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[InetBib] WG: [Inetbib] OT: Weg mit den Büchern! Ball in der NZZ



Liebe Liste,

bei all der Ballschen Polemik gegen das gedruckte Buch amüsiert ein Blick auf 
die Ausleihstatistik "seiner" ETH-Bibliothek durchaus: Denn dort steigen (!) im 
Mehrjahresvergleich die Ausleihzahlen mittlerweile eher, als dass sie sinken 
würden. 
http://e-collection.library.ethz.ch/eserv/eth:24060/eth-24060-16.pdf (S. 29)

freundliche Grüsse
Wolfram Lutterer

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KANTON LUZERN 
Zentral- & Hochschulbibliothek Luzern

Dr. Wolfram Lutterer
Leiter Fachreferate
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wolfram.lutterer@xxxxxxxxxxxx   
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www.zhbluzern.ch  
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-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: InetBib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxx] Im Auftrag von Walther 
Umstaetter
Gesendet: Dienstag, 9. Februar 2016 19:32
An: inetbib@xxxxxxxxxx
Betreff: Re: [InetBib] [Inetbib] OT: Weg mit den Büchern! Ball in der NZZ

Liebe Liste,
Kollege Mummenthaler hat leider Recht: „Rafael Ball ... liefert keine 
konkreten Vorschläge.“
Es ist dagegen beunruhigend, dass man erst so viele provokante 
Halbwahrheiten in die Welt setzen muss, um Aufmerksamkeit zu erlangen.

So ist es zwar richtig, dass “in der Geschichte der Menschheit ja 
unglaublich viel Mist geschrieben und publiziert” wurde. Und natürlich 
steht der “jetzt auch in den Bibliotheken”, damit er im Sinne K. Poppers 
falsifiziert, zumindest nicht wiederholt werden muss. (Man erinnert sich 
beispielsweise an die Diskussion über die kommentierte Ausgabe von Adolf 
Hitlers „Mein Kampf".) Das hat aber nichts damit zu tun, dass “80 
Prozent der Literatur in den Speichern der Bibliotheken ... nie 
ausgeliehen” wird. Außerdem ist diese Behauptung falsch. Es ist zwar 
richtig, dass es die 80 : 20 Regel als Vereinfachung des Bradford`s Law 
of Scattering gibt, und dass Bibliotheken mit etwa 20 % ihres Bestandes 
80 % der Anfragen abdecken können, aber das heißt natürlich nicht, dass 
die restlichen 80 % nie gebraucht würden. In der Pittsburgh Study (1979; 
s. dazu „Lehrbuch des Bibliotheksmanagements“ 2011.  S. 139) wurde auch 
untersucht, dass in sieben Jahren in der Universitätsbibliothek 
Pittsburgh etwa die Hälfte des Freihandbestandes nie ausgeliehen wurde, 
das führte damals im anglo-amerikanischen Sprachraum zu einer heftigen 
Diskussion über die Erwerbungspolitik in Bibliotheken, während man im 
deutschsprachigen Raum davon kaum Kenntnis nahm. Das Ergebnis ist, dass 
viele Quellen in Bibliotheken in erster Linie dazu wichtig sind, zu 
erkennen, was man nicht zu lesen braucht, weil es bessere Quellen gibt. 
Das spart in der Wissenschaft die meiste Zeit und unschätzbar viel Geld.

Die Bibliothekare haben in den letzten Jahrzehnten immer wieder ein 
Bibliothekssterben und auch ein Zeitschriftensterben (das es gar nicht 
gab, weil auf zwei neue Zeitschriften nur eine starb, und weil immer 
mehr elektronische Zeitschriften entstanden), beklagt, regen sich nun 
aber auf, wenn R. Ball Bibliotheken „in ihrer heutigen Form“ eine 
düstere Zukunft vorher sagt. Glaubt irgendjemand ernstlich, dass sich 
Bibliotheken ab morgen nicht mehr weiter modernisieren müssen.

Natürlich war und ist es ein Fehler, den Untergang des Bibliothekswesens 
zu beklagen, anstatt deutlich zu machen, welche Funktionen Bibliotheks- 
und Informationswissenschaftler übernehmen können und müssen. Da darf 
man sich doch nicht wundern, wenn z.B. die Informationswissenschaft in 
Düsseldorf und so manche Bibliothek, die ein veraltetes 
Bibliotheksmanagement betreibt, geschlossen wird. Die Tatsache, dass die 
meisten Bibliotheken heute mehr denn je genutzt werden, zeigt doch, dass 
wir bislang auf dem richtigen Weg der Modernisierung waren – und bleiben 
müssen. Vorausgesetzt, die Juristen enteignen die Bibliotheken im 
Digitalen Raum nicht weiter.

Wenn man das Interview von R. Ball und die Kommentare dazu liest, ist 
unverkennbar, dass wir in Deutschland zu wenig Bibliotheks- und 
Informationswissenschaftler haben. Die Vielzahl an Fehlern in dieser 
Diskussion aufzuzählen würde leider zu weit führen, aber dass 
Bibliotheken, ebenso wie das Internet, der publizierte „Wissensspeicher 
der Menschheit“ ist, steht doch außer Frage, wenn wir erkennen, dass 
Wissen begründete Information ist, und das weiß jeder, der ein Lehrbuch 
genauer studiert hat. Dass dieses Wissen von Menschen nachvollzogen und 
verstanden werden muss, ist eine völlig andere Frage. So wie es auch von 
Expertensystemen (Software) verstanden werden muss, wenn deren 
Inferenzmaschinen damit ihre Entscheidungen treffen sollen. Das geht 
übrigens schon lange nicht mehr auf Papier.

MfG
Walther Umstätter

Am 2016-02-09 08:45, schrieb Mumenthaler Rudolf:
Liebe Liste

Hier noch der Link zu meiner Replik auf das NZZ-Interview mit Rafael
Ball:
http://ruedimumenthaler.ch/2016/02/08/sind-bibliotheken-uberflussig-eine-replik/

Freundliche Grüsse
Rudolf Mumenthaler

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Rudolf Mumenthaler
HTW Chur
Schweizerisches Institut für Informationswissenschaft
Pulvermühlestr. 57, CH-7004 Chur
Tel. +41 (0)81 286 37 19


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