-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: InetBib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxx] Im Auftrag von Walther
Umstaetter via InetBib
Gesendet: Freitag, 10. März 2017 18:29
An: inetbib@xxxxxxxxxx
Betreff: Re: [InetBib] Grundsatzfragen zur aktuellen Wissenschafts-
Debatte
Liebe Frau Guntermann,
das Problem dass Sie ansprechen, wird ja schon seit Jahrhunderten (s.
Leibniz www.wissenschaftsforschung.de/JB00_179-200.pdf) beklagt. Es ist
aber weniger eine Frage der Publikations „-wut“, als des
Wissenschaftswachstums. Wenn sich sowohl die Zahl an wissenschaftlichen
Publikationen als auch die an Wissenschaftlern seit Jahrhunderten
konstant alle 20 Jahre Verdoppelt, dann produzieren
Wissenschaftler/innen schon immer durchschnittlich eine Publikation pro
Jahr, mit der sie sozusagen belegen, wofür sie im letzten Jahr bezahlt
wurden. Übrigens – da sich die Menschheit nur in etwa 50 Jahren
verdoppelt, kann man ausrechnen, wann es auf dieser Erde nur noch
Wissenschaftler geben wird (www.ib.hu-berlin.de/~wumsta/price14.html).
Eigentlich hätte da die Big Science längst zusammenbrechen müssen, wenn
nicht einerseits die Online-Revolution mit dem Weinberg Report 1963, und
damit die Digitaliseirung, uns gerettet hätte, und andererseits das
Bradford's Law of Scattering uns gezeigt hätte, wie Interdisziplinarität
(www.ib.hu-berlin.de/~wumsta/lectg.html) und Arbeitsteilung in der
Wissenschaft funktioniert. Kürzer gesagt, Wissenschaftler spezialisieren
sich zwangsläufig immer mehr.
Ein wirkliches Problem sehe ich aber darin, dass nun im Open-Access-
Bereich immer mehr Verlage nach zahlungskräftigen Autoren suchen, die
nicht selten dazu gezwungen sind zu zahlen, um im publish-or-perish
nicht zurück zu fallen. Ich bekomme jedenfalls fast täglich Anfragen von
Zeitschriften, die für article publication charges
(APC) Aufsätze einwerben, von denen etliche auch noch hijacked sind.
Ansonsten haben Sie völlig Recht, hier ist etwas aus dem Ruder gelaufen,
weil im Überlebenskampf der Verlage, diese die Bibliotheken im digitalen
Bereich enteignen ließen, und damit war für die Digitale Bibliothek
Schluss mit lustig.
Nach den letzten Diskussionen über den Referentenentwurf zur E-Leihe
habe ich endlich verstanden, warum Bibliotheken E-Books gar nicht
käuflich erwerben können – weil sie kein Kulturgut sind! Anderenfalls
würde ja die reduzierte Mehrwertsteuer gelten. Jetzt müsste man nur noch
klären, ob damit alle elektronischen Dokumente, soweit sie nicht an
einen Informationsträger gebunden sind, zu Schund und Talmi zu rechnen
sind ;-) Man erinnert sich, das war das, wogegen der Schutzverband
deutscher Schriftsteller www.theodor-heuss-haus.de/theodor-
heuss/weimarer-republik/ einst gekämpft hat.
MfG
Walther Umstätter
Am 2017-03-10 16:04, schrieb Oliver Hinte via InetBib:
Liebe Frau Guntermann,
das sind noble Fragen, die Sie stellen, allerdings sehe ich
kurzfristig keine Lösung für diese Themen.
Daher frage ich
mich, ob es nicht sinnvoll wäre, dass die Wissensschaft ihre eigene
Situation dahingehend einmal genauer hinterfragt?
Das Problem der Publiaktionsflut und -wut existiert unstreitig.
Allerdings bemisst sich das Renommee in der Wissenschaft
häufig anhand der Anzahl der veröffentlichen Publikationen. Dies zu
ändern wird schwierig sein.
Ebenso überlege ich, ob nicht auch einige (Wissenschafts-)Verlage,
die von dieser Publikationsflut profitieren, ihre Vorgehensweise im
Hinblick auf "Fairen Handel" überdenken sollten.
Dies bleibt im Verdrängungswettbewerb des Publikationswesens leider
auch nur ein frommer Wunsch.
Und schließlich
Ich denke, dass die genannten Parteien eine Symbiose bilden sollten
und habe aber derzeit das Gefühl, dass es aus dem Ruder läuft.
Da gebe ich Ihnen ebenfalls Recht, allerdings wird dies nur
funktionieren, wenn nicht mit falschen oder unvollständigen
Informationen operiert wird, siehe www.publikationsfreiheit.de
Mit freundlichen Grüßen
Oliver Hinte