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[InetBib] Weitere Rückmeldungen zum Beitrag "Bibliothekspädagogik reloaded", Beitrag vom 4.11.14



Liebe Kolleginnen und Kollegen,
auch wenn die Diskussion um das Thema schon abgeebbt ist, möchte ich Sie noch an den folgenden Beiträgen teilhaben lassen, die nicht in eine der beiden Listen forumoeb oder inetbib gepostet, sondern direkt an mich gerichtet wurden. Das haben insgesamt 9 weitere Personen getan, darunter auch die Leitung unserer Heimatbibliothek. Diese hat mir freundlich ihre Gründe dargelegt und meine Tochter und mich zu einem Gespräch eingeladen. Diese Einladung habe ich angenommen, allerdings ist es mangels Zeit noch nicht zu diesem Gespräch bekommen. Sechs von diesen neun Personen haben mir erlaubt, ihren Beitrag in anonymisierter Form ins Forum zu stellen. [Eckige Klammern] zeigen Stellen an, die ich zu diesem Zweck gelöscht habe. Ich finde diese Beiträge zu interessant, um sie Ihnen vorzuenthalten, sie runden die Diskussion um einige wichtige Aspekte ab. Zu weiteren Beiträgen sind natürlich alle Foren-Leser herzlich eingeladen.

Wünsche Ihnen schöne und erholsame Feiertage
Martin Spieler


1.
Hallo Herr Spieler,
wir sind ebenfalls eine kleine Bibliothek ([...] EW) und arbeiten auch mit altersabhängigen Ausleihbeschränkungen.
Dies hat zwei Gründe:
a) Für alle unter 18 ist die Nutzung der Stadtbücherei kostenfrei. Wir möchten damit verhindern, dass Erwachsene über den Ausweis der Kinder kostenfrei entleihen. Unsere Jahresgebühr ist [...] zwar äußerst gering, aber selbst dann versuchen es die Leute noch. Traurig, aber wahr. b) Da wir uns in einer kleinen, eher dörflichen Stadt befinden, ist es vielen Nutzern tatsächlich wichtig, dass ihre Kinder nicht alles entleihen können, selbst wenn sie allein zu uns kommen. ABER: Will jemand etwas mitnehmen, was über der Altersfreigabe liegt, bieten wir immer die Möglichkeit, nach Rücksprache mit den Eltern die Altersfreigabe zu ändern [...]. In der Hauptsache bezieht sich die Altersbeschränkung tatsächlich auf Romane, aber auch einige Sachgruppen haben wir "gesperrt", vorausgesetzt, im Jugendsachbuchbestand findet sich entsprechende Literatur. Unsere Benutzungssatzung [...] kann in besonderen Fällen die Ausgabe begrenzen [...] Was ich definitiv bedenklich finde, ist, die Ausleihmöglichkeit von der "individuellen Lesekompetenz" abhängig zu machen, bezeugt von Mitarbeitern der Stadtbücherei. Das führt tatsächlich zu einer Ungleichbehandlung. Für uns hat sich dieses System bewährt, bei allen Nachteilen, die es durchaus hat.


2.
Lieber Herr Spieler,
ich bin sprachlos. Eine solche Praxis ist mir in keiner Bibliothek, die ich benutze und in der ich gearbeitet habe je untergekommen. Ich selbst habe im Alter Ihrer Tochter gelesen, was ich in die Finger bekam und mit spätestens 12 auch die Erwachsenenromanabteilung geplündert. Die Stadtbibliothek in meiner Kleinstadt gehört nicht zu den fortschrittlichsten, aber mich hat nie jemand daran gehindert. (das war vor 15 Jahren und länger) Ich hätte mich wie Sie und Ihre Frau auch nur schwer abhalten lassen mich zu beschweren. In meiner wissenschaftlichen Bibliothek leihen oft Schüler aus. Wir würden nur bei Medien, die explizit erst ab einem bestimmten Alter freigegeben sind, die Ausleihe verweigern. Ich finde Bibliothekare sollten nicht beurteilen, was jemand lesen "darf" und was nicht. Von der Thekenbücherei mit ihrer erzieherischen Mentalität sind wir Gott sei Dank längst entfernt dachte ich immer.


