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[InetBib] Kunde / Benutzer war: AW: Ausschreibung dbv-Kommission Kundenorientierte Services und Vision für deutsche Bibliotheken u. Informationseinrichtungen
- Date: Mon, 15 Jul 2013 10:09:43 +0000
- From: "Eberhardt, Joachim" <Eberhardt@xxxxxxxxxxxxxx>
- Subject: [InetBib] Kunde / Benutzer war: AW: Ausschreibung dbv-Kommission Kundenorientierte Services und Vision für deutsche Bibliotheken u. Informationseinrichtungen
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
vielen Dank für die anregenden Gedanken zum Thema. Ich kann viele Überlegungen
nachvollziehen, die ich gelesen habe. Was mich ein wenig irritiert, ist die
Tatsache, dass der Kundenbegriff von denjenigen, die sich zu Wort gemeldet
haben, fast durchweg negativ verstanden wird. Ausschlaggebend scheint dafür, so
verstehe ich Frau Mahrt-Thomsen und den von ihr zitierten Herrn Döhmer sowie
Herrn Jobmann, die Ansicht, dass durch die Verwendung dieses Begriffs die
Beziehung zwischen einer Bibliothek und ihrem Publikum als wirtschaftliche
gedacht oder gar definiert wird. Dies sei 1. fragwürdig, 2. Ausdruck einer
generellen gesellschaftlichen Tendenz, wichtige Themen durch die Brille der
Wirtschaft zu sehen.
Ich stimme den beiden Begründungen völlig zu, d.h. ich stimme zu, dass es
fragwürdig ist, die Beziehung zwischen Bibliothek und Nutzer über den
wirtschaftlichen Leisten zu scheren, und auch, dass dies eine gesellschaftliche
Tendenz ist, die der Kulturarbeit in vielen Fällen quer steht.
Allerdings habe ich zu dem Begriff "Kunde" durchaus positive Assoziationen und
erlebe ihn nicht per se als Euphemismus. An vielen Orten, die ich besuche, bin
ich gern Kunde! Das hat genau mit dem zu tun, was Herr Döhmer beschrieben hat:
dass viele öffentliche Verwaltungen mit Publikumsverkehr in den letzten zwanzig
Jahren sich gewandelt haben, von drögen, abweisenden Amtsstuben hin zu
ansprechend gestalteten, mehr oder weniger einladenden "Bürgercentern" o.ä. Das
heißt, die Beziehung, die viele Behörden gegenüber ihren Besuchern gepflegt
haben, hat sich gewandelt von einer rein obrigkeitlich-hierarchisch gelebten
hin zu einer -- im Idealfall -- partnerschaftlichen. Damit hat der
Kundenbegriff aus meiner Sicht erst einmal durchaus etwas Gutes bewirkt. Ich
möchte die Zeiten davor nicht zurückhaben!
Demgegenüber ist auch der Begriff "Nutzer" oder "Benutzer" nicht ganz frei von
Assoziationen. Die wichtigste davon ist für mich, dass die Beziehung zwischen
einem Benutzer und dem, was er benutzt, völlig einseitig (aktiv/passiv) ist. So
sehe ich Bibliotheken nicht. Außerdem scheint mir der Begriff "Benutzer" dem
lange Zeit in der wissenschaftlichen Bibliothekswelt dominierenden
angebotsbezogenen Denken zu entsprechen. Auch hier glaube ich, dass z.B. der
Begriff "Kundenorientierung" -- analog die "Nutzerorientierung" -- eine
sinnvolle Verschiebung der Aufmerksamkeit gebracht hat.
Ich würde es in jedem Fall für falsch halten, und darin stimme ich ebenfalls
mit den kritischen Stimmen überein, die Leistung von Bibliotheken
ausschließlich über einen solchen Begriff zu definieren, also über Angebot,
Nachfrage und Durchschnitt (die meisten suchen XY bei uns, also bieten wir
ihnen XY). Das ist eine Beobachtung, die Bibliotheken ebenso betrifft wie
andere Kultureinrichtungen. Das Problem sehe ich daher nicht in einem Begriff,
der die Beziehung zwischen Bibliothek und Publikum mehr oder weniger zutreffend
beschreibt, sondern darin, dass eine Bibliothek darauf reduziert und
ausschließlich daran gemessen wird.
Besten Gruß,
Joachim Eberhardt
(Lippische Landesbibliothek Detmold)
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von
Frauke Mahrt-Thomsen
Gesendet: Freitag, 12. Juli 2013 12:55
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib]Ausschreibung dbv-Kommission Kundenorientierte
Services und Vision für deutsche Bibliotheken u. Informationseinrichtungen
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich möchte daran erinnern, dass der Kollege Klaus Döhmer von der UB
Dortmund
zu dem Thema
"Benutzer versus Kunde" bereits 2004 auf dem Bibliothekskongress in Leipzig
einen hervorragenden Beitrag geliefert hat:
[...]
"Als Nutzer, Beobachter oder gar Mitwirkender öffentlichen
Verwaltungshandelns wurden wir seit Anfang der 90er Jahre Zeugen eines
verstörenden Vorgangs: Die Behördenflure, bislang Lebensraum der Spezies
"Antragsteller und Leistungsempfänger", werden zunehmend von einer
Gattung
bevölkert, die wir bislang ausschließlich in privatwirtschaftlichen Biotopen
angetroffen hatten - dem 'Kunden'. Während noch das Wort von der
Dienstleistungswüste Deutschland die Runde machte, schickte sich
ausgerechnet der öffentliche Sektor mit grimmiger Entschlossenheit an, in
dieser Einöde blühende Landschaften entstehen zu lassen....
--
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