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[InetBib] Call for Paper: LIBREAS #19: Zensur und Ethik
- Date: Tue, 05 Apr 2011 16:28:50 +0200
- From: Karsten.Schuldt@xxxxxxx
- Subject: [InetBib] Call for Paper: LIBREAS #19: Zensur und Ethik
Werte Kolleginnen und Kollegen,
ich möchte Sie im Namen der Redaktion auf den aktuellen Call for Paper der
LIBREAS zum Thema Zensur und Ethik hinweisen. Wir freuen uns über Beiträge aus
der Praxis bzw. solchen, die sich aus praktischen Frage ergeben.
Als PDF findet sich der Call auch hier:
http://libreas.files.wordpress.com/2011/04/libreas_cfp_19_zensur_und_ethik.pdf
m.f.G.
Karsten Schuldt
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Call for Papers LIBREAS #19: Zensur und Ethik
Während in den arabischen Staaten Diktaturen versuchen, die demokratischen
Revolutionen unter anderem mittels direkter Zensur aufzuhalten – egal, ob mit
dem Versuch, ein ganzes Land fast vollständig vom Internet abzuschneiden, wie
in den letzten Tagen von Mubaraks Ägypten oder aber durch die Kontrolle des
einzigen offiziellen Internetzugangs eines Landes durch eine Firma der Familie
des Diktators, wie in Libyen – steht Deutschland im 21. Jahrhundert in Sachen
Presse- und Meinungsfreiheit sehr gut da. Das mag in Bezug auf die deutsche
Geschichte, aber auch angesichts politischer Auseinandersetzungen der letzten
Jahre, vielleicht erstaunen. Dennoch: die Grenzen des Erlaubten sind weit
geworden, Rückschläge der Meinungsfreiheit offen skandalisiert. Ist da Zensur
überhaupt ein Thema für Bibliotheken? Wir behaupten ja. Und das nicht nur im
internationalen und historischen Kontext. Denn in einer Gesellschaft, in der
Meinungsfreiheit ein tatsächlich vorhandenes Gut gewor
den ist, werden subtilere Formen der Zensur thematisierbar.
Zensur liegt nicht nur vor, wenn Meinungen direkt unterdrückt und in den
Untergrund gedrängt werden; Zensur bedeutet auch, dass einige Meinungen über-
und andere unterrepräsentiert werden. Es wird auch argumentiert, dass
unkritischer Lobbyismus eine Form von Zensur darstellen kann. Es scheint, als
würde die Kraft des besseren Arguments durch die Kraft des Lauteren ersetzt.
So stellen sich Fragen an Bibliotheken: Reflektiert der Bestandsaufbau, die
Repräsentation in Medienaufstellung und Katalog diese Problematik? Müssen
Bibliotheken thematisch alles anbieten, müssen sie im inhaltlichen Mainstream
wenig vertretene Meinungen repräsentieren? Ist die teilweise Übergabe von
Bestandsentscheidungen bei der Standing Order eine gewisse Form von Zensur, da
die enthaltenen Medien in den Beständen deutscher Bibliotheken
überrepräsentiert werden?
Bei der Diskussion des Themas Zensur in der Redaktion kamen wir immer wieder
auf Erotika und Pornographie zu sprechen. Was darf gezeigt werden? Was nicht?
Was nicht mehr? Was wird als normal repräsentiert, was als suspekt, a-normal
und pervers? Marquis de Sade und Leopold von Sacher-Masoch führten diese
Auseinandersetzungen zu Zeiten der Aufklärung, die '68er und Hippies dann im
20. Jahrhundert. Wie sieht es heute aus, wo einerseits von der Sexualpädagogik
immer wieder ein Trend zur relativ selbstbestimmten Selbstpornographisierung
von Jugendlichen im Internet festgestellt wird, andererseits Pornographie immer
noch eines der wenigen Felder darstellt, auf denen Bild- und
Publikationsverbote verhandelt werden? Ist es nicht so, dass eine Betrachtung
sexualpolitischer Auseinandersetzungen uns auch Auskunft geben wird über
subtile Formen von Normativitätsdebatten, nicht nur im Internet, sondern auch
in der Bibliothek?