3.
Hallo Herr Spieler,
[...]
Sowohl in der Schulbibliothek als auch in der Ausleihe der Stadtbücherei achte ich darauf, was Kinder entleihen. Weder bei C. Ahern noch beim Hobbit hätte ich bei einer Zwölfjährigen aufgrund des Inhalts eingegriffen*, bei Stephen King allerdings schon**. Ich denke auch durchaus, dass die Auswahl der Lektüre von den individuellen Kompetenzen abhängt, wobei ich weniger die Lesekompetenz als das Verständnis als ausschlaggebenden Faktor betrachte. Das zu beurteilen steht mir aber nicht zu, sondern ist Aufgabe der Eltern / Erziehungsberechtigten.

* Grundsätzlich ist eine Ausleihe von "Erwachsenenliteratur" auf Kinderausweise bei uns nicht gern gesehen, da wir kostenlose Kinderausweise für Bücher anbieten, Erwachsene aber eine Benutzungsgebühr zahlen. Das "Verbot" gründet also eher darin, die Umgehung der Benutzungsgebühren zu vermeiden, wobei das natürlich für interessierte und erfahrene Lese-"Kinder" genauso unschön ist. Da sind wir aber auch bereit, diese Regeln nach individueller Rücksprache anzupassen, s.u. ** Beim "Herrn der Ringe" nicht, das regelt sich durch Umfang und Stil von allein. Ich habe mich da selbst niemals ganz durchgekämpft, spreche also aus Erfahrung.

Nach Möglichkeit würde ich immer versuchen, Rücksprache mit den Eltern zu halten und dann ggf. die "Erweiterung" der ausleihbaren Medien im Konto des Kindes vermerken. In der Schulbibliothek ist das normalerweise auch problemlos umsetzbar (unter Umständen nicht sofort, aber normalerweise zeitnah), in der Stadtbibliothek gestaltet sich das allerdings als schwierig, wenn die Eltern nicht selbst Kunde sind oder sich nicht unbedingt um die Ausleihgewohnheiten des Kindes kümmern (das will ich nun niemandem unterstellen, aber das Kind darum zu bitten, dass die Eltern sich bei der Bibliothek melden und diese Ausleihen "verifizieren" führt nicht unbedingt immer zu einer befriedigenden Lösung. Da dann individuell hinterher zu telefonieren ist in Zeiten von Personalkürzung bei Aufgabenvermehrung aber auch nicht umsetzbar.).

Aus meiner eigenen Erfahrung als "Lese"-Kind kann ich Ihnen versichern, dass es ziemlich ärgerlich ist, wenn einem die viel interessanteren und ansprechenderen Medien aus dem Erwachsenenbereich "verboten" werden. Aus der Erfahrung an der Verbuchungstheke kann ich Ihnen aber ebenso versichern, dass nicht alle Kinder, die die Bibliothek nutzen, auch wissen, was sie ausleihen bzw. einschätzen können, ob ein Titel für sie geeignet ist. Oder mal andersherum: wenn ich bzw. wir an der Verbuchungstheke allen Kindern alles ausleihen würden, was diese in den Regalen finden, dann stehen kurz darauf Eltern auf der Matte, die sich beschweren wollen, dass wir ihren Kindern absolut ungeeignete Literatur ausgeliehen haben. Ich halte das für einen typischen Fall von "Wie man es macht ist es verkehrt". Wenn man davon ausgehen könnte, dass *alle *Eltern sich mit den Medien, die ihre Kinder entleihen, befassen und ggf. eingreifen, dann könnte man allen Kindern alles ausleihen. Von einem (wie ich meine, überwiegenden) Teil der Eltern wird dieser Erziehungsauftrag der Bibliothek zugewiesen.

Ich persönlich muss auch sagen, dass ich "Fifty Shades of Grey" ab 12 Jahren auszuleihen auch für ... entschuldigen Sie, ziemlich fragwürdig halte. Ab 16 Jahren würde ich das angehen lassen, in dem Alter hat man heute vermutlich auch schon den ersten Internetporno gesehen. Aber für 12jährige halte ich den Stoff dann doch für relativ ungeeignet. Ich denke, mich hätten die "Informationen" in diesen Büchern mit 12 Jahren doch noch ziemlich verstört. Aber letztlich ist auch das eine Entscheidung, die die Eltern treffen sollten. Trotzdem würde ich dann, bis die elterliche Bestätigung vorliegt, diesen und entsprechende Titel zurückhalten. Die Eignung eines Lesers können wir an der Verbuchungstheke nicht beurteilen ... aber man kann normalerweise mit uns reden (dass es da einzelne Ausnahmen gibt bestreite ich nicht). Erwachsene können diese Entscheidung selbst treffen, für Kinder müssen das die Eltern tun, daher müssen wir diese Entscheidungen an die Eltern zurückgeben.

