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Re: [InetBib] Bibliotheken könnten mehr für die Public Domain, tun
- Date: Fri, 31 Mar 2017 12:44:40 +0200
- From: "fb.wirtschaftswiss via InetBib" <inetbib@xxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Bibliotheken könnten mehr für die Public Domain, tun
Sehr geehrter Herr Graf,
normalerweise bin ich nur stiller Leser der Liste (wie viele Kolleginnen
und Kollegen), aber dieser Ihrer unzähligen Beiträge nötigt mich doch zu
einer Beteiligung, vor allem weil er viele nicht zusammengehörende Dinge
miteinander verquickt.
Ihrem Betreff "Bibliotheken könnten mehr für die Public Domain tun" kann
man wohl kaum widersprechen.
Ihr fortgesetztes Werben für Internet Archive bzw. Wikimedia Commons
(Wer steckt eigentlich hinter den Foundations? Gilt europäisches
Urheberrecht? Warum ist kein Impressum auf den Seiten? Warum gerade die
beiden?), wird hingegen auch nach zig Wiederholungen nicht viel mehr
Erfolg bringen, da genauso wie jeder Wissenschaftler und jeder Verlag
seine Publikationen unter seiner eigenen Hoheit haben möchte, auch jede
Hochschule den Erfolg Ihrer Wissenschaftler zeigen möchte und deshalb
für Open-Access-Publikationen jeweils ein hochschul-eigenes Repository
erstellt.
Und dass man sich in Zeiten des Internet nicht mehr nur an einer Stelle
Infos holt (früher schlug man einfach im Brockhaus nach ...), sondern
zig verschiedene Suchen eingeben und Links anklicken muss, daran sollte
man sich inzwischen gewöhnt haben.
Sie beschweren sich lautstark, dass die "Frau Professorin H., Direktorin
des landgeschichtlichen Instituts der
traditionsreichen württembergischen Universität in T." (warum schreiben
sie nicht gleich den Namen, ist per Google in 10 Sekunden ohnehin zu
ermitteln?) Sie nicht mit Scans versorgt hat.
Meines Wissens sind auch in T. die Institutsbibliotheken nicht dem
Leihverkehr angeschlossen, mithin nicht verpflichtet, Kopien oder gar
Scans an auswärtige Benutzer zu liefern. Tun sie es dennoch, so
geschieht es auf freiwilliger Basis, so wie wir dies auch gelegentlich
machen.
Auf freiwilliger Basis heißt aber auch, dass ein entsprechender Wunsch
abgelehnt werden darf und das sollte dann von dem Wünschenden auch
akzeptiert werden. Ein Nachtreten, gar so öffentlich wie Sie es in
dieser Liste tun, ist ein absolut unmögliches Verhalten.
Sie schreiben "Etliche Hochschulen bieten ihren Wissenschaftlern eine
Luxusversorgung mit Scans". Haben Sie nachgeprüft, ob dies auch in T.
der Fall ist? Haben Sie sich jemals nach den Gründen hierfür erkundigt?
Ich habe während meiner Ausbildung ein 3-monatiges Praktikum in der
Chemischen Bibliothek der Henkel KGaA (die dem Leihverkehr angeschlossen
war) gemacht. Dort wurden wichtige Chemische Zeitschriften in bis zu 12
Exemplaren bestellt und in verschiedene Umläufe gegeben, weil man
gegengerechnet hat, was es an Zeit (und damit indirekt auch Lohn)
kostet, wenn der hochbezahlte Forscher sich von seinem Arbeitsplatz
erhebt, quer über das Werksgelände in die Bibliothek geht (um dort die
Zeitschrift zu lesen) und wieder zurück geht. Dies wurde dann ins
Verhältnis zu den Abokosten gesetzt.
Genauso wurden eilige Aufsatzkopien (für 20 DM pro Stück) per Fax bei
der TIB Hannover und der ZB Med bestellt, statt eine Fernleihbestellung
aufzugeben. Die waren dann innerhalb weniger Stunden statt Wochen da!
Sie schreiben, "Es ist ein Unding, dass bei Fernleihbestellungen
gemeinfreier Aufsätze (als Kollateralschaden urheberrechtlichen
Beschränkungen) keine elektronischen Versionen geliefert werden".
