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[InetBib] Call for Papers zu LIBREAS #20: Scheitern
- Date: Mon, 12 Sep 2011 21:54:30 +0200
- From: Matti Stöhr <matti.stoehr@xxxxxxxxx>
- Subject: [InetBib] Call for Papers zu LIBREAS #20: Scheitern
Liebe Listenteilnehmerinnen und -teilnehmer,
die 20. Ausgabe von LIBREAS. Library Ideas <http://www.libreas.eu> wird
das Thema "Scheitern" zum Schwerpunkt haben und im Namen der Redaktion
möchte ich Sie auf den Call for Papers hinweisen. Wir freuen uns über
zahlreiche Beitragseinreichungen!
Beste Grüße
Matti Stöhr
PS: In nicht allzu ferner Zukunft erscheint auch endlich die Ausgabe
#19: Zensur und Ethik
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Call for Papers: Libreas #20: Scheitern*
Der projektorientierten Wissenschaft ist das Scheitern inhärent --
beziehungsweise allen Unternehmungen, die sich in Projekten
organisieren. Anders wäre es eigentlich auch nicht denkbar: Projekte
werden als mögliche Aktivitäten geplant und präsentiert. Jedes
Projektziel ist perspektivisch angelegt und baut auf der Erfüllung von
Bedingungen auf, zu denen beispielsweise ausreichender finanzieller
Support und das Vertrauen in die Verfügbarkeit kompetenter personeller
Ressourcen gehören. Sicherlich sind wir alle, wenn wir Projekte
betreuen, versucht, die Eventualitäten abzustecken. Wenn das nicht
hilft, werfen wir in den Anträgen Nebelbomben und hoffen, dass es
niemand merkt. Doch selbstverständlich Scheitern Projekte in großer Zahl
-- das wissen alle, aber kaum jemand sagt es laut. Vielmehr wird der
Eindruck aufrechterhalten, alle Projekte wären erfolgreich. Auch dieser
Eindruck ist leicht zu erzeugen: Noch mehr rhetorische Nebelbomben;
Projektberichte, die keine Ergebnisse präsentieren, sondern Aktivitäten;
zudem ein ständiges Betonen noch offener Fragen. Auch wir in der
LIBREAS-Redaktion sind das Scheitern gewohnt. Keine fünfzig Prozent der
angedachten Artikel werden wirklich geschrieben, einige Themen kommen
nicht zustande. Das ist keine Ausnahme, sondern in den meisten
Redaktionen normal. Die Online-Zeitschrift bildungsforschung.org
<http://bildungsforschung.org/index.php/bildungsforschung> überzog zum
Beispiel das Erscheinen ihrer vor einigen Wochen erschienen aktuellen
Ausgabe um rund ein Jahr.
Die Bibliothekspraxis ist vom Scheitern nicht ausgenommen. In
vertraulichen Gesprächen ist von Projekten zu hören, die scheiterten:
Kooperationen, die nicht zustande kamen; Werbemaßnahmen, die keinen oder
gegenteiligen Effekt hatten; Schulklassen und Studierende, die sich von
Recherchetrainings unbeeindruckt zeigten; besonders aufgebaute Bestände,
die nicht genutzt werden und Software, die nicht funktionierte.
Doch es sind vertrauliche Gespräche und interne Arbeitssitzungen, auf
denen dieses Scheitern, das teilweise öfter aufzutreten scheint als der
Erfolg, Thema ist. Öffentlich hört man davon nichts bzw. äußert sich
Scheitern ansatzweise in Diskussionen und Veranstaltungen rund um die
Themen Nachhaltigkeit und Geschäftsmodelle. Sowohl die Wissenschaft als
auch das Bibliothekswesen scheint die Vorstellung fest verankert zu
haben, dass nur Erfolge nach außen hin kommuniziert und dargestellt
werden dürfen.
