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Re: [InetBib] Erfahrung mit LAP (Lambert Academic



Das Problem bisher war, dass jedes gedruckte Buch in einer Bibliothek, 
durch seine Verwaltung und Lagerung etwa noch einmal so viel kostete, 
wie der Kauf. Darum sammelten etliche UBs kurz vor Diss. Online immer 
weniger gedruckte Dissertationen. Zum Teil musste man sogar Bücher 
aussondern, um neue erwerben zu können. Wenn in einer UB ein 
durchschnittliches Buch 4,5 mal ausgeliehen wird, werden große Teile nie 
ausgeliehen. Es sei hier nur an die Pittsburgh Study von 1979 (A. Kent) 
erinnert. Die Wahrscheinlichkeiten hierfür abzuschätzen ist die große 
Kunst in der Erwerbung. Andererseits müssen Bibliotheken auch und gerade 
solche Bücher vorhalten, die nie ausgeliehen werden, weil sie Schund 
sind, denn Bibliotheken sind der Ort, an dem man sehen kann, was man 
alles nicht zu lesen braucht, weil es besseres gibt. Zwangsläufig 
entstand in jeder UB die Frage, was ist wichtiger, besser, Schund, etc. 
- wobei "Schund" stark Leserabhängig ist, und Bibliothekare auch heute 
noch z.B. bei Erstsemestern beratend tätig werden müssen, um das 
Richtige Buch (z.B. Lehrbuchsammlung, Semesterapparat etc.) ihren 
Studierenden zu empfehlen.

Obwohl das Platzproblem im digitalen Bereich längst überholt ist, 
verhalten sich etliche Einrichtungen (nicht nur Bibliotheken) so als 
könnte man diese Dokumente (Diplom-, Magisterarbeiten, Reports, 
Betriebsanleitungen, etc.) nicht digital verfügbar machen.

Das größere Problem wird allerdings sein, wenn wir alle 
Abschlussarbeiten in Hochschulen z.B. in Europa digital verfügbar 
machen, dass es nicht nur immer schwieriger wird sinnvolle Themen, für 
immer mehr Absolventen zu finden, sondern auch ohne Plagiat zu oft 
bearbeiteten Themen zu schreiben. Gerade bei Prüfungsarbeiten ist der 
Rahmen für sinnvolle Themen recht beschränkt. Sie sind von möglichst 
einer Person zu bearbeiten, in begrenzter Zeit, mit begrenzten Mitteln, 
(Hier sollte man übrigens medizinische Disserationen nicht 
unterschätzen, da in sie nicht selten erhebliche Forschungsgelder und 
Teamworks einfließen), möglichst state-of-the-art und ohne den Prüfling 
zu überfordern. Ich entsinne mich vor langer Zeit den Rechercheauftrag 
zu einem speziellen Thema bekommen zu haben, bei dem ich auch gezielt 
nach Dissertationen suchte, und drei mit fast identischem Titel fand. 
Erstaunlich war, wie unterschiedlich die Arbeiten dann selbst waren, 
weil es noch kein Internet gab und Recherche nach Dissertationen für die 
meisten ein Fremdwort war.

Heute haben wir dagegen das Problem, dass Gutachter kaum überprüfen 
können, wie weit aus Quellen abgeschrieben wurde, die für sie nicht 
digital zugänglich sind. Wer GuttenPlag aus dem Weg gehen will, muss 
heute nur prüfen, ob die Quelle zum abschreiben schon digitalisiert 
wurde. Schon darum müssen wir zügig alles digitalisieren.

Ich halte es zwar auch für notwendig, möglichst alle wissenschaftlichen 
Arbeiten (auch nicht nur die mit sehr gut bewerteten, wie das manchmal 
geschieht) auf XML-Basis (wie bei den Dissertationen) mit XQuery 
recherchierbar zu machen, da wir damit u.a. auch einen deutschen Science 
Citation Index (mit den Geisteswissenschaften) erhalten würden. Möchte 
aber auch andeuten, dass sich dann unser Prüfungswesen ändern wird. Die 
Wissenschaft ist dank Internet zu einer Fließbandproduktion des Wissens 
geworden, und in dieses System müssen und können wir unsere Studierenden 
heute mit einbinden, auch weil dazu so manche Metadatenstruktur, 
Software und Hardware noch weitere verbesserungen bringen wird. Auch das 
ist ein Aspekt der heutigen Informationskompetenz.

Schon heute schreiben schätzungsweise Tausende von Schülern die selben 
Arbeiten, nur weil das noch nicht genau überprüft werden kann. Das Deep 
Web ist tiefer als der Stille Ozean ;-).

Das Verlage wie Lambert Academic diese Lücke im deutschen Prüfungswesen 
ausnützen, um damit Geld zu verdienen, kann man ihnen nicht verdenken. 
Es ist nicht ihre Schuld, sondern die der Hochschulen, die so gezwungen 
sind, für manches wenig sinnvoll bedruckte Papier teuer zu bezahlen.