Fragen Sie mal nach dem Wieso? Weil viele Bibliotheken keine
langwierigen Recherchen betreiben wollen, ob nun ein Artikel
urheberrechtlichen Beschränkungen unterliegt. Sie wollen nicht ermitteln
müssen, wann der letzte beteiligte Autor eines Zeitschriftenartikels
gestorben ist und darauf 70+1 Jahre rechnen.
Also wird einfach generell angenommen, dass eine Publikation dem
Urheberrecht unterliegt und deshalb (derzeit) nur eine Papierkopie
geliefert werden darf.
Wenn es um Mitglieder der eigenen Hochschule geht, ist das Urheberrecht
erheblich einfacher; hochschulintern sind Scans durchaus erlaubt. Also
vergleichen Sie bitte nicht Äpfel mit Kürbissen, nur weil beide rund sind.
Was Ihr Argument "Investieren ehrenamtliche Mitarbeiter freier Projekte
viel Freizeit in freie Inhalte, die der Allgemeinheit ohne jeden Zweifel
erheblich nützen ..." angeht, so ist dies unerheblich, da für eine
Beurteilung, ob eine Bibliothek etwas macht, wozu sie nicht verpflichtet
ist, oder nicht, nicht die Motive und nicht die Person des den Wunsch
Äußernden maßgebend sein können.
Sonst könnte schnell nach dem Motto "Für Herrn K. Graf haben Sie doch
kostenlos Scans gefertigt, warum für mich nicht?" aus der Ausnahme eine
Massengeschäft werden, welches dann schon "im Massengeschäft eines
Luxusdokumentlieferdienstes für die Uni-Mitarbeiter wie in T." wieder
ins Gewicht fallen könnte.
Bezüglich Ihres "Nach wie vor haben es die Bibliotheken nicht geschafft,
meinen in INETBIB gemachten Docster-Vorschlag aus dem Jahr 2001
(wiederholt 2010) zu realisieren, also gemeinfreie Aufsatz-Scans der
Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.", steckt auch hier - meiner
Meinung nach - mehr gekränkte Eitelkeit (wegen Nichtbeachtung Ihrer ach
so genialen Idee) als wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema dahinter.
Einen Zeitschriftenartikel zu scannen und diesen Scan per E-Mail zu
verschicken, geht sehr schnell (max. 15 Minuten).
Diesen Scan dauerhaft aufzuheben, erfordert aber viel mehr:
- 1. einen Server für die Ablage der Scans
- 2. müssen Metadaten zu dem Scan eingegeben werden, damit man ihn
wiederfindet
- 3. eine wie auch immer geartete Datenbank zur Verwaltung der ganzen
Metadaten
- 4. eine dauerhafte Finanzierung für Server, Erfassungspersonal,
IT-Personal und Datenbank
Soll das ganze dann auch noch hochschulübergreifend geschehen, sind
zusätzlich noch Verträge zwischen den beteiligten Einrichtungen
abzuschließen und eventuell muss auch noch ein übergeordnetes
Rechenzentrum oder eine Zentralredaktion eingerichtet und finanziert
werden.
Mit anderen Worten, das geht nicht mal eben so - und im Vergleich auch
zum 15-maligen Scannen des gleichen Aufsatzes, ist es erheblich
aufwändiger und teurer.
Ihren "Bitten", Herr Graf, möchte ich entgegnen:
- Bitten um kostenlose Scans, kann (nicht muss! und auch nicht soll!)
man im Einzelfall erfüllen - auf freiwilliger Basis, sofern es die
eigene Benutzungsordnung (haben Sie die von T. geprüft?) und der Aufwand
zulässt.
- Forderungen nach Erfüllung, sind hingegen völlig unangemessen, da es
sich um eine freiwillige Leistung handelt!
- Die Fernleihe darf durch solche Direktanfragen nicht ausgehebelt werden!
- Ob "Scans gemeinfreier Vorlagen [...], die noch nicht im Netz sind,
[...] diese der Allgemeinheit im Internet zur Verfügung gestellt
werden", müssen Sie schon der erstellenden Einrichtung überlassen, denn
diese hat den Aufwand und ggfs. die Kosten zu tragen!
Markus Heine
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