Hallo, Herr Graf -
Aber mein Gerechtigkeitsempfinden rebelliert dagegen, wenn
der CDU-Politiker Andreas Kasper, der nichts anderes als
Guttenberg getan hat, naemlich eine Dissertation als
Flickenteppich fremder Autoren eingereicht (womoeglich
harmloser noch als Guttenberg), von der Staatsanwaltschaft
Goettingen wegen des URHEBERRECHTSVERSTOSSES einen
(akzeptierten) Strafbefehl ueber 9000 Euro aufgebrummt
bekam, waehrend bei Guttenberg so getan wird, als liege
keine Straftat vor:
Da haben Sie recht, und ich sehe die Absurdität des o.g. Urteils und
seiner Akzeptanz, auch wenn ich, was die 'Harmlosigkeit' des Ganzen
angeht, eher bei den Doktoranden stehe - im Gegensatz zu dem, was Herr
Ulmer hören oder lesen möchte, geht es ja nun bei der aktuellen
Geschichte zunächst um zweierlei ganz anderes als das Urheberrecht.
Dies wären
1) die Integrität von Wissenschaft und Forschung bzw. den Stellenwert
und die Bedeutung dieser Integrität, und
2) die Verpflichtung, Quellen korrekt zu zitieren bzw. anzugeben, also
dem Umgang mit Materialien in der konkreten Arbeit am Text.
Diese beiden Dinge haben mit Urheberrecht erstmal nichts zu tun, auch
wenn Verlagen seit jeher oft selbst die erlaubten "sieben Zeilen" zu
viel waren, so wie der Musikindustrie die Mixkassette unter Freunden.
Dass politische u.a. Instanzen anscheinend obige Unterscheidungen
nicht treffen können oder wollen, spricht eher für deren Ferne von den
Themen und oftmals Ahnungslosigkeit (zeigt evtl. noch auf Doppelmoral
und den Versuch gezielter Konfusion) als dafür, dass in dieser Debatte
in irgendeiner Weise dem Urheberrecht das Wort geredet würde.
Man sollte nicht Zitierregeln mit Urheberrecht verwechseln - da gibt
es überhaupt keine notwendigen Zusammenhänge! Der einzige
Verbindungspunkt ist das geistige Eigentum, und der Umgang mit diesem
wird gerade 'in praxi' neu definiert, ob das nun den Verlagen und
Vertrieben usw. passt oder nicht.
Man sollte auch nicht, wie es offenbar Herr Ulmer tut, in einer
komplexen, von sehr vielseitigen und gegensätzlichen Interessen
beeinflussten Debatte, diese Dinge zusammenschmeißen und unnötig
verkomplizieren. Zumindest dann nicht, wenn eine Lösung angestrebt
wird.
Es sagt schon einiges, dass man von den Autoren verschiedener Medien
eher wenig Protest hört. Die sehen die Chancen.
Quaken tut der Zwischenhandel und macht alle kopfscheu. Aber selbst
die distributiven und monetären Begleitumstände technischer
Veränderung haben GAR NICHTS mit wissenschaftlich integerem Handeln
und Ethos bei der Arbeit zu tun.
Da braucht sich nichts groß zu ändern, das muss nur wahrgenommen werden.
Auch bei kompletter Abwesenheit eines Urheberrechts würden bzw.
sollten die historisch entstandenen Selbstverpflichtungen
wissenschaftlichen Arbeitens immer noch greifen - wenn nicht sogar
stärker, da sie noch mehr die Verantwortlichkeit des Einzelnen, des
erwachsenen Wissenschaftlers, für seine Arbeit fordern.
Bibliotheken und Archive aller Medien können, ob nun per Katalog oder
per Cloud, Garanten dieser Integrität sein.
Das Urheberrecht andererseits resultiert m.E. historisch aus einer
Vertretung von Autoreninteressen gegenüber auch besonders Verlagen und
Vertrieben, und die merken nun vage, dass der weiche Sessel aus
Rechtssicherheit und Selbstgefälligkeit, in dem sie einige hundert (im
Fall der Druckverlage) oder auch nur vierzig oder so Jahre (wie die
Musikvertriebe) bequem und profitabel geruht haben, hinten brennt.
Die technischen Veränderungen bedeuten Verdienstausfall für die
Medienvertriebe, da diese die Wege zum Endabnehmer nicht mehr
kontrollieren können. Sie sind obsolet wie die Tresenbibliothek und
handgeschriebene Hauptbücher. Was einmal wichtige und ohne Zweifel
dankenswerte Dienstleistung war, wird zu einem massiven Hindernis für
die Zukunft.
Man könnte diese Art von Kontrolle über den Zugang zu Medien
historisch betrachtet mit dem Handeln rheinischer Raubritter auf ihren
Burgen vergleichen, die einzig kraft der Baumstämme und eisernen
Ketten, die das Flussbett durchzogen, Zoll fordern konnten. Der Strom
der Zeit hat sie weggespült. Und auch wenn es immer noch Zölle gibt -
so richtig trauert ihnen wohl niemand nach. Außer vielleicht den
adligen Erben, denen solche Willkür und Selbstherrlichkeit heute nicht
mehr zugestanden werden.
Kreative, sinnvolle und ansprechende Lösungen haben die Intermediäre
eher keine zu bieten. Anstatt zu versuchen, den Wandel zu tragen, zu
verbessern und zu fördern, kreischen sie nach dem Status Quo und
behaupten ein Naturrecht auf die nun schwindenden Profite. Sie
bringen, wie man heute so sagt, sich gar nicht in den
Veränderungsprozess ein - aber dieser Damm wird brechen nach der
finalen Stasis, egal wie sie sich stemmen.
Die Vertriebsformen werden sich weiter massiv verändern - eher
zugunsten der Autoren, die nicht mehr gezwungen sind, Knebelverträge
zu unterschreiben, um Verbreitung zu finden.
Der überflüssig gewordene Zwischenhandel hat den Schuss nicht gehört
und wird ausgeschaltet (und zickt dabei rum wie arabische Despoten),
zugunsten der Enden der Transaktion.
Jede Weitergabe von unveränderten Daten könnte anstatt als Diebstahl
ja nun immer auch als Existenzsicherung des Geschaffenen betrachtet
werden - gegen tote Festplatten, brennende Bibliotheken und Zensur.
Nicht die Übernahme (oder auch Weitergabe) von Vorgefertigtem/
Vorgefundenem ist das Problem, sondern durch das Unterlassen der
Nennung der Provenienz.
Wikipedia @ http://de.wikipedia.org/wiki/Zitat : " Ein Zitat ist ein
expliziter Hinweis auf einen anderen Autor."
Sonst isses kein Zitat.
Sonst wären ja Archive kriminell...
Die Autoren werden überleben - schlecht und recht wie eh und je.
Um zum Ausgangsthema zurückzukommen, nochmal der Refrain: Das alles
macht Integrität im (keineswegs nur) wissenschaftlichen Umgang mit
Quellen und korrektes Zitieren allenfalls wichtiger.
In der Hoffung, bei aller Länge nicht gelangweilt zu haben -
Silke Ecks
------ Einige meiner Überlegungen und Formulierungen sind diesem
interessanten Text verpflichtet:
http://www.demonbaby.com/blog/2007/10/when-pigs-fly-death-of-oink-birth-of.html
- von Robert Sheridan. Danke!