Lieber Herr Kuhlen,
ihrem Fazit, dass sich die Betroffenen dringend
zusammensetzen sollten (nicht
nur, aber auch wg. 137 l; eine wünschenswerte
Verständigung hinsichtlich
möglichst vieler Punkte muss ja keinesfalls die Aufgabe
wichtiger
Grundsatzpositionen implizieren oder einen Dissens in
anderen Punkten
ausschließen), kann ich nur zustimmen. Niemand hat -
anders als Sie mokant
unterstellen - dafür plädiert, die Interpretation des
Börsenvereins als
"richtungsweisend für Bibliotheksinteressen und denen
wissenschaftlicher
Autoren" anzusehen. Aber es handelt sich immerhin um eine
vergleichsweise
sorgfältig und detailliert ausgearbeitete und durchaus
Gegenmeinungen
berücksichtigende oder erwähnende Handreichung für die
Praxis, die wir schon
deswegen nicht ignorieren sollten, weil die Gesetzeslage
unklar ist und weil die
Verlage die Vertragspartner der Autoren sind und es
eminent wichtig ist, zu
wissen, wie sie gegenüber ihren Autoren argumentieren.
Nachtragen möchte ich aber, dass ich erst beim zweiten
Lesen verstanden habe,
worauf sich ihr Einwand in ihrer Antwort auf Inetbib an
Graf bezüglich der
3-Monatsfrist eigentlich bezog, und das verdient doch
noch eine Erwiderung.
Sie konzedieren offenbar zunächst, dass Graf "prinzipiell
Recht" hat, dass das
Widerspruchsrecht für zum 1.1.2008 bekannte Nutzungsarten
erst mit dem
31.12.2008 endet.
Was die mir zunächst unverständliche Behauptung meint,
aber "der Satz 3 von
137l gelte auch", wird erst im nächsten Absatz klar, wo
Sie offenbar auf neue
erst nach dem 1.1.2008 technisch bekannte Nutzungsarten
rekurrieren:
D.h. wenn zum 1.1.2008 die Verlage eine
Absichtserklaerung an ihre
Autoren bezueglich einer geplanten neuen, technisch
bekannten
Nutzung abgeschickt haben, für die sie bislang noch
keine
ausdrueckliche Vereinbarung getroffen haben, und dieser
nicht
widersprochen wird, dann ist mit Ende Maerz die
Widerspruchsfrist
abgelaufen.
Das kann sich dann offenbar nur noch auf Nutzungsarten
beziehen, die vor dem
1.1.2008 noch nicht bekannt waren.
Es gibt aber keine neuen Nutzungsarten, die am 1.1.2008
"vom Himmel gefallen"
sind. Oder kennen Sie spontan neue technisch bereits
bekannte Nutzungsarten, die
"in der Pipeline" sind und von denen in allernächster
Zeit, sagen wir in den
nächsten 12 Monaten erwartet werden kann, dass sie auch
wirtschaftlich Bedeutung
erlangen? Bei Berger (GRUR 2005, S. 909) ist nachzulesen:
"Bekannt" i.S. von §
31 IV UrhG ist eine Nutzungsart nicht schon dann, wenn
eine neue Möglichkeit
("im Labor") technisch zur Verfügung steht. Erforderlich
ist, dass die neue
Nutzungsart auch wirtschaftlich Bedeutung erlangt hat."
