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Re: [InetBib] Europäischer Gerichtshof zur MWSt bei E-Books
Am 2015-03-05 14:56, schrieb Harald Müller:
Frankhttp://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2015-03/cp150030de.pdf
Sehr geehrter Herr Müller, herzlichen Dank für diesen Link!
Ich wäre zunächst nicht auf die Idee gekommen, dass mit der Festlegung:
„Lieferung von Büchern auf jeglichen physischen Trägern“.“ eigentlich
nur gedruckte Bücher gemeint sein könnten.
Die Präzisierung: „physischen Träger (wie einen Computer)“ macht aus
meiner Sicht einerseits deutlich, dass man sich durchaus bewusst ist,
dass auch elektronische Medien „physische Träger“ brauchen. Eigentlich
handelt es sich bei Papier und Druckerfarbe eher um Fragen der Chemie,
aber der Gesetzgeber unterscheidet merkwürdigerweise zwischen
Verwertungsrechten in körperlicher und in unkörperlicher Form, als
könnte Information überhaupt eine körperliche Form annehmen, obwohl
schon seit vielen Jahrzehnten bekannt ist „Information ist Information,
weder Materie noch Energie.“ (N. Wiener). Genau genommen ist sie ein Maß
für Ordnung bzw. Unordnung (Entropie genannt), und mindestens so
fundamental wie Energie und Materie, aber im Gegensatz zu diesen beiden
Größen, dimensionslos, weil wahrscheinlichkeitstheoretisch.
Aber es ist schon richtig, dass Informationsmedien grundsätzlich immer
aus Information und ihrem Informationsträger bestehen. Nur das
Entscheidende bei der Information ist ja gerade, dass sie von einem
Informationsträger auf einen anderen übertragen werden kann, und dass
sich Copyrights grundsätzlich auf die „unkörperlichen“ Informationen
beziehen, und nicht auf die wechselnden Träger, sonst könnten Verlage
als Vervielfältiger diese Rechte gar nicht übernehmen.
Das entscheidende Kriterium soll darum sein, dass „ein solcher Träger
nicht zusammen mit dem Buch geliefert“ wird. Allerdings werden gedruckte
Bücher für Fehlsichtige, auch nicht mit den entsprechenden Lesebrillen
mitgeliefert, auch wenn die sie noch so dringend brauchen, und es
durchaus schon Bücher und Filme mit und ohne mitgelieferten 3D-Brillen
gab. Das klingt zwar nach Haarspalterei, ist es aber nicht, wenn man
sich an die Hochzeit der Microfiche-Lesegeräte erinnert. Dort kam man
auch nicht auf die Idee, ein Microverfilmtes Buch nicht mehr als Buch
anzusehen. Dieses Kriterium scheint mir auf Dauer also wenig tragfähig
zu sein. Da meines Wissens der vergünstigte Mehrwertsteuersatz bei
Büchern bislang damit begründet wurde, dass es sich hier um Kulturgüter
handelt, frage ich mich, ob die kulturelle Evolution bei E-Books
plötzlich daraus verschwunden ist.
Nun habe ich zwar auch gelesen, dass es sich bei E-Books um elektronisch
erbrachte Dienstleistungen und nicht um Bücher handeln soll, nur frage
ich mich, ob es keine elektronisch erbrachte Dienstleistung ist, wenn
ein Computer ein Buch auf Papier oder Microfiches kopiert. Hier scheinen
mir einige Juristen zunehmend eine Welt zu konstruieren, die es in der
Realität immer weniger gibt. Das ist Konstruktivismus aber kein Wissen
;-)
Das entscheidende an einem Buch ist nicht sein Informationsträger
sondern die darin gespeicherte Information. Sie enthält die
urheberrechtliche Schöpfung, und sie kann heute immer rascher,
preiswerter und zuverlässiger redundant gemacht werden. Die Versuche,
dies juristisch zu verhindern, nur um alte Vorstellungen und
Finanzmärkte zu erhalten, erscheint mir auf Dauer eher kontraproduktiv,
und wird Schumpeters schöpferische Zerstörung nicht aufhalten können.
Wir können den Juristen aber keinen Vorwurf machen, wenn zu wenige
Informationsspezialisten sie darauf aufmerksam machen. Und das ist die
eigentliche Krux. Wir haben zu wenige Informationswissenschaftler, so
wie wir immer mehr sogenannte Knowledge Manager haben, denen das
wissenschaftliche Fundamt noch weitgehend fehlt, nur weil es gerade
modern ist, sich "KM" zu nennen.
Interessant ist natürlich auch, dass die Verleger in der Argumentation
für einen verminderten Mehrwertsteuersatz sehr vorsichtig sind, weil
ihnen die Enteignung der Bibliotheken und Leser bei E-Books viel
wichtiger ist, als ein Steuervorteil. Es zeigt aber auch, dass sie
natürlich wissen, dass es widersinnig klingt, dass ein E-Book kein Buch
sondern eine Dienstleistung (bzw. eine Datei) sein soll.
MfG
Walther Umstätter
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