[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

[InetBib] Call for Papers zu LIBREAS #20: Scheitern



Liebe Listenteilnehmerinnen und -teilnehmer,

die 20. Ausgabe von LIBREAS. Library Ideas <http://www.libreas.eu> wird 
das Thema "Scheitern" zum Schwerpunkt haben und im Namen der Redaktion 
möchte ich Sie auf den Call for Papers hinweisen. Wir freuen uns über 
zahlreiche Beitragseinreichungen!

Beste Grüße

Matti Stöhr

PS: In nicht allzu ferner Zukunft erscheint auch endlich die Ausgabe 
#19: Zensur und Ethik

------------------------------------------------------------------------
*
Call for Papers: Libreas #20: Scheitern*

Der projektorientierten Wissenschaft ist das Scheitern inhärent -- 
beziehungsweise allen Unternehmungen, die sich in Projekten 
organisieren. Anders wäre es eigentlich auch nicht denkbar: Projekte 
werden als mögliche Aktivitäten geplant und präsentiert. Jedes 
Projektziel ist perspektivisch angelegt und baut auf der Erfüllung von 
Bedingungen auf, zu denen beispielsweise ausreichender finanzieller 
Support und das Vertrauen in die Verfügbarkeit kompetenter personeller 
Ressourcen gehören. Sicherlich sind wir alle, wenn wir Projekte 
betreuen, versucht, die Eventualitäten abzustecken. Wenn das nicht 
hilft, werfen wir in den Anträgen Nebelbomben und hoffen, dass es 
niemand merkt. Doch selbstverständlich Scheitern Projekte in großer Zahl 
-- das wissen alle, aber kaum jemand sagt es laut. Vielmehr wird der 
Eindruck aufrechterhalten, alle Projekte wären erfolgreich. Auch dieser 
Eindruck ist leicht zu erzeugen: Noch mehr rhetorische Nebelbomben; 
Projektberichte, die keine Ergebnisse präsentieren, sondern Aktivitäten; 
zudem ein ständiges Betonen noch offener Fragen. Auch wir in der 
LIBREAS-Redaktion sind das Scheitern gewohnt. Keine fünfzig Prozent der 
angedachten Artikel werden wirklich geschrieben, einige Themen kommen 
nicht zustande. Das ist keine Ausnahme, sondern in den meisten 
Redaktionen normal. Die Online-Zeitschrift bildungsforschung.org 
<http://bildungsforschung.org/index.php/bildungsforschung> überzog zum 
Beispiel das Erscheinen ihrer vor einigen Wochen erschienen aktuellen 
Ausgabe um rund ein Jahr.

Die Bibliothekspraxis ist vom Scheitern nicht ausgenommen. In 
vertraulichen Gesprächen ist von Projekten zu hören, die scheiterten: 
Kooperationen, die nicht zustande kamen; Werbemaßnahmen, die keinen oder 
gegenteiligen Effekt hatten; Schulklassen und Studierende, die sich von 
Recherchetrainings unbeeindruckt zeigten; besonders aufgebaute Bestände, 
die nicht genutzt werden und Software, die nicht funktionierte.

Doch es sind vertrauliche Gespräche und interne Arbeitssitzungen, auf 
denen dieses Scheitern, das teilweise öfter aufzutreten scheint als der 
Erfolg, Thema ist. Öffentlich hört man davon nichts bzw. äußert sich 
Scheitern ansatzweise in Diskussionen und Veranstaltungen rund um die 
Themen Nachhaltigkeit und Geschäftsmodelle. Sowohl die Wissenschaft als 
auch das Bibliothekswesen scheint die Vorstellung fest verankert zu 
haben, dass nur Erfolge nach außen hin kommuniziert und dargestellt 
werden dürfen.