Ich glaube, mein persönlicher Standpunkt zu dieser Frage wird hinreichend klar, ansonsten dürfen Sie mir da gerne auch noch Feedback aus Elternsicht geben. Für meinen Arbeitsort möchte ich an dieser Stelle nicht sprechen, da ich die "Keine Erwachsenenmedien auf Kinderkarten"-Regel auch gerne mal zu Gunsten eines mir bekannten "Lese"-Kindes breche ;-) Ich kann Ihnen und Ihrer Tochter nur den Rat geben, das Gespräch mit der Bibliotheksleitung zu suchen und darum zu bitten, dass "Erwachsenenmedien" für Ihre Tochter zur Ausleihe freigegeben werden. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass es trotzdem weiterhin nicht gestattet wird, aber unter dem Aspekt, dass es "eigentlich" verboten ist, scheint da ja Spielraum zu sein. Wenn es in der Benutzungsordnung nicht geregelt ist, dann sollte sich die Bibliotheksleitung der elterlichen Bitte eigentlich nicht verschließen (wie oben bereits angemerkt, Ausnahmen gibt es immer).

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, viele interessante Antworten auf Ihre Frage und Ihrer Tochter weiterhin viel, viel Vergnügen beim Lesen und Genießen von "verbotener" Literatur.


4.
Sehr geehrter Herr Spieler,
ich danke Ihnen für diese Schilderung, die mich sehr betroffen machte.
Ich hatte gedacht, dass solche Geschichten seit Jahrzehnten durch wären. Ich habe das in den späten 70ern als Kind in einer Kleinstadt erlebt - auch in etwa 20.000 Einwohner - erleben müssen und war damals bereits empört. In den frühen 80ern als Jugendliche in Berlin-West gab es das bereits nicht mehr bzw. ist es mir nicht begegnet, obwohl ich auch viel aus dem sogenannten Erwachsenenbereich auslieh. Und von den Hamburger Bücherhallen hörte ich mal in einem Vortrag, dass deren Konzept, das auch schon diverse Jahrzehnte alt ist, darauf beruhte, dass man diese Form des Eingriffs in Entleihen nicht mehr wollte. Und in den Zeiten von Selbstverbuchern kenne ich das bei meinem Teenagersohn in der Stadtbibliothek [...] auch nicht. Ich wünsche Ihnen, dass Sie viele qualifizierte Rückmeldungen bekommen und dass Sie mit Ihrem Blick auf diesen Vorfall eine Änderung bewirken, denn diese Schranken braucht niemand weder heute noch vor Jahrzehnten.

5.
Sehr geehrter Herr Spieler,
(Willkürliche) Altersbeschränkungen in der von Ihnen beschriebenen Weise sind aus meiner Sicht tatsächlich unethisch (veraltet sowieso schon längst), denn sie beruhen auf keiner nachvollziehbaren bzw. bestehenden verbindlichen und möglichst objektiven RegelunG, sondern auf Bevormundung und erhobenem Zeigefinger... Mal abgesehen von individuellen Entwicklungsunterschieden, die vom psychologisch-pädagogisch geschulten?! Bibliothekspersonal wohl kaum wahrgenommen werden können,ist das aus meiner Sicht sogar Missbrauch der Obhut von öffentlichen Beständen für Kinder und Jugendliche. Einzig ein "FSK" im Filmbereich unterliegt einer klaren Regelung. Die Alters"gerechte" Aufstellung von Beständen, in vielen ÖB's noch praktiziert, soll lediglich einen empfehlenden, Charakter haben. Selbst für Verlage sind Altersangaben meist nur eine Orientierungshilfe für die (groß)elterliche Käufergruppe. Wie schade, dass diese "Lese-barrieren", statt Leseförderung aus den 60ern noch immer lebendig gehalten werden. ... Und natürlich würde ich in der betreffenden Bibliothek zumindest eine Anfrage starten, welcher rechtliche Rahmen für das Ausleih-Teilverbot zugrunde liegt.
Hoffe, Ihnen ein wenig geholfen zu haben