Wieso eigentlich? Welchen Effekt hat dieses Vorgehen? Warum scheint es
so schwer, öffentlich Scheitern einzugestehen, wenn doch zumindest unter
der Hand darüber geredet wird? Führen die eingesetzten rhetorischen
Nebelbomben nicht dazu, dass Projektberichte immer weniger sinnhafte
Aussagen enthalten? Sinkt nicht mit jedem von Erfolgsmeldungen
durchzogenen Vortrag und jedem von den Schwierigkeiten schweigenden
Artikeln zu Projekten die Glaubhaftigkeit solcher
Kommunikationsangebote? Schwerwiegender vielleicht die Frage: Vergeben
wir uns nicht alle wichtige Lernmöglichkeiten?
Im persönlichen Leben scheint das Scheitern eine positive Bewertung
erfahren zu haben, was gerade mit der zunehmenden Beratungsliteratur
einhergeht. Scheitern gilt als einer der Hauptgründe für Lernen und
persönliche Weiterentwicklung. Eine gescheiterte Beziehung bietet immer
Möglichkeiten, über sich und andere Menschen zu lernen -- auf dem Weg in
bessere Beziehungen. Gescheiterte Kommunikationsversuche im persönlichen
Bereich -- egal, ob im Sportverein, im politischen Gremium oder im Club
-- gelten als Antriebsgrund für das Überdenken des individuellen
Selbstbildes. Scheitern scheint heute als Teil des individuellen Lebens
nicht nur akzeptiert, sondern sogar geschätzt zu werden. Weiter noch:
Die Wirtschaft, an der zu orientieren sich Bildungs-, Wissenschafts- und
Kulturpolitik ebenso gerne rühmen, wie die Spitzen des Bibliothekswesen,
sieht das Scheitern von unvernüftigen (ergo kreativen) Projekten und
Unternehmungen als Innovationsmotor an. (Vgl. Hutter, Michael / Das
Potenzial des Irrationalen : Scheinbar Unvernünftiges kann sich als
kreativ durchsetzen
<http://www.wzb.eu/sites/default/files/publikationen/wzb_mitteilungen/wm132.gesamt_0.pdf>.
-- In: WZB Mitteilungen 132/2011, S. 7-9)
Warum also sollen wir in Wissenschaft und Bibliothekswesen nicht gerade
vom Scheitern lernen? Davon, wie und vor allem warum bestimmte Projekte
nicht funktionierten. Davon, wie Projektergebnisse differenziert
dargestellt und bewertet werden. Davon, wie speziellen Angebote nicht
angenommen, Erwartungen sich nicht erfüllt haben. Davon, wo Geld und
Personal vollkommen sinnlos eingesetzt wurde. Auch davon, wo man
Sackgassen beschritt, die niemand anders wieder beschreiten müsste --
wenn man sie denn öffentlich machte. In der wissenschaftlichen
Ausbildung wird immer wieder darauf hingewiesen, dass auch eine negative
Antwort auf eine Forschungsfrage ein wissenschaftliches Ergebnis sein
kann -- weil man immerhin das weiß. Ist es möglich, dieses Wissen auch
in den laufenden Betrieb von Bibliotheken und der Wissenschaftspraxis
einzubringen?
Die 20. Ausgabe der LIBREAS soll sich dem gesamten Themenbereich des
Scheiterns widmen: Was scheitert wieso? Kann man das verhindern und
sollte man es überhaupt verhindern? Was kann man aus dem Scheitern
lernen? Mit welchen rhetorischen Kniffen maskiert man Scheitern am
besten und wie deckt man diese wieder auf? Wir rufen dazu auf, diese
Debatte erfolgreich werden zu lassen und sich an ihr mit Berichten,
Artikeln, Meinungsäußerungen zu beteiligen.
Redaktionsschluss ist der 31.12.2011 . Für Rückfragen oder eine
inhaltliche Diskussion steht die Redaktion gerne bereit.
--
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