.wikipedia.org/wiki/Heidelberger_Appell), die sich manchmal - nicht
unberechtigt - gegen Google richtet, als Hauptziel aber die digitale
Zugänglichkeit und Verbreitung von wissenschaftlichen Texten überhaupt
kritisiert, wobei sie Digitalisierung, Open Access und Google-isierung immer
wieder Ineinssetzen. Das Ganze wird noch unterfüttert durch eine - im
Einzelfall sicherlich nicht haltlose - insgesamt aber an Verschwörungstheorien
grenzende Kritik an der Deutschen Forschungsmeinschaft DFG (vgl. etwa
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/kritik-an-der-dfg-die-freie-wissenschaft-ist-bedroht-11497511.html).
Die kämpferischen, gleichwohl in der Wissenschaftswelt randständigen
Einlassungen der beiden streitbaren Professoren unterstützen - aus im Einzelnen
undurchsichtigen und heterogenen Motiven - die grundsätzliche Position der
Verlage, die darauf beruht, sich selbst als die zentralen Wahrnehmenden und
Verteidiger des Urheberrechts der Autoren darzustellen. Dies ist der tragende
Gedanke in der jüngsten Stellungnahme zum Referentenentwurf (s.
https://www.boersenblatt.net/artikel-regierungsentwurf_zum_urheberrechts-wissenschaftsgesellschafts-gesetz.1312081.html).
Die Verlage spielen sich hier (in der Gestalt des Börsenvereins) so auf, als
wären sie die eigentlichen Verteidiger des Urheberrechts. Tatsächlich ist die
Standardpraxis in Verlagsverträgen die der rechtlichen Enteignung der Urheber
durch die Verlage. Ich muss in diesen Verträgen als Autor nicht der Übertragung
des Urheberrechts - das ist nicht veräußerbar -, aber der Übergabe aller
Verwertungsmöglichkeiten aus diesem Urheberrecht an den Verlag zustimmen, sonst
kommt der Vertrag nicht zustande. Die Verlage vertreten mithin mit ihrer
Verteidigung der bisherigen Regelungen im Kern eigene Verwertungsinteressen,
nicht die der Urheber. Sich als deren Interessenvertreter aufzuspielen, ist
interessengeleitete Heuchelei.
Dies gilt auch bei ökonomischer Betrachtung. Sicherlich 90-95% der
wissenschaftlichen Autoren haben keinerlei Revenuen aus ihren Publikationen.
Ich selbst habe - trotz für Fachtexte vergleichsweise hoher Auflagen von 500 -
2.000 Exemplaren - nie einen Cent an Honoraren erhalten. Die vorherrschende
Praxis ist umgekehrt die der Zahlung substantieller Druckkostenzuschüsse als
Vertragsbedingung. Ein leitender Mitarbeiter in einem der großen
Wissenschaftsverlage erklärte mir vor Jahren vertraulich, dass die
Standardkalkulation bei wissenschaftlichen Publikationen so gestaltet sei, dass
durch die Druckkostenzuschüsse die Produktionskosten finanziert würden und dann
die Einnahmen aus der verkauften Auflage den Verlagsgewinn darstellten. Alle
Erfahrungen, die ich selbst und aus dem Kollegenkreis im Laufe der Jahrzehnte
gelernt habe, bestätigen diese Aussage. Ich kann von daher keinerlei Interesse
der Masse der Wissenschaftler an der durch Zugangssperren bewaffneten
Verhinderung des freien Zugangs zu wissenschaftlichen Quellen erkennen.
Ich habe nichts dagegen, dass besonders erfolgreiche Kollegen, die manchmal
sogar zu Bestseller-Autoren arrivieren, aus ihren Publikationen zusätzliches
Einkommen beziehen; insofern ist es folgerichtig, dass etwa Jürgen Habermas den
vom Börsenverein initiierten Appell gegen die im Referentenentwurf
vorgeschlagenen Neuregelungen unterschrieben hat. Man sollte aber diese
Interessenlage nicht mit der der Wissenschaften insgesamt und der Masse der
Autoren verwechseln. Es handelt sich hier um eine verschwindend kleine
Minderheit von Autoren, während die große Masse de facto in
Vertragsverhältnisse der Finanzierung und Subventionierung der großen - oder im
Falle meines Faches - der kleinen und mittelständischen Wissenschaftsverlage
eingebunden ist.
