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[InetBib] CfP: Die Bibliothek: Denkräume und Wissensordnungen - 41. Kölner Mediaevistentagung, 10.-14. September 2018
- Date: Mon, 24 Apr 2017 22:01:15 +0200
- From: Franz Fischer via InetBib <inetbib@xxxxxxxxxx>
- Subject: [InetBib] CfP: Die Bibliothek: Denkräume und Wissensordnungen - 41. Kölner Mediaevistentagung, 10.-14. September 2018
Call for Papers (Deadline: 15. August 2017)
41. Kölner Mediaevistentagung, 10.-14. September 2018
Die Bibliothek: Denkräume und Wissensordnungen
Im digitalen Zeitalter scheint uns langsam, aber unaufhaltsam die
Erfahrung dessen zu entgleiten, was einmal eine Bibliothek war: ein
Zugang zu einer beträchtlichen, aber begrenzten Menge an Büchern, die
nur an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit und unter
bestimmten Bedingungen verfügbar waren; eine gewissen Kriterien
unterliegende Sammlung, die einer sinnvollen und feststehenden Ordnung
bedarf, damit dort überhaupt etwas gefunden werden kann. Alle diese
Einschränkungen des unmittelbaren Zugriffs auf jedes beliebige Buch
werden angesichts globaler Suchmaschinen und weit ausgreifender
Suchalgorithmen mehr und mehr aufgehoben. Wie sehr sich dadurch unsere
Lese- und Arbeitsbedingungen praktisch verändern, erfahren wir jeden
Tag. Welche Folgen sich daraus für unsere Konzeptionen des Wissens und
Forschens ergeben, ist jedoch allenfalls erst in vagen Umrissen erkennbar.
Wenn wir also die Bibliothek zum Thema einer Mediaevistentagung machen,
dann geschieht dies in der Absicht, durch die Untersuchung der Frage,
wie sich Bibliotheken in ihren verschiedenen Gestalten und
Erscheinungsformen in die intellektuellen Prozesse und ihre sozialen und
materiellen Bedingungen einfügten und in diese hineinwirkten, auch etwas
Grundsätzliches über das Verhältnis von Bibliothek und Wissen zu
erfahren, das unsere Reflexion über die aktuellen Umbrüche sowie
allgemeiner über die Bedingungen und Mechanismen der Erkenntnis zu
schärfen vermag. Wir betrachten hierzu – gemäß dem Rahmen unserer Tagung
– ein Jahrtausend, in dem Bibliotheken eine bedeutende Rolle für die
Weitergabe des Wissens über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg zukam.
Bibliotheken waren Orte, an denen gedacht und geschrieben, übersetzt und
kopiert wurde.
Denn eine Bibliothek ist nicht bloß eine Ansammlung von Büchern, die auf
ihre Nutzer warten. Bibliotheken sind Räume des Denkens und
Institutionen geordneten Wissens. Sie spiegeln die Fragen ihrer Zeit und
bewahren sie auch für künftige Zeiten. Sie sind demnach privilegierte
Orte der Teilhabe an jenem Wissen, zu dem wir mit unseren Büchern selbst
etwas beitragen. Schon früh wurden die medialen Träger des Wissens an
Orten gesammelt, an denen sie aufbewahrt, studiert und vervielfältigt
werden konnten. Dies waren Archive aller Art und vor allem Bibliotheken.
Diese gewährten und gewähren je nach Größe und Konzeption Zugang zu
einer bestimmten und zugleich begrenzten Menge an medialen Trägern von
Wissen: seien es Schriftrollen, Urkunden, Handschriften oder Bücher,
Mikrofilme oder Datenbanken.
Im Begriff der Bibliothek zeigt sich die Interdependenz von ideeller und
materieller Kultur, die Verflechtung von Wissensgeschichte und
institutionellen Kontextbedingungen. Am Anfang aller großen
Rezeptionsbewegungen stehen Bücher oder Textkorpora. In diesem
Zusammenhang bilden Bibliotheken jene Denkräume, welche die gedanklichen
Entwürfe zum einen widerspiegeln, zum anderen erst eröffnen. So manche
Wissensordnung entspringt bibliothekarischer Praxis, die ihrerseits
wiederum – implizit oder explizit – Ausdruck einer theoretisch
fundierten Wissensordnung sein kann, die sich uns erst über dieses
Praxiswissen erschließt.
