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Re: [InetBib] Heute in der FAZ



Vielen Dank für den Artikel-Hinweis. Leider gibt die digitalisierte Version 
nicht den in der gedruckten Zeitung enthaltenen Hinweis auf die Autoren wieder. 
Beide sind im FAZ-Feuilleton erprobte Kämpfer für eine konservative 
Publikationspolitik - leider unterstützt von dem FAZ-Redakteur Hubert Spiegel - 
und spielen dadurch, ohne dass das je thematisiert würde, den Verlagsinteressen 
in die Hand. Der eine - Roland Reuß - ist Germanist und Editionsspezialist an 
der Universität Heidelberg und hat sich vor allem als Kämpfer für das 
individuelle Publikationsrecht bekannt gemacht, indem er Open Access als "Eine 
Kriegserklärung an das Buch" (FAZ vom 13.10.2015) diffamiert und sich dadurch 
faktisch zum Fürsprecher der Verlage macht (s. etwa sein Interview im 
Börsenblatt: 
https://www.boersenblatt.net/artikel-interview_mit_roland_reuss_zu_open_access.1163366.html.
 Der andere - Volker Rieble - lehrt als konservativer Arbeitsrechtler an der 
LMU München und hat sich politisch durch ausgeprägte anti-gewerkschaftliche 
Positionen und die Unterstützung von Thilo Sarrazin verortet. Beiden gemeinsam 
ist eine Furcht vor der Digitalisierung wissenschaftlicher Texte (sie gehören 
zu den Initiatoren des Heidelberger Appells (s. 
https://de.wikipedia.org/wiki/Heidelberger_Appell), die sich manchmal - nicht 
unberechtigt - gegen Google richtet, als Hauptziel aber die digitale 
Zugänglichkeit und Verbreitung von wissenschaftlichen Texten überhaupt 
kritisiert, wobei sie Digitalisierung, Open Access und Google-isierung immer 
wieder Ineinssetzen. Das Ganze wird noch unterfüttert durch eine - im 
Einzelfall sicherlich nicht haltlose - insgesamt aber an Verschwörungstheorien 
grenzende Kritik an der Deutschen Forschungsmeinschaft DFG (vgl. etwa 
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/kritik-an-der-dfg-die-freie-wissenschaft-ist-bedroht-11497511.html).

Die kämpferischen, gleichwohl in der Wissenschaftswelt randständigen 
Einlassungen der beiden streitbaren Professoren unterstützen - aus im Einzelnen 
undurchsichtigen und heterogenen Motiven - die grundsätzliche Position der 
Verlage, die darauf beruht, sich selbst als die zentralen Wahrnehmenden und 
Verteidiger des Urheberrechts der Autoren darzustellen. Dies ist der tragende 
Gedanke in der jüngsten Stellungnahme zum Referentenentwurf (s. 
https://www.boersenblatt.net/artikel-regierungsentwurf_zum_urheberrechts-wissenschaftsgesellschafts-gesetz.1312081.html).
 Die Verlage spielen sich hier (in der Gestalt des Börsenvereins) so auf, als 
wären sie die eigentlichen Verteidiger des Urheberrechts. Tatsächlich ist die 
Standardpraxis in Verlagsverträgen die der rechtlichen Enteignung der Urheber 
durch die Verlage. Ich muss in diesen Verträgen als Autor nicht der Übertragung 
des Urheberrechts - das ist nicht veräußerbar -, aber der Übergabe aller 
Verwertungsmöglichkeiten aus diesem Urheberrecht an den Verlag zustimmen, sonst 
kommt der Vertrag nicht zustande. Die Verlage vertreten mithin mit ihrer 
Verteidigung der bisherigen Regelungen im Kern eigene Verwertungsinteressen, 
nicht die der Urheber. Sich als deren Interessenvertreter aufzuspielen, ist 
interessengeleitete Heuchelei.

Dies gilt auch bei ökonomischer Betrachtung. Sicherlich 90-95% der 
wissenschaftlichen Autoren haben keinerlei Revenuen aus ihren Publikationen. 
Ich selbst habe - trotz für Fachtexte vergleichsweise hoher Auflagen von 500 - 
2.000 Exemplaren - nie einen Cent an Honoraren erhalten. Die vorherrschende 
Praxis ist umgekehrt die der Zahlung substantieller Druckkostenzuschüsse als 
Vertragsbedingung. Ein leitender Mitarbeiter in einem der großen 
Wissenschaftsverlage erklärte mir vor Jahren vertraulich, dass die 
Standardkalkulation bei wissenschaftlichen Publikationen so gestaltet sei, dass 
durch die Druckkostenzuschüsse die Produktionskosten finanziert würden und dann 
die Einnahmen aus der verkauften Auflage den Verlagsgewinn darstellten. Alle 
Erfahrungen, die ich selbst und aus dem Kollegenkreis im Laufe der Jahrzehnte 
gelernt habe, bestätigen diese Aussage. Ich kann von daher keinerlei Interesse 
der Masse der Wissenschaftler an der durch Zugangssperren bewaffneten 
Verhinderung des freien Zugangs zu wissenschaftlichen Quellen erkennen.