Die vom Börsenverein und von Herrn Ulmer als seinem Sprecher vertretene
Position ist anmaßend. Die Vereinnahmung der Urheberschaft der Autoren ist
usurpatorisch. Die Nutzung in ihren Positionen teils unklarer, teils abseitiger
Argumente wie durch Reuß und Rieble stellt eine Herabwürdigung der
überwältigenden Mehrheit der wissenschaftlich Tätigen dar. Es sollte auch nicht
unerwähnt bleiben, dass sich die - in der Tat ökonomisch bedrängten - vielen
kleinen und mittleren Verlage durch diese Position, wie sie von Herrn Ulmer im
Namen des Börsenvereins vertreten wird, zum Büttel der eigentlichen Profiteure
im Feld der wissenschaftlichen Publikation - also der Großverlage wie Elsevier,
Wiley, Springer etc. - machen. Ihnen gelingt es nach wie vor, mit ihren im
internationalen Vergleich überragenden Profitraten die Publikationsszenerie
ihren Interessen gemäß zu formen. Leider ergibt sich eine deutliche Mehrheit
der publizierenden Wissenschaftler diesem scheinbar unausweichlichen Druck.
Um das klarzustellen: Es geht nicht darum, die produktiven Leistungen der
Verlage und ihre herausgeberischen Dienste zu schmälern; sie müssen auch
ökonomisch entgolten werden. Das kann aber nicht gegen, sondern nur mit Nutzung
der neuen technologischen Möglichkeiten geschehen. In der Verlagspraxis haben
wir derzeit ein breites Feld des Experimentierens in der Kombination von
gedruckten und digitalen Publikationen - in unterschiedlichen Modellen des
green oder golden ways zusammengefasst. Positionen wie die von Reuß und Rieble
sind dem gegenüber ignorant, dogmatisch festgelegt. Eine empirische, die
praktizierte Realität in der Verlagswelt und in der Welt der mittlerweile in
jedem Fach prägenden Realität der informellen Publikation ist deshalb
überfällig; hier könnte sich die DFG wirklich Meriten verdienen. Aber die
zentralen Wissenschaftsorganisationen sind i.d.R. nicht besser als die sie
tragenden Wissenschaftler; und hier kann man sich leider der Erkenntnis nicht
verschließen, dass die Fragen angemessener und der wissenschaftlichen
Kooperation dienender Publikationsformen nach wie vor ein Stiefkind in der
Aufmerksamkeit der führenden Wissenschaftsrepräsentanten und -organisatoren
sind.
Ich selbst stelle meine Publikationen so weit und so rasch wie möglich per open
access zur Verfügung und gehe dabei großzügig mit den privatrechtlichen
Beschränkungen um. Aus jahrelanger Erfahrung kann ich nur betonen, dass die
wissenschaftliche Kommunikation und die Verbreitung unter den Lernenden dadurch
erheblich erleichtert und befruchtet wird. Warum also nicht durch eine die
Grenzen austestende Veröffentlichungspraxis, die dem open access seinen
berechtigten Stellenwert einräumt, der Realität der wissenschaftlichen
Kommunikation Unterstützung erbringen? Dazu gehört selbstverständlich der
offizielle politische Kampf um verbriefte Rechte (wie jetzt die Unterstützung
und Verteidigung des Referentenentwurfs gegen die widerstreitenden ökonomischen
Interessen und ihre Büttel), mindestens aber genauso das individuelle
widerständige Handeln, um die bestehenden Restriktionen zu unterlaufen und
damit die offene und für diese konstitutive Kommunikation in den Wissenschaften
zu fördern.
Sorry, dass dieser Text etwas lang geworden ist, musste mal sein.
Trotz Kälte und Regenwetters einen schönen Start in den Mai!
Rudi Schmiede
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Prof. Dr. Rudi Schmiede
Inst. f. Soziologie / Dpt. of Sociology
Techn. Univ. Darmstadt / Darmstadt University of Technology
Dieburger Str. 203, D-64287 Darmstadt
Tel. +49 6151 717272 Fax +49 6151 781872
http://www.ifs.tu-darmstadt.de/index.php?id=schmiede_00
http://person.yasni.de/rudi+schmiede+161003
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Original message
From: "Oliver Hinte via InetBib"
To: inetbib@xxxxxxxxxx;
Dated: 29.04.2017 14:09:57
Subject: [InetBib] Heute in der FAZ
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Mit freundlichen Grüßen
Oliver Hinte
von unterwegs gesendet
Tippfehler bitte ich zu entschuldigen
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