Natürlich wird man für
eine künftige Mitteilung des Verlags über eine
beabsichtigte neue, bis zum
1.1.2008 unbekannte Art der Werknutzung nicht zur
Voraussetzung machen können,
dass die Nutzungsart zum Zeitpunkt der Mitteilung bereits
als bekannt
vorausgesetzt werden könne, aber wenn der Gesetzgeber
eine Einjahresfrist in
Anbetracht der schon länger anhaltenden Diskussion um den
zweiten Korb als noch
ausreichend angesehen hat und dies bereits von Seiten der
Urheber bezweifelt
wurde, dann kann eine Verkürzung dieser Frist auch bei
Altverträgen auf 3 Monate
nach erfolgter Information durch den Vertragspartner über
die beabsichtigte
Nutzungsaufnahme billigerweise erst nach Ablauf der
Jahresfrist seit
Inkrafttreten des Gesetzes als ausreichend angesehen
werden, jedenfalls dann,
wenn seine Adresse nicht zu ermitteln ist und nicht
sichergestellt ist, ob die
Benachrichtigung den Urheber erreicht. Das dürften auch
die Gerichte kaum anders
sehen. Dass der Fall in der Praxis aber überhaupt so
schnell auftritt, dürfte ganz
abgesehen von dem Fehlen von aktuellen Kandidaten für
neue Nutzungsarten eher
unwahrscheinlich sein, da sich die Verlage nicht ohne Not
mit brandneuen
Nutzungsarten auf rechtlich so unsicheres Terrain begeben
werden, wie sie die
Altverträge darstellen. Viel wahrscheinlicher ist es,
dass neue Nutzungsarten
zuerst mit aktuellen Inhalten getestet werden, also bei
Neuverträgen.
Das Fazit des Urheberrechtsbündnisses jedenfalls, die
eingeräumte Jahresfrist
sei "nur in dem Fall relevant, dass der Verlag keine
Aufnahme der Nutzung der
Online-Rechte beabsichtigt" ("da der Verlag die
Mitteilung über die
beabsichtigte Aufnahme der Nutzung nur an die letzte ihm
bekannte und nicht an
die aktuelle Adresse schicken muss", letzter Satz der
Anlage 3 "Nähere
Erläuterungen"), ist in dieser Form definitiv falsch und
irreführend.
Damit erledigt sich auch dieses Argument, IMHO. Zur
Panikmache besteht kein
Anlaß (unterstelle ich Ihnen auch nicht) und auch nicht
zu Befürchtungen, wenn
man Pech habe, könne es nach dem 31.3. oder ein paar
Monate später schon zu spät
sein. Zum Zurücklehnen und in Ruhe abwarten natürlich
auch nicht (nur für die
Verlage, sofern keine Widersprüche eingehen).
Und was den Vorwurf angeht, quasi ungewollt kommerziellen
Verlagsinteressen
zuzuarbeiten, so könnte man den mit bösem Willen
genausogut oder schlecht auch
umdrehen: möglicherweise bringt ja das
Urheberrechtsbündnis die Verlage erst auf
die Idee, es auf diese Weise zu versuchen, das Problem
kurzfristig in ihrem
Sinne durch eine Fristenverkürzung zu lösen (jedenfalls
in der ursprünglichen,
von ihnen jetzt bestrittenen Interpretation, die sich
aufgrund angenommener
unklarer Rechtslage wohl auch auf zum 1.1.2008 bekannte
Nutzungsarten erstreckte).
Aber das wäre genauso absurd wie der umgekehrte Vorwurf,
und die "Lösung" wäre
keine. Der Aufwand wäre, wenn der Verlag nicht sowieso
einen Ergänzungsvertrag
anstrebt, unverhältnismäßig hoch. Auch wenn der
Gesetzeswortlaut sich über
solche Details nicht weiter auslässt, ist der
Börsenverein der Meinung, dass es
nicht reiche, dem Autor eine entsprechende Mitteilung an
seine zuletzt bekannte
Anschrift zu senden, vielmehr sagt er, komme die
Mitteilung als unzustellbar
zurück, müsse bei der zuständigen Verwertungsgesellschaft
nachgefragt werden ,
welche Anschrift des Autors dieser vorliegt und ggf.
unter dieser die Zustellung
erneut versucht werden (vgl. B.6, wo auch noch diskutiert
wird, ob eine
Adressrecherche bei der zuständigen
Verwertungsgesellschaft entbehrlich gemacht
werden kann. Der Punkt endet übrigens mit dem sehr
vernünftigen Fazit, der
Börsenverein werde sich dafür einsetzen, dass dieses
Problem im Zusammenwirken
aller Beteiligter vernünftig gelöst wird.) Zudem läuft
der Verlag das Risiko,
den Urheber erst mit der Nase auf seine
Widerspruchsmöglichkeit zu stoßen, was
schon Berger 2005 ins Feld führte (GRUR 2005, S. 911, 2.