Wir können die Frage stellen, ob das Verschwinden harter Formen der Zensur dazu
geführt hat, dass sich in der Gesellschaft ein Bewusstsein für die Bedeutung
freier Information gebildet hat. Die Auseinandersetzungen um die
informationelle Selbstbestimmung in den letzten Jahren scheinen dafür zu
sprechen. Oder war dies nur ein Strohfeuer? Aber wir können diese Frage auch an
die Profession weiterreichen. Damit sind wir sofort beim zweiten Thema, welches
eng mit dem ersten in Verbindung steht: Berufsethik. Gehört es zum ethischen
Inhalt bibliothekarischer Arbeit, für freie Information zu sorgen? Wenn ja: wie
begründet sich das?
In den letzten Monaten gab es eine Auseinandersetzung um die Frage der
bibliothekarischen Ethik, ausgelöst durch ein Dokument, das von "Bibliothek &
Information Deutschland" veröffentlicht worden war und diese Frage klären
sollte. In der Fachwelt stieß es jedoch auf heftigen Widerspruch, und zwar
nicht, weil das Papier vollkommen falsch gewesen wäre, sondern vielmehr, weil
es nicht in der Profession erarbeitet worden war. Nun: Wie ist der aktuelle
Stand dieser Auseinandersetzung? Wie bestimmen wir schließlich den Inhalt
bibliothekarischer Ethik? Gehört der Widerstand gegen Zensur hinzu und wenn ja,
was heißt das?
Interessant war bei der Auseinandersetzung allerdings, dass es keinen
Rückschluss zur Moralphilosophie gab. Hat uns diese gar nichts zu sagen? Und
waren die gesamten Auseinandersetzungen der Systemtheorie mit Fragen der
Soziologie der Moral umsonst? Bezogen auf das Bibliothekswesen: Benötigt die
bibliothekarische Ethik keine Grundüberlegungen zur Formulierung und
Durchsetzung von Ethik? Kann sie sich selber begründen und wie kann sie
eigentlich die Arbeit von Bibliotheken beeinflussen?
Die Fragen zu beiden miteinander verschränkten Themen der 19. Ausgabe von
LIBREAS sind also zahlreich und weitreichend. Neben zeitgenössischen Fragen,
gerade im Zusammenhang mit neueren gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um
Internetpolitik und Jugendschutz, sind auch historische Fragen noch vollkommen
ungeklärt. Wir rufen dazu auf, Beiträge zu diesem Thema einzureichen:
Untersuchungen, Diskussionsangebote, aber auch Berichte aus der Praxis. Als
LIBREAS sind wir an einem breiten Diskurs interessiert.
Der Redaktionsschluss der Ausgabe #19 ist der 19.06.2011. Die Redaktion freut
sich auch auf weitere, für die Thematik relevante Vorschläge für diese Ausgabe.
Ohne Frage drängen sich durch die weltpolitische Lage, insbesondere im
arabischen Raum, internationale Fragestellungen auf. Die LIBREAS-Redaktion
möchte dazu ermutigen, sich im Rahmen dieser Ausgabe auch diesen Fragen zu
stellen.
Ihre LIBREAS-Redaktion (Berlin, Bielefeld, Leuven, Mannheim)
Kontakt und weitere Informationen: www.libreas.eu
--
"Die Vorstellung, es gäbe so etwas wie Diskurshoheit,
ist eine Kompensation von realen und politischen Einflussverlusten
von Intellektuellen. Da man mit Kritik an Verhältnissen
offensichtlich nicht mehr weiterkommt, gewinnt man halt
die Hoheit über Diskurse."
[Diedrich Diederichsen, De:Bug 117]
[artikel und arbeiten: www.karstenschuldt.info]
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