Wieso eigentlich? Welchen Effekt hat dieses Vorgehen? Warum scheint es 
so schwer, öffentlich Scheitern einzugestehen, wenn doch zumindest unter 
der Hand darüber geredet wird? Führen die eingesetzten rhetorischen 
Nebelbomben nicht dazu, dass Projektberichte immer weniger sinnhafte 
Aussagen enthalten? Sinkt nicht mit jedem von Erfolgsmeldungen 
durchzogenen Vortrag und jedem von den Schwierigkeiten schweigenden 
Artikeln zu Projekten die Glaubhaftigkeit solcher 
Kommunikationsangebote? Schwerwiegender vielleicht die Frage: Vergeben 
wir uns nicht alle wichtige Lernmöglichkeiten?

Im persönlichen Leben scheint das Scheitern eine positive Bewertung 
erfahren zu haben, was gerade mit der zunehmenden Beratungsliteratur 
einhergeht. Scheitern gilt als einer der Hauptgründe für Lernen und 
persönliche Weiterentwicklung. Eine gescheiterte Beziehung bietet immer 
Möglichkeiten, über sich und andere Menschen zu lernen -- auf dem Weg in 
bessere Beziehungen. Gescheiterte Kommunikationsversuche im persönlichen 
Bereich -- egal, ob im Sportverein, im politischen Gremium oder im Club 
-- gelten als Antriebsgrund für das Überdenken des individuellen 
Selbstbildes. Scheitern scheint heute als Teil des individuellen Lebens 
nicht nur akzeptiert, sondern sogar geschätzt zu werden. Weiter noch: 
Die Wirtschaft, an der zu orientieren sich Bildungs-, Wissenschafts- und 
Kulturpolitik ebenso gerne rühmen, wie die Spitzen des Bibliothekswesen, 
sieht das Scheitern von unvernüftigen (ergo kreativen) Projekten und 
Unternehmungen als Innovationsmotor an. (Vgl. Hutter, Michael / Das 
Potenzial des Irrationalen : Scheinbar Unvernünftiges kann sich als 
kreativ durchsetzen 
<http://www.wzb.eu/sites/default/files/publikationen/wzb_mitteilungen/wm132.gesamt_0.pdf>.
 
-- In: WZB Mitteilungen 132/2011, S. 7-9)

Warum also sollen wir in Wissenschaft und Bibliothekswesen nicht gerade 
vom Scheitern lernen? Davon, wie und vor allem warum bestimmte Projekte 
nicht funktionierten. Davon, wie Projektergebnisse differenziert 
dargestellt und bewertet werden. Davon, wie speziellen Angebote nicht 
angenommen, Erwartungen sich nicht erfüllt haben. Davon, wo Geld und 
Personal vollkommen sinnlos eingesetzt wurde. Auch davon, wo man 
Sackgassen beschritt, die niemand anders wieder beschreiten müsste -- 
wenn man sie denn öffentlich machte. In der wissenschaftlichen 
Ausbildung wird immer wieder darauf hingewiesen, dass auch eine negative 
Antwort auf eine Forschungsfrage ein wissenschaftliches Ergebnis sein 
kann -- weil man immerhin das weiß. Ist es möglich, dieses Wissen auch 
in den laufenden Betrieb von Bibliotheken und der Wissenschaftspraxis 
einzubringen?

Die 20. Ausgabe der LIBREAS soll sich dem gesamten Themenbereich des 
Scheiterns widmen: Was scheitert wieso? Kann man das verhindern und 
sollte man es überhaupt verhindern? Was kann man aus dem Scheitern 
lernen? Mit welchen rhetorischen Kniffen maskiert man Scheitern am 
besten und wie deckt man diese wieder auf? Wir rufen dazu auf, diese 
Debatte erfolgreich werden zu lassen und sich an ihr mit Berichten, 
Artikeln, Meinungsäußerungen zu beteiligen.

Redaktionsschluss ist der 31.12.2011 . Für Rückfragen oder eine 
inhaltliche Diskussion steht die Redaktion gerne bereit.

-- 
http://www.inetbib.de


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.