6a.
Hallo Herr Spieler,
ich nehme ihre Email zum Anlass Ihnen meine [...] Sicht mitzuteilen. Wir haben kein RFID und verbuchen selber. Bei uns dürfen Kinder auch Erwachsenenbücher mitnehmen, wenn diese z. B. für die Schule benötigt werden. Falls wir den Eindruck haben, das Kind/Jugendliche nimmt die Bücher für einen Elternteil mit, dann geben wir die Bücher nicht mit. Dazu kommt dann der Hinweis auf einen Erwachsenenausweis. Wir haben hier auch ein Mädchen, die schon vieles liest, aber sie nimmt eben viele Bücher aus dem Bereich mit. Aber ein Kind, das sonst Bibi Blocksberg Bücher ausleiht und dazwischen liegt ein Historischer Roman würde diesen nicht mitbekommen. Wenn die Mutter/Vater ausleihen möchte, dann müssen sie einen eigenen Ausweis haben. Die Kinder und Jugendlichen zahlen bei uns keine Jahresgebühr, Erwachsene [...] Euro. Da wollen einige eben die Jahresgebühr sparen.

Unser Jugendbereich [...] wird mit Medien für das Alter 12-26 bestückt. Also dort stehen schon auch Bücher für Ältere. Die dürften Kinder und Jugendliche auch mitnehmen. Deshalb sehe ich da kein Problem.

Inhaltliche Empfehlungen/Beschränkungen habe ich bisher nur bei einer Förderschule gemacht [...]. Der Junge (10) wollte Waffenbücher und Horrorbücher aus dem Erwachsenenbereich ausleihen. Nach Hinweis an die Lehrerin hat diese dann mit dem Jungen gesprochen und er hat etwas anderes mitgenommen. EDV-technisch haben wir bei Büchern keine Altersempfehlung hinterlegt, nur die Kennung "Roman Erwachsene". Bei Filmen, Computer- und Konsolenspiele gilt aber die USK/FSK, da wird das Medium nur an Kinder in entsprechendem Alter ausgeliehen. Übrigens, auch die Titel "Shades of grey..." können bei uns von Jugendlichen ausgeliehen werden. Wir haben hier eine örtliche Autorin, die ähnliche "Liebesbücher" schreibt, da ist das ebenso. Übrigens haben wir die Onleihe. Dort können auch Kinder und Jugendliche digitale Bücher lesen und diese direkt mit gültigem Leseausweis herunterladen. Da ist kein Bibliotheksmitarbeiter vor Ort und zensiert. Da fällt mir ein, wäre das nicht eine Lösung für ihre Tochter. Bietet ihre Bibliothek die Onleihe an? Vielleicht werden sie Mitglied in einer dieser Bibliotheken?

Eine meine Vorgängerin hatte hier einen "Giftschrank", da hat sie nach ihrem Ermessen Bücher eingestellt. Die Leser mussten dann bei ihr persönlich nachfragen. Da sind wir heute nicht mehr. (Gott sei dank). Ich hoffe ich habe deutlich gemacht, das bei uns nur der Fokus auf "ausleihen für Eltern" steht. Viel Erfolg für ihre Rückmeldung. Bestellen sie Ihrer Tochter einen schönen Gruß und vielleicht schauen sie sich mal unsere Facebookseite an.


6b. (von der gleichen Person wie 6a., Folgebeitrag auf Grund einer Antwort von mir)
Hallo,
ich bin [...] und seit [...] gibt es diesen "Giftschrank" nicht mehr. Dazu ein recht gutes EDV System. Ich bin ganz ihrer Meinung, das die Entscheidung was Kinder und Jugendliche Lesen bei den Eltern liegen. Ich bin stolz sagen zu können, wir sind das eine recht "fortschrittliche Bibliothek". Aber ich kenne eben auch andere Bibliotheken und vor allem die Bibliothekare mit "alten Denkstrukturen". Da wende ich nicht mehr so viel Energie hin, das ist für mich verschwendete Zeit. Wir versuchen immer die Sichtweise der Leser zu haben und das ist manchmal doch anders, als wir eigentlich dachten. Da gibt es doch immer wieder Überraschungen. Inzwischen verstehen wir uns als "lernende" und als Team gehen wir die Veränderungen der Zukunft gemeinsam an. Aber ich schweife ab.

Also viel Erfolg damit, ich würde mich freuen, mehr lesefreudige Kinder (wie ihre Tochter) hier zu haben. Vielleicht sollte ihre Tochter der Bibliothek anbieten eine Rezension über das Buch zu schreiben, dann merken die doch, ob ihre Tochter den Inhalt reflektieren kann.


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