[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: [InetBib] FW: Lutz Hachmeister und andere wollen ihren Doktortitel ruhen lassen, solange Guttenberg...



Ist ja etwas viel (wenn auch alles spannend), was hier reingepacht wurde 
- wie soll man das alles diskutieren? Aber was den Zusammenhang mit dem 
Urheberrecht angeht, wird man vielleicht doch differenzieren müssen. Ob 
durch Guttenberg Verwertungsrechte betroffen sind - wo in der Regel 
nicht mehr die Autoren, sondern die verlegenden Institutionen 
(Zeitungen, Zeitschriften. Verlage,...) die Rechteinhaber sind -, 
klammere ich mal aus (selbst die ZEIT, aus der massiv geklaut wurde, 
hält das nicht für so gravierend, als dass sie wohl klagen wird (den 
Verbleib des Ministers unterstützt sie ja sowieso - s. den 
Leitartikelvon di Lorenzo in der ZEIT vom 240211). Aber dass 
Persönlichkeitsrechte hier betroffen sind, vor allem § 13  Anerkennung 
der Urheberschaft <http://www.iuwis.de/gesetz/urhg/13> und § 14  
Entstellung des Werkes, <http://www.iuwis.de/gesetz/urhg/14> kann wohl 
kaum bestritten werden. Ob das für ein strafrechtliches Verfahren 
ausreicht, wenn kein Autor tatsächlich klagt, wird die 
Staatsanwaltschaft entscheiden.

Aber die Wissenschaft (und das BibWesen) (aber natürlich die 
Öffentlichkeit)  muss nicht direkt die politische Konsequenz (also die 
Frage des Verbleibs Guttenbergs als Minister) interessieren, sondern, 
neben den informationsethischen Aspekten, die auch urheberrechtlichen 
und regulatorischen Konsequenzen für den Umgang mit (weiter 
überflüssigerweise so genannten) geistigen Eigentum. Und da ist es für 
die Wissenschaft unabdingbar, dass die Rechte der wissenschaftlichen 
AutorInnenn selber zum einen über die Persönlichkeitsrechte weiter 
behauptet und sie zum andern mit Blick auf ihre Verwertung sowohl weiter 
gestärkt als auch stärker an die Verpflichtung gegenüber die sie ganz 
oder teilweise finanzierenden Öffentlichkeit zurückgebunden werden.

Jeder, der wie hier im INETBIB, die aktuelle Urheberrechtsdebatte im 
Vorfeld des Dritten Korbs verfolgt, wird sofort erkennen, dass es hier 
zunächst um die Festschreibung eines unabdingbaren 
Zweitveröffentlichungsrechts im Urh-Vertragsrecht geht (vermutlich über 
§ 38 UrhG). Ob das ausreicht, um die im Zusammenhang der 
Guttenberg-Affäre immer klarer erkennbare Notwendigkeit der 
Open-Access-Verfügbarkeit aller ganz oder teilweise mit öffentlichen 
Mitteln und in öffentlichen Umgebung erstellten wissenschaftlichen 
Werke, kann zwar bezweifelt werden. Aber immerhin ... wenn zumindest als 
Anfang, was leichter, vermutlich ohne das Urheberrecht zu realisieren 
ist, jede Dissertation verpflichtend in elektronischer Version ins Netz 
gestellt werden muss. Da mag es immer noch Plagiat geben - aber dann ist 
man wirklich zu dumm, das zu riskieren.
Das alles nur sehr vorläufig, vielleicht gibt es weiterführende 
konstruktive Anmerkungen und Vorschläge hier.
RK

Am 26.02.2011 23:33, schrieb Silke Ecks:
Hallo, Herr Graf -

Aber mein Gerechtigkeitsempfinden rebelliert dagegen, wenn
der CDU-Politiker Andreas Kasper, der nichts anderes als
Guttenberg getan hat, naemlich eine Dissertation als
Flickenteppich fremder Autoren eingereicht (womoeglich
harmloser noch als Guttenberg), von der Staatsanwaltschaft
Goettingen wegen des URHEBERRECHTSVERSTOSSES einen
(akzeptierten) Strafbefehl ueber 9000 Euro aufgebrummt
bekam, waehrend bei Guttenberg so getan wird, als liege
keine Straftat vor:
Da haben Sie recht, und ich sehe die Absurdität des o.g. Urteils und
seiner Akzeptanz, auch wenn ich, was die 'Harmlosigkeit' des Ganzen
angeht, eher bei den Doktoranden stehe - im Gegensatz zu dem, was Herr
Ulmer hören oder lesen möchte, geht es ja nun bei der aktuellen
Geschichte zunächst um zweierlei ganz anderes als das Urheberrecht.

Dies wären
1) die Integrität von Wissenschaft und Forschung bzw. den Stellenwert
und die Bedeutung dieser Integrität, und
2) die Verpflichtung, Quellen korrekt zu zitieren bzw. anzugeben, also
dem Umgang mit Materialien in der konkreten Arbeit am Text.

Diese beiden Dinge haben mit Urheberrecht erstmal nichts zu tun, auch
wenn Verlagen seit jeher oft selbst die erlaubten "sieben Zeilen" zu
viel waren, so wie der Musikindustrie die Mixkassette unter Freunden.

Dass politische u.a. Instanzen anscheinend obige Unterscheidungen
nicht treffen können oder wollen, spricht eher für deren Ferne von den
Themen und oftmals Ahnungslosigkeit (zeigt evtl. noch auf Doppelmoral
und den Versuch gezielter Konfusion) als dafür, dass in dieser Debatte
in irgendeiner Weise dem Urheberrecht das Wort geredet würde.