Es ergeben sich somit viele Ausgangspunkte für eine interdisziplinäre
Herangehensweise an unser Tagungsthema. Einige Fragen seien im Folgenden
angesprochen, ohne dass ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird.
(i) Zunächst stellt sich die Frage nach dem Entstehen und Vergehen von
Bibliotheken: Wo gibt es sie? Wer besitzt sie? Wer legt sie an? Wie wird
gesammelt? Woher stammen die Bücher? Was sind ihre Preise? Wie
entwickelt sich der Bestand über die Zeit? Wie erfolgt die Aufbewahrung,
die Aufstellung, die Benutzung? Wer sind die Nutzer? Welchen Regeln
unterliegt die Benutzung? Wer überwacht sie und wie? Was tun die Nutzer
unter welchen Umständen mit den Büchern, z.B. lesen, kopieren,
glossieren, beschädigen, stehlen...? Wann und wie werden Kataloge
angelegt? Nach welchen Systemen? Gibt es Punkte, an denen ein bewusster
Umbau einer Bibliothek erfolgt? Aus welchen Gründen? Was sind die Gründe
für den Verlust von Bibliotheken?
(ii) In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wie Bibliotheken
von Zeitgenossen wahrgenommen und beschrieben werden. Mit welchen
Absichten werden sie aufgesucht? Wer ist hierzu befugt? Wem ist der
Zugang verwehrt? Wie gestaltet sich ein Aufenthalt in der Bibliothek?
Gibt es ein Bewusstsein von den spezifischen Eigenschaften einer
bestimmten Bibliothek, Schilderungen des Erlebnisses einer Bibliothek,
ihres Reichtums oder ihrer Lücken?
(iii) Hiermit eng verbunden ist die Imagination einer Bibliothek: Wie
werden Bibliotheken in literarischen Texten und in der Malerei
dargestellt, und zwar einerseits tatsächlich existierende und
andererseits stereotype, erfundene, erträumte? Welche geistigen
Erfahrungen (z.B. Einsicht, Erleuchtung, Bekehrung, Langeweile) werden
mit Bibliotheken verbunden? Was sagt die äußere Gestaltung der
Bibliothek (z.B. Truhe, Lesepulte, Räume, Gebäude) und ihrer Bücher
(z.B. Einbände, Illumination) über ihre Bedeutung und die Vorstellungen
ihrer Besitzer aus? Welche Vorstellungen und Wünsche schließlich prägen
die (verwirklichte oder nicht verwirklichte) Planung einer Bibliothek?
(iv) Bibliotheken als Ensembles von Texten sind nicht notwendig gebunden
an einen bestimmten Ort und an eine konkrete materielle Gestalt. Wir
rekonstruieren ideelle Bibliotheken und erforschen dabei, was ein Autor
gelesen haben mag, welche Quellen einem Leser zur Verfügung gestanden
haben, wie zu einer bestimmten Zeit eine inzwischen verlorene Bibliothek
ausgesehen haben könnte. Das digitale Zeitalter eröffnet zudem völlig
neue Möglichkeiten für die Erschaffung idealer Bibliotheken, die
hinsichtlich ihres Anspruchs auf Vollständigkeit und Präsenz über
historische Vorbilder weit hinausgehen und für die Forschung bisher
nicht gekannte Perspektiven eröffnen. Hierbei erschließt die
Rekonstruktion der Bibliothek eines Autors nicht nur dessen geistigen
Kosmos, sondern vermittelt auch einen Einblick in den Gang seines
Forschens, der Suche nach bestimmten Texten, ihre Auswahl und
Zusammenstellung sowie die wahrgenommenen Lücken, die dann durch die
eigene Produktion ergänzt werden.
(v) Zum Verständnis einer Bibliothek gehören ferner ganz wesentlich die
Klassifizierung, der Lektüreleitfaden, die Leseordnung, das Ausbilden
von Systemen. Nimmt man beispielsweise die aristotelischen und
platonischen Textkorpora (aber nicht nur diese), so sind Bibliothek und
Wissenschaftseinteilung eng miteinander verbunden. Es gibt eine
Bibliothek der scholastischen und der mystischen Theologie, für
Mediziner, Juristen und Astronomen. Auf diese Weise wird zugleich ein
Kanon gebildet, gelehrt, überliefert, gewandelt, ersetzt.
