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[InetBib] Call for Papers: internationale Tagung "Spuren des Tragischen im Theater der Gegenwart"
- Date: Thu, 6 Apr 2017 12:44:11 +0000
- From: Wera H via InetBib <inetbib@xxxxxxxxxx>
- Subject: [InetBib] Call for Papers: internationale Tagung "Spuren des Tragischen im Theater der Gegenwart"
Internationale Tagung
8. – 10. November 2017, Wien
Spuren des Tragischen im Theater der Gegenwart
veranstaltet vom tfm – Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft
(Universität Wien) in Kooperation mit S:PAM – Studies in Performing Arts and
Media (Ghent University)
Spätestens seitdem Weltwirtschaftskrise, Terrorbekämpfung, Massenflucht und
Migration gravierende globale Herausforderungen darstellen, erweist sich die
von der Theaterwissenschaft bereits seit geraumer Zeit postulierte Wiederkehr
des Tragischen im Theater der Gegenwart (vgl. z.B. Dreyer 2014, Lehmann 2014,
Rokem 2000) als unübersehbar. Mag die inflationäre Bezugnahme auf Aischylos,
Sophokles und Euripides auf den ersten Blick erstaunen, so deutet sie doch auf
ein historisches Phänomen hin: Tragödienbearbeitungen erfreuen sich besonders
in „Zeiten des Verfalls“ (Benjamin 235) großer Beliebtheit. Ebenjenem „Verfall“
scheint aber auch die dramaturgische Partikularität der Fragmentiertheit
geschuldet, die die gegenwärtigen produktiven Rückgriffe auf das Tragische
tendenziell prägt. So zeichnen sich aktuelle Tragödienbearbeitungen häufig
durch einen zersetzenden wiewohl schichtenden Umgang mit den antiken
Referenztexten aus. Zu denken wäre in diesem Zusammenhang etwa an Arbeiten von
Volker Braun (Demos. Die Griechen Die Putzfrauen, 2015), Anne Carson
(Antigonick, 2012), Elfriede Jelinek (jüngst Die Schutzbefohlenen, 2013-2016
und Wut, 2016), Ewald Palmetshofer (die unverheiratete, 2014), Yael Ronen
(Antigone, 2007), Roland Schimmelpfennig (Die Bakchen, 2016) oder Lot Vekemans
(Zus van, 2005). Andererseits stechen Stückentwicklungsprozesse ins Auge, die
sich aus der kombinierenden Befragung unterschiedlicher (historischer)
Tragödienbearbeitungen konstituieren, wie es etwa Produktionen von Felicitas
Brucker (Ödipus, 2015), Romeo Castellucci (Ödipus der Tyrann, 2015), Jan Fabre
(Mount Olympus, 2015), Stephan Kimmig (Ödipus Stadt, 2012), Martin Kušej und
Albert Ostermaier (Phädras Nacht, 2017), Ersan Mondtag (Iphigenie, 2016), René
Pollesch (Bühne frei für Mick Levcik!, 2016) oder ZinA Choi (Iphigenia in
Exile, 2016) tun.
Ausgehend von diesen Beobachtungen fragt die geplante Tagung danach, welche
Spuren das Tragische in gegenwärtigen Theaterproduktionen und -texten
hinterlässt und will den ästhetischen Verfahren nachgehen, die auf
inszenatorischer und textproduktiver Ebene damit einhergehen. Nimmt man mit
Walter Benjamin an, dass jede „Fortschreibung“ der Tragödie dem geschichtlichen
(Tradierungs-)Kontinuum entspringt (vgl. Benjamin 226), so wäre danach zu
fragen, welchen Geschichtsbegriff die rezent auszumachende Wiederkehr des
Tragischen postuliert und welche politischen Implikationen sich daraus ergeben.