MfG

Walther Umstätter


Am 13.09.2012 17:08, schrieb Klaus Graf:
On Thu, 13 Sep 2012 11:08:39 +0000
 Andreas Drechsler <andreas.drechsler@xxxxxxxxxxxxxx>
wrote:
Liebe Frau Lambrecht, liebe Listenteilnehmer,
Ich will  hier die VDM-Gruppe in ihrer Praxis
nicht aufwerten und schließe mich der weithin
verbreiteten Kritik an, aber die Titel von VDM selber
oder Lambert  sind nach meiner Beobachtung nicht
schlechter oder besser als die etlicher anderer Verlage,
die sich nach dem gleichen Geschäftsmodell gleichfalls
ausschließlich  auf Abschlussarbeiten konzentrieren und
die Bücher ohne jede Überarbeitung für einen gepfefferten
Preis auf den Markt werfen. Der Nachteil für die
Verfasser ist eher der, dass das schlechte Image der
gesamten VDM-Gruppe  (Man wird ja schon hellhörig, wenn
ein neuer Verlag mit Saarbrücken oder Réunion [oder wo
sitzt Betascript nocht angeblich?] als Verlagsort
erscheint!) die Akzeptanz des Werks selber stark
beeinträchtigt.

Aus der Sicht der Wissenschaft kann man diesen
differenzierenden Worten nur beipflichten.

Es ist ueberhaupt nicht ausgemacht, was "schlechte Buecher"
sind. Frueher bevormundeten Bibliothekare die Leser, indem
sie dem "Schund" auch auf dem Eingang ueber das
Pflichtexemplar die Bibliothekspforten versperrten (was die
historische Forschung ueber Trivialliteratur empfindlich
beeintraechtigt), heute ist die Hatz auf akademische
Abschlussarbeiten eroeffnet.

Es spricht fuer sich, dass Mangei in seinem schlechten
Aufsatz "Vom Umgang mit „schlechten Büchern“ aus
bibliothekarischer Sicht. Viel Spreu, wenig Weizen"

http://www.b-i-t-online.de/heft/2012-04/fachbeitrag-mangei.pdf
(Link nur fuer Abonnenten!)

sich nur auf einen online nicht einsehbaren Zeitungsartikel
"Zur Veröffentlichung von Masterarbeiten vgl. u.a.
vollmuth, Hannes: Akademische Gehversuche. Masterarbeiten
veröffentlichen? Das ist ebenso simpel wie heikel. In:
Süddeutsche Zeitung, 12. Dezember 2011" (fuer eine Kopie
waere ich dankbar!) beruft, obwohl das von mir bereits 1989
zusammengetragene Material

http://www.db-thueringen.de/servlets/DocumentServlet?id=4165

zu anderen Schluessen berechtigt. Leider dominiert bei
Abschlussarbeiten unterhalb der Dissertation immer noch die
Ignoranz der deutschen Universitaetsbibliotheken, die sich
weigern, Exemplare zu archivieren und damit der
Wissenschaft zugaenglich zu machen. Universitaetsarchive
uebernehmen solche Arbeiten meist nur in kleiner Auswahl.

Auch zur Plagiatspraevention plaediere ich dafuer, alle
akademischen Abschlussarbeiten, auch Bachelorarbeiten
(davon gibt es auf diversen Hochschulschriftenservern eine
ganze Menge), obligatorisch auf dem
Hochschulschriftenserver veroeffentlichen zu lassen. Alle
diese Arbeiten sind insofern qualitaetsgesichert, dass in
der Regel mindestens zwei Hochschullehrer fuer ihre Annahme
als wissenschaftliche Leistung buergen.
Man kann es nicht besser formulieren als die gestern
veroeffentlichten Empfehlungen der BOAI-10-Konferenz fuer
Open Access, die nach der Website in Kuerze auch auf
Deutsch vorliegen werden:

http://www.soros.org/openaccess/boai-10-recommendations

"Every institution of higher education offering advanced
degrees should have a policy assuring that future theses
and dissertations are deposited upon acceptance in the
institution's OA repository. At the request of students who
want to publish their work, or seek a patent on a
patentable discovery, policies should grant reasonable
delays rather than permanent exemptions."

Aus meiner Sicht ist die durchschnittliche Masterarbeit in
den Geisteswissenschaften (hohes Risiko, dass sie fuer alle
Zeiten verloren fuer die Wissenschaft ist) nicht schlechter
als eine 50-Seiten-Dissertation in der Medizin
(Veroeffentlichungszwang!). In Oesterreich werden alle
Diplomarbeiten dauerhaft archiviert.

Was frueher der ideologische Kampf gegen den "Schund" war,
vor dem man die Leser in den Bibliotheken bewahren wollte,
ist heute die nicht weniger ideologisch verbohrte Hatz auf
die Abschlussarbeiten, wenn sie bei VDM etc. erscheinen. So
wenig Sympathie ich dafuer habe, wenn diese wenig
erfreuliche Verlagsfamilie Wikipedia-Artikel in Buchform
bringt, so sehr liegt mir am Herzen, dass Wissenschaftler
die Chance haben, ohne Bevormundung akademische
Abschlussarbeiten in zumutbarer Weise zur Kenntnis nehmen
zu duerfen, um sich ein eigenes Bild machen zu koennen. VDM
antwortet hier nur auf den ueberwiegend inakzeptablen
bibliothekarischen Umgang mit diesen Arbeiten.

Klaus Graf

-- 
http://www.inetbib.de

Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.