Sehr geehrte Damen und Herren,
was off-topic-Diskussionen betrifft: Wenn sich jemand von einer ganz
bestimmten Person gestört fühlt, bestehen ja durchaus Möglichkeiten, den
Spam-Filter entsprechend einzustellen.
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Ich möchte die Frage von "peer review" und quantitativen Kriterien bei der
Beurteilung wissenschaftlicher Publikationen gerne prinzipiell diskutieren.
Was h-Faktoren und Zitierindices betrifft:
Ich halte das für den größten Unsinn überhaupt. Z.B. in der Mathematik sind
wegen der quantitativen Erhebungen, wie oft welcher Artikel zitiert wird,
sogenannte "Zitier-Kartelle" entstanden, mit anderen Worten: Zitierst Du
mich, zitier ich dich. Für Laien nicht überprüfbar, da die das
Fachchinesisch sowieso nicht verstehen, dürfte aber deutlich sein, daß
wissenschaftlich ausgebildete MathematikerInnen von Statistik und
quantitativen Erhebungen einige Ahnung haben... Mit solchen Kriterien
sollen dann Karrieren entschieden werden.
Was die "Rankings" von wissenschaftlichen Zeitschriften betrifft:
Auch Unsinn. In der biologischen Forschung führt das z.B. dazu, daß eine
Fachzeitschrift, die ein gutes Ranking haben möchte, im großen und ganzen
solide Arbeit leistet, aber ab und zu einen Artikel publiziert, der
ziemlicher Schwachsinn ist. Dann tritt die ganze Phalanx der drittklassigen
WissenschaftlerInnen an, um energisch gegen diesen Artikel in einem
erstklassigen Journal Gegen-Artikel zu publizieren. Das sorgt zuverlässig
dafür, daß die Fachzeitschrift sehr oft zitiert wird, damit steigt das
Ranking - wegen eines Artikels, der zum "Fortschritt der Wissenschaften"
wirklich gar nichts beiträgt.
Auch GeisteswissenschaftlerInnen sind durchaus im Laufe der Zeit in der
Lage, gute Copy-und-Paste-Techniken zu erlernen, damit aus einem Buch
mehrere werden, die sich fast nur im Titel unterscheiden, jedenfalls so gut
wie gar nicht im Gehalt. Da sowieso niemand Zeit hat, die ganze Literatur
durchzulesen, sieht die Bibliographie wunderbar lang aus, was vor allem bei
DFG-Bewerbungen sehr hilft (z.B. Beantragung von
Sonderforschungsbereichen). Ich nenne diesen strukturellen Druck
"Beschäftigungstherapie für ProfessorInnen". Als ob die nichts Besseres zu
tun hätten, vom Bäumevernichten zwecks Papierherstellung ganz zu schweigen.
Es nimmt auch unnötig Platz in den Bibliotheken weg. Die meisten wirklich
wichtigen Bücher in den Geisteswissenschaften entstanden oft nach einer
Forschungszeit von ca. 10 Jahren. Da wäre meine Devise: Mehr Lesen, mehr
Denken und weniger Publizieren. Dann wird die Forschung besser, weil
gehaltreicher.
Zuletzt zu der Frage der peer review:
In einem Gebiet, das klein genug ist, daß sich mehr oder weniger alle
"wichtigen" Personen weltweit sowieso kennen, zumindest in Schriftform und
in bezug auf die Themen der Forschungspublikationen, ist die ganze Idee,
ein Artikel werde nach "objektiven, wissenschaftlichen" Kriterien
begutachtet, ziemlicher Humbug. Abgesehen von der Frage, daß natürlich
Schulen entstehen und daß einem Artikel oder einer Beurteilung angesehen
werden kann, aus welcher Schule das kommt (was ist dann "wissenschaftliche
Objektivität"?), ist es oft auch möglich, de facto herauszufinden, wer den
Artikel geschrieben hat. Telefonanrufe werden von den KollegInnen ja in der
Regel nicht aufgezeichnet, und ich kenne keinen Fall, wo jemand wegen
solcher Fragen vor Gericht gegangen wäre. Daß solche peer reviews dann der
größeren Wissenschaftlichkeit verhelfen, wage ich zu bezweifeln.
In der Regel ist es immer noch so, daß erfahrene, gestandene
WissenschaftlerInnen gut beurteilen können, ob ein Artikel oder Buch eine
gute Idee solide ausarbeitet oder nicht. Diese Beurteilerei mit
vermeintlich anonymen Gutachten trägt zu dieser Frage rein gar nichts bei
und hält eher ProfessorInnen mit ständigen Evaluationen beschäftigt, statt
daß die mal mehr lesen, nachdenken und gute Ideen entwickeln.
(Auf vergleichbarer Ebene ist nur zu Bedauern, daß alle drei Jahre
Cambridge Oxford evaluiert und alle drei Jahre Oxford Cambridge evaluiert.
Ein department verändert sich nicht so schnell, und die ständige
Herumschreiberei an Gutachten hält die WissenschaftlerInnen eher davon ab,
ihre Zeit auch mal sinnvoll zu verwenden. Die kennen sich sowieso alle
gegenseitig, die bloße Papierform, per Bürokratie dazu genötigt zu werden,
etwas darüber zu schreiben, daß auch die KollegInnen ihre Jobs behalten
sollen, ist auf dem Misthaufen neoliberaler Theoriebildung gewachsen. Gute
wissenschaftliche Arbeit hat nichts mit marktwirtschaftlichen "Gesetzen" zu
tun.)
Früher war es auch in Deutschland völlig üblich, daß einE HerausgeberIn
einer Fachzeitschrift, der/die viele Forschungsjahre hinter sich hatte,
Artikel auf Plausibilität und Form prüfte und dann entschied, ob das
publiziert wird oder nicht. Der Ruf einer Zeitschrift ist in der Fachwelt
langfristig gefestigt und bekannt, und auf Forschungsebene wissen früher
oder später alle, an wen sie sich mit welcher Publikation/Frage zu wenden
haben.
Diese ganze Herumevaluiererei und Herumquantifiziererei hat keine
Verbesserung wissenschaftlicher Forschung gebracht und gehört abgeschafft.
Herr Professor Dr. Heil von der BBAW (Althistoriker) kann da mehr Details
erläutern.
Übrigens gibt es z.B. in den USA zahlreiche Fälle, in denen nicht nur die
DoktorandInnen eine tenure track-Stelle bekommen, bevor die Promotion
publiziert ist (das ist der Normalfall), sondern auch bis zu zehn Jahre an
der Druckfassung feilen, bis sie als Buch herauskommt - oder auch gar
nicht. Trotzdem bekommen die Leute tenure.
Mit konstruktiven Grüßen
Naomi Anne Kubota
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