Angedacht ist eine Auseinandersetzung mit (u.a.) folgenden Fragen: Wie wird
Tragödie aktuell im Theater(-Text) gedacht? Wie verhält sich dieses Verständnis
zu den drei fundamentalen Tragödientheorien, die die europäische Philosophie
hervorgebracht hat, bzw. zu den Prozessmodellen der Teleologie (Aristoteles),
der Dialektik (Hegel) und des Zyklus (Nietzsche), denen sie verpflichtet sind
(vgl. Ette 87)? Ist der Begriff des Postdramatischen für die Beschreibung der
gegenwärtig auszumachenden künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem
Tragischen ausreichend oder bietet es sich an, weitere Konzepte dafür fruchtbar
zu machen – etwa die Gedankenfigur einer „Zeit von Koexistenz“, die Ulrike Haß
in Anlehnung an Gilles Deleuze und Félix Guattari für die Analyse von Texten
vorschlägt, die an vergangene Theatertraditionen andocken (vgl. Haß 121 ff.)?
Wie verhalten sich die gegenwärtigen Tragödien-Befragungen zum „Gestus einer
allegorischen Zertrümmerung des antiken Vorbilds“ (Primavesi 155), der den
Tragödienfragmenten Hölderlins, Kleists und Büchners eingeschrieben ist? Wie
gehen das Theater und die dafür entstehenden Texte in der Nachfolge Einar
Schleefs ganz aktuell mit der „verschütteten Geschichte des Chors“ (Heeg 394)
um und welche Rückschlüsse lassen sich daraus hinsichtlich eines Denkens von
Gemeinschaft und Individuum ableiten? Wie wirkt sich die gegenseitige
Einflussnahme von performativer Praxis und philosophischer Theorie in Hinblick
auf den Tragödienbegriff aus?
Die interdisziplinär ausgerichtete Tagung adressiert TheoretikerInnen und
PraktikerInnen aus dem Bereich der Darstellenden Künste sowie Geistes- und
SozialwissenschafterInnen (Theater- und (vergleichende) Literaturwissenschaft,
Klassische Philologie, Philosophie, Gender Studies etc.). Konferenzsprachen
sind Deutsch und Englisch.
Es wird um Themenvorschläge in Form von Abstracts mit einem Umfang von max. 400
Wörtern nebst Kurzbiografie gebeten, die bis 31. Mai 2017 an
silke.felber@xxxxxxxxxxxx zu übermitteln sind. Die Verständigung über
angenommene Beiträge erfolgt bis Ende Juni. Eine Publikation (peer reviewed)
der Tagungsbeiträge ist vorgesehen.
Keynotes
Ulrike Haß (Ruhr-Universität Bochum)
Hans-Thies Lehmann (Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt)
Freddie Rokem (Tel Aviv University)
Konzept
Silke Felber (Universität Wien), Charlotte Gruber (Ghent University)
Literatur
Benjamin, Walter: Ursprung des deutschen Trauerspiels. In: Ders.: Abhandlungen.
Gesammelte Schriften I.1. Hg. v. Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser.
Frankfurt am Main: Suhrkamp 2013 (= suhrkamp wissenschaft 931), S. 203-430.
Dreyer, Matthias: Theater der Zäsur. Antike Tragödie im Theater seit den 1960er
Jahren. Paderborn: Fink 2014.
Ette, Wolfram: Die Tragödie als Medium philosophischer Selbsterkenntnis. In:
Feger, Hans (Hg.): Handbuch Literatur und Philosophie. Stuttgart / Weimar:
Metzler 2012, S. 87-122.
Haß, Ulrike: „Wie ist es möglich, Theater ausschließlich mit Texten
aufzustören?“ E-Mail-Wechsel mit Monika Meister. In: Janke, Pia / Kovacs,
Teresa (Hg.): Postdramatik. Reflexion und Revision. Wien: Praesens 2015, S.
119-128.
Heeg, Günther: Tragik. In: Fischer-Lichte, Erika / Kolesch, Doris / Warstat,
Matthias (Hg.): Metzler Lexikon Theatertheorie. Stuttgart / Weimar: Metzler
2014, S. 388-394.
Lehmann, Hans-Thies: Tragödie und dramatisches Theater. Berlin: Alexander
Verlag 2014.
Primavesi, Patrick: Tragödie, Fragment und Theater. In: Bierl, Anton /
Siegmund, Gerals / Meneghetti, Christoph / Schuster, Clemens (Hg.): Theater des
Fragments. Performative Strategien zwischen Antike und Postmoderne. Bielefeld:
transcript 2009, S. 147-164.
Rokem, Freddie: Performing history. Theatrical representations of the past in
contemporary theatre. Iowa City: University of Iowa Press 2000.
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.