(vi) Darüber hinaus sind Bibliotheken die Grundlage von
Intertextualität. Sie stellen somit Ansprüche an die Kenntnisse der
Leser. Auf welche Weise wird dieses besondere Wissen vermittelt? Gibt es
Kernbestände in Bibliotheken für einen übergreifenden fachlichen
Diskurs? In welchem Umfang beeinflussen Bibliotheken die Lese- und
Zitiergewohnheiten ihrer Nutzer?
(vii) In disziplinärer Hinsicht umspannt das Thema verschiedene
Bereiche, die je nach den betrachteten Bibliothekstypen sowohl getrennt
als auch in möglicher Verbindung auftreten können: Klosterbibliotheken,
Universitätsbibliotheken, Hofbibliotheken, die Bibliotheken von
Professoren (z.B. Amplonius), von Ärzten (z.B. Arnald von Villanova),
von gelehrte Prälaten (z.B. Cusanus), Schriftstellern (z.B. Richard von
Fournival, der u.a. eine Biblionomia verfasste), von Ratsherren,
Rabbinern oder reisenden Scholaren reflektieren die Interessen ihrer
Nutzer und Sammler. Vielfältige Gesichtspunkte ergeben sich durch
Einbeziehung der byzantinischen Kultur, der jüdischen Tradition und der
islamischen Welt mit ihren teils ganz anderen Voraussetzungen, zum
Beispiel der großen Dominanz von Privatbibliotheken.
(viii) Bibliotheken sind von alters her Orte des Medientransfers: von
der Schriftrolle über das Pergament zum Papier, vom Manuskript über den
Buchdruck zum digitalen Speichermedium. Transferprozesse bergen stets
die Gefahr von Verlusten. Nur selten werden Bestände vollständig von
einem Medium in das andere überführt. Bestimmte technische und
gesellschaftliche Veränderungen lassen sich durch das Prisma der
Bibliothek betrachten, etwa die Einführung des Papiers, des Buchdrucks,
der zunehmenden (auch wissenschaftlichen) Literatur in den
Volkssprachen. Wie wird dieser Medienwandel und Medientransfer
thematisiert? Welche Bedeutung hat er für den Bestand einer Bibliothek?
Wie stets strebt die Kölner Mediaevistentagung eine möglichst große
interdisziplinäre Bandbreite an. Daher laden wir Philosophen und
Theologen, Historiker und Philologen, Literatur- und
Kulturwissenschaftler, Kunst- und Wissenschaftshistoriker, etc. ein,
sich mit einer Fragestellung aus ihrem Fachbereich oder mit einer
interdisziplinären Problemstellung an der 41. Kölner Mediaevistentagung
zu beteiligen. Unser Ziel ist es, Sehgewohnheiten in Frage zu stellen
und zu überdenken und so neue Perspektiven zu eröffnen.
Lassen Sie mich mit der Bitte schließen, uns Ihre Themenvorschläge
zusammen mit einem Abstract (ca. 1 Seite) nach Möglichkeit bis zum 15.
August 2017 zuzusenden (thomas-institut(at)uni-koeln.de).
Ganz besonders würde ich mich freuen, Sie im kommenden Jahr zur 41.
Kölner Mediaevistentagung persönlich begrüßen zu können. Bitte leiten
Sie diese Einladung gerne auch an Kolleginnen und Kollegen weiter, die
noch nicht in unserer Adressdatei stehen oder lassen Sie uns die Adresse
möglicher Interessenten zukommen. Herzlichen Dank!
In der Erwartung Ihrer Vorschläge verbleibe ich mit den besten Grüßen
Köln, im März 2017
Andreas Speer
Wissenschaftliche Leitung und Organisation:
Prof. Dr. Andreas Speer (andreas.speer@xxxxxxxxxxxx)
Lars Reuke, M.A. (lreuke1@xxxxxxxxxxxx)
Thomas-Institut der Universität zu Köln
Universitätsstraße 22
D-50923 KÖLN
Tel.: +49/(0)221/470-2309
Fax: +49/(0)221/470-5011
Email: thomas-institut@xxxxxxxxxxxx
www.kmt.uni-koeln.de │ www.thomasinst.uni-koeln.de
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.