Man sollte nicht Zitierregeln mit Urheberrecht verwechseln - da gibt
es überhaupt keine notwendigen Zusammenhänge! Der einzige
Verbindungspunkt ist das geistige Eigentum, und der Umgang mit diesem
wird gerade 'in praxi' neu definiert, ob das nun den Verlagen und
Vertrieben usw. passt oder nicht.

Man sollte auch nicht, wie es offenbar Herr Ulmer tut, in einer
komplexen, von sehr vielseitigen und gegensätzlichen Interessen
beeinflussten Debatte, diese Dinge zusammenschmeißen und unnötig
verkomplizieren. Zumindest dann nicht, wenn eine Lösung angestrebt
wird.

Es sagt schon einiges, dass man von den Autoren verschiedener Medien
eher wenig Protest hört. Die sehen die Chancen.
Quaken tut der Zwischenhandel und macht alle kopfscheu. Aber selbst
die distributiven und monetären Begleitumstände technischer
Veränderung haben GAR NICHTS mit wissenschaftlich integerem Handeln
und Ethos bei der Arbeit zu tun.

Da braucht sich nichts groß zu ändern, das muss nur wahrgenommen werden.

Auch bei kompletter Abwesenheit eines Urheberrechts würden bzw.
sollten die historisch entstandenen Selbstverpflichtungen
wissenschaftlichen Arbeitens immer noch greifen - wenn nicht sogar
stärker, da sie noch mehr die Verantwortlichkeit des Einzelnen, des
erwachsenen Wissenschaftlers, für seine Arbeit fordern.

Bibliotheken und Archive aller Medien können, ob nun per Katalog oder
per Cloud, Garanten dieser Integrität sein.


Das Urheberrecht andererseits resultiert m.E. historisch aus einer
Vertretung von Autoreninteressen gegenüber auch besonders Verlagen und
Vertrieben, und die merken nun vage, dass der weiche Sessel aus
Rechtssicherheit und Selbstgefälligkeit, in dem sie einige hundert (im
Fall der Druckverlage) oder auch nur vierzig oder so Jahre (wie die
Musikvertriebe) bequem und profitabel geruht haben, hinten brennt.

Die technischen Veränderungen bedeuten Verdienstausfall für die
Medienvertriebe, da diese die Wege zum Endabnehmer nicht mehr
kontrollieren können. Sie sind obsolet wie die Tresenbibliothek und
handgeschriebene Hauptbücher. Was einmal wichtige und ohne Zweifel
dankenswerte Dienstleistung war, wird zu einem massiven Hindernis für
die Zukunft.

Man könnte diese Art von Kontrolle über den Zugang zu Medien
historisch betrachtet mit dem Handeln rheinischer Raubritter auf ihren
Burgen vergleichen, die einzig kraft der Baumstämme und eisernen
Ketten, die das Flussbett durchzogen, Zoll fordern konnten. Der Strom
der Zeit hat sie weggespült. Und auch wenn es immer noch Zölle gibt -
so richtig trauert ihnen wohl niemand nach. Außer vielleicht den
adligen Erben, denen solche Willkür und Selbstherrlichkeit heute nicht
mehr zugestanden werden.

Kreative, sinnvolle und ansprechende Lösungen haben die Intermediäre
eher keine zu bieten. Anstatt zu versuchen, den Wandel zu tragen, zu
verbessern und zu fördern, kreischen sie nach dem Status Quo und
behaupten ein Naturrecht auf die nun schwindenden Profite. Sie
bringen, wie man heute so sagt, sich gar nicht in den
Veränderungsprozess ein - aber dieser Damm wird brechen nach der
finalen Stasis, egal wie sie sich stemmen.

Die Vertriebsformen werden sich weiter massiv verändern - eher
zugunsten der Autoren, die nicht mehr gezwungen sind, Knebelverträge
zu unterschreiben, um Verbreitung zu finden.
Der überflüssig gewordene Zwischenhandel hat den Schuss nicht gehört
und wird ausgeschaltet (und zickt dabei rum wie arabische Despoten),
zugunsten der Enden der Transaktion.


Jede Weitergabe von unveränderten Daten könnte anstatt als Diebstahl
ja nun immer auch als Existenzsicherung des Geschaffenen betrachtet
werden - gegen tote Festplatten, brennende Bibliotheken und Zensur.
Nicht die Übernahme (oder auch Weitergabe) von Vorgefertigtem/
Vorgefundenem ist das Problem, sondern durch das Unterlassen der
Nennung der Provenienz.

Wikipedia @ http://de.wikipedia.org/wiki/Zitat : " Ein Zitat ist ein
expliziter Hinweis auf einen anderen Autor."
Sonst isses kein Zitat.
Sonst wären ja Archive kriminell...


Die Autoren werden überleben - schlecht und recht wie eh und je.

Um zum Ausgangsthema zurückzukommen, nochmal der Refrain: Das alles
macht Integrität im (keineswegs nur) wissenschaftlichen Umgang mit
Quellen und korrektes Zitieren allenfalls wichtiger.

In der Hoffung, bei aller Länge nicht gelangweilt zu haben -

Silke Ecks


------ Einige meiner Überlegungen und Formulierungen sind diesem
interessanten Text verpflichtet:
http://www.demonbaby.com/blog/2007/10/when-pigs-fly-death-of-oink-birth-of.html
- von Robert Sheridan. Danke!



-- 
********************************
Prof. Dr. Rainer Kuhlen
FB Informatik und Informationswissenschaft
Universität Konstanz

URL: www.kuhlen.name
Projekt IUWIS HU-Berlin: www.iuwis.de
Email: rainer.kuhlen@xxxxxxxxxxxxxxx


-- 
http://www.inetbib.de


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.