Ich habe nichts dagegen, dass besonders erfolgreiche Kollegen, die manchmal 
sogar zu Bestseller-Autoren arrivieren, aus ihren Publikationen zusätzliches 
Einkommen beziehen; insofern ist es folgerichtig, dass etwa Jürgen Habermas den 
vom Börsenverein initiierten Appell gegen die im Referentenentwurf 
vorgeschlagenen Neuregelungen unterschrieben hat. Man sollte aber diese 
Interessenlage nicht mit der der Wissenschaften insgesamt und der Masse der 
Autoren verwechseln. Es handelt sich hier um eine verschwindend kleine 
Minderheit von Autoren, während die große Masse de facto in 
Vertragsverhältnisse der Finanzierung und Subventionierung der großen - oder im 
Falle meines Faches - der kleinen und mittelständischen Wissenschaftsverlage 
eingebunden ist.

Die vom Börsenverein und von Herrn Ulmer als seinem Sprecher vertretene 
Position ist anmaßend. Die Vereinnahmung der Urheberschaft der Autoren ist 
usurpatorisch. Die Nutzung in ihren Positionen teils unklarer, teils abseitiger 
Argumente wie durch Reuß und Rieble stellt eine Herabwürdigung der 
überwältigenden Mehrheit der wissenschaftlich Tätigen dar. Es sollte auch nicht 
unerwähnt bleiben, dass sich die - in der Tat ökonomisch bedrängten - vielen 
kleinen und mittleren Verlage durch diese Position, wie sie von Herrn Ulmer im 
Namen des Börsenvereins vertreten wird, zum Büttel der eigentlichen Profiteure 
im Feld der wissenschaftlichen Publikation - also der Großverlage wie Elsevier, 
Wiley, Springer etc. - machen. Ihnen gelingt es nach wie vor, mit ihren im 
internationalen Vergleich überragenden Profitraten die Publikationsszenerie 
ihren Interessen gemäß zu formen. Leider ergibt sich eine deutliche Mehrheit 
der publizierenden Wissenschaftler diesem scheinbar unausweichlichen Druck.

Um das klarzustellen: Es geht nicht darum, die produktiven Leistungen der 
Verlage und ihre herausgeberischen Dienste zu schmälern; sie müssen auch 
ökonomisch entgolten werden. Das kann aber nicht gegen, sondern nur mit Nutzung 
der neuen technologischen Möglichkeiten geschehen. In der Verlagspraxis haben 
wir derzeit ein breites Feld des Experimentierens in der Kombination von 
gedruckten und digitalen Publikationen - in unterschiedlichen Modellen des 
green oder golden ways zusammengefasst. Positionen wie die von Reuß und Rieble 
sind dem gegenüber ignorant, dogmatisch festgelegt. Eine empirische, die 
praktizierte Realität in der Verlagswelt und in der Welt der mittlerweile in 
jedem Fach prägenden Realität der informellen Publikation ist deshalb 
überfällig; hier könnte sich die DFG wirklich Meriten verdienen. Aber die 
zentralen Wissenschaftsorganisationen sind i.d.R. nicht besser als die sie 
tragenden Wissenschaftler; und hier kann man sich leider der Erkenntnis nicht 
verschließen, dass die Fragen angemessener und der wissenschaftlichen 
Kooperation dienender Publikationsformen nach wie vor ein Stiefkind in der 
Aufmerksamkeit der führenden Wissenschaftsrepräsentanten und -organisatoren 
sind.

Ich selbst stelle meine Publikationen so weit und so rasch wie möglich per open 
access zur Verfügung und gehe dabei großzügig mit den privatrechtlichen 
Beschränkungen um. Aus jahrelanger Erfahrung kann ich nur betonen, dass die 
wissenschaftliche Kommunikation und die Verbreitung unter den Lernenden dadurch 
erheblich erleichtert und befruchtet wird. Warum also nicht durch eine die 
Grenzen austestende Veröffentlichungspraxis, die dem open access seinen 
berechtigten Stellenwert einräumt, der Realität der wissenschaftlichen 
Kommunikation Unterstützung erbringen? Dazu gehört selbstverständlich der 
offizielle politische Kampf um verbriefte Rechte (wie jetzt die Unterstützung 
und Verteidigung des Referentenentwurfs gegen die widerstreitenden ökonomischen 
Interessen und ihre Büttel), mindestens aber genauso das individuelle 
widerständige Handeln, um die bestehenden Restriktionen zu unterlaufen und 
damit die offene und für diese konstitutive Kommunikation in den Wissenschaften 
zu fördern.

Sorry, dass dieser Text etwas lang geworden ist, musste mal sein.
Trotz Kälte und Regenwetters einen schönen Start in den Mai!
Rudi Schmiede

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Prof. Dr. Rudi Schmiede 
Inst. f. Soziologie / Dpt. of Sociology 
Techn. Univ. Darmstadt / Darmstadt University of Technology 
Dieburger Str. 203, D-64287 Darmstadt 
Tel. +49 6151 717272 Fax +49 6151 781872
http://www.ifs.tu-darmstadt.de/index.php?id=schmiede_00
http://person.yasni.de/rudi+schmiede+161003
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Original message
From: "Oliver Hinte via InetBib"  
To: inetbib@xxxxxxxxxx; 
Dated: 29.04.2017 14:09:57
Subject: [InetBib] Heute in der FAZ

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Mit freundlichen Grüßen 
Oliver Hinte
von unterwegs gesendet
Tippfehler bitte ich zu entschuldigen 

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