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[InetBib] Grundsatzfragen zur aktuellen Wissenschafts-Debatte



Liebe Kolleginnen und Kollegen,

vielleicht darf ich Ihnen an dieser Stelle meine Gedanken zur Situation um die 
Debatte zur Urheberrechtsreform und zum DEAL-Projekt sowie in diesem 
Zusammenhang aufgekommene Grundsatzfragen zur Diskussion stellen, die mich in 
letzter Zeit umtreiben:

In den Diskussionen über die Urheberrechtsreform und das DEAL-Projekt, die man 
an verschiedenen Stellen verfolgen kann, lässt sich erkennen, dass sich die 
Fronten zwischen Verlagen/Buchhandel sowie Wissenschaft/Bibliotheken verhärtet 
haben. Ich finde diesen Zustand sehr bedauerlich. Für meinen Teil (als 
Bibliothekarin einer kleinen wissenschaftlichen Spezialbibliothek) stelle ich 
fest, dass ich teilweise in einzelnen Punkten die Befürchtungen und auch 
Bedürfnisse beider (!) Seiten, die in diesen Diskussionen und in den 
Stellungnahmen zum Referentenentwurf für das UrhWissG angebracht werden, 
nachvollziehen kann.

Meiner Meinung nach ist ein wesentlicher Aspekt bei der gesamten Diskussion die 
Tatsache, dass im wissenschaftlichen Bereich unentwegt eine Vielzahl von 
Publikationen jeglicher Art und Form produziert und veröffentlicht wird. Dies 
geht offenbar einher mit dem Druck, unter dem WissenschaftlerInnen stehen, 
publizieren zu müssen. Hier in unserem Institut hat bereits der eine und die 
andere WissenschaftlerIn seinen/ihren Unmut dahingehend geäußert. Wenn ich 
Literaturvorschläge an sie verschicke, erhalte ich manchmal die scherzhaft 
dargestellte Rückmeldung, "wer das alles lesen soll". Aber durch ein offenes 
Gespräch mit einem Wissenschaftler habe ich erfahren, dass die Situation 
hinsichtlich der Publikationsflut, die sie überblicken müssen, und des Drucks, 
selbst publizieren zu müssen, ein Dilemma zu sein scheint. Daher frage ich 
mich, ob es nicht sinnvoll wäre, dass die Wissensschaft ihre eigene Situation 
dahingehend einmal genauer hinterfragt?

Ebenso überlege ich, ob nicht auch einige (Wissenschafts-)Verlage, die von 
dieser Publikationsflut profitieren, ihre Vorgehensweise im Hinblick auf 
"Fairen Handel" überdenken sollten. Gleichzeitig bestehen auch im 
Bibliotheksbereich womöglich Anforderungen, die wir vielleicht auf gerechte 
Umsetzbarkeit überprüfen sollten? Ich denke, dass die genannten Parteien eine 
Symbiose bilden sollten und habe aber derzeit das Gefühl, dass es aus dem Ruder 
läuft.

Hier im Institut wird sich u.a. mit den Fragen des "gerechten Friedens" und des 
"gerechten Krieges" auseinandergesetzt. Vielleicht sollten wir uns einmal 
ernsthaft mit der Frage der "gerechten Wissenschaft" auseinandersetzen und auch 
ethische Gesichtspunkte bei all den gegenseitigen Anforderungen bedenken?

Freundliche Grüße aus Hamburg
Christine Guntermann

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