Widerspruch). Berger
weist übrigens auch bereits daraufhin, wie der Verlag
tatsächlich die
Jahresfrist verkürzen kann, nämlich indem er die
Initiative ergreift und eine
ausdrückliche Abrede über die Nutzung mit dem Urheber
anstrebt: das
Widerspruchsrecht entfällt nach § 137 l (3) mit einer
entsprechenden
Vereinbarung. Das geht aber nur mit einer ausdrücklichen
Vereinbarung und gerade
nicht mit "Schweigen als Willenserklärung" oder gar
Briefen, die nicht ankommen.
Richtig ist, dass der Hinweis auf die relativ kurz
bemessene 3-Monatsfrist für
künftige neue noch unbekannte Nutzungsarten weiterhin
gilt und auch in Zukunft
wichtig bleibt. Das gilt nach dem o.g. zunächst
insbesondere für Neuverträge,
deshalb ist es in jedem Fall begrüßenswert, wenn Sie
schreiben, das
Aktionsbündnis unterstütze alle Maßnahmen, die die
informationelle Autonomie der
Autoren unterstützen, auch die Forderung an
wissenschaftliche Autoren, im
Interesse der Öffentlichkeit grundsätzlich keine
exklusiven Nutzungsrechte mehr
an Verlage oder Content Provider abzugeben ist richtig.
Und im Ergebnis gibt es
letztlich auch keinen Dissens, dass das "Aktionsbündnis
mit seiner Empfehlung
eines zeitlich frühen vorsorglichen Widerspruchs,
rechtzeitig im Jahr 2008, auf
der richtigen Seite" ist. Das bleibt schon deshalb
richtig, weil sich die
bisherigen Kampagnen als unzureichend erwiesen haben und
dringend verstärkt
werden müssen. Dafür ist selbst die Jahresfrist noch
knapp genug, wenn man sich
die Dimensionen veranschaulicht, wieviel individuelle
Rechteübertragungen und
Widersprüche da erfolgen müssen. Ich konstatiere zudem
eine weitgehende
Konvergenz der Ansichten von Steinhauer und Graf und
neige ebenfalls dazu, ab
jetzt offensiv das Kombi-Pack von Widerspruch und
Rechteeinräumung an
Schriftenserver zu bewerben. Auch für die
Vorsichtsmaßnahme, auch bei schon bis
31.12. vorgenommenen Einräumungen einfacher
Nutzungsrechte an Schriftenserver
nachträglich durch Widersprüche bei den Verlagen
abzusichern, sprechen
gewichtige Gründe, nicht nur der schon von Steinhauer
angeführte, sondern auch
die von Berger (GRUR 2005, S. 911, Kap. III.1, letzter
Absatz) und im Anschluß
daran wohl auch vom Börsenverein vertretene Argumentation
hinsichtlich der den
Anfall ausschließlicher Nutzungsrechte nach §33 UrhG
nicht hindernden
Einräumung einfacher "Zwischennutzungsrechte" an Dritte.
Bedarf an Hilfestellungen für die Wissenschaftler gibt es
noch zu Genüge, eo
ipso also auch für einen stärkeren Erfahrungsaustausch
der Schriftenserver bzw.
der sie betreuenden Bibliotheken untereinander (Konstanz
war dafür ein guter
Anfang); dazu gehört auch die Problematik, an wen auf
Verlagsseite die Schreiben
eigentlich heute zu richten sind angesichts der vielen
Fusionen im Verlagswesen
und der Einverleibung deutscher Verlage durch
ausländische Investoren oder
Verlagskonzerne, ohne dass das jeder Wissenschaftler
individuell selbst
herausbekommen muss.
Mit besten Grüßen,
B.-C. Kämper, UB Stuttgart