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Re: [InetBib] Neu im Bibliotheksportal: "Bibliothekswert-Rechner"
- Date: Sat, 2 Aug 2008 11:48:57 +0200
- From: Walther Umstaetter <h0228kdm@xxxxxxxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Neu im Bibliotheksportal: "Bibliothekswert-Rechner"
Sehr geehrter Herr Schleiwies,
ich kann und will Ihnen in weiten Bereichen nicht widersprechen,
und bin in dem was ich schrieb zu wenig auf die Öffentlichen
Bibliotheken eingegangen,
um thematisch nicht auszuufern.
Bei den ÖBs und der Bildung ist es etwas komplexer als bei den WBs und
der Wissenschaft.
Vermutlich sind die Einsparungen eines Staates durch gute ÖBs noch
höher als bei WBs.
Es ist nur schwerer kalkulierbar, weil man schon bei Kleinkindern und
deren Folgekosten ansetzen muss.
Um junge Menschen zum lesen zu bringen, würde ich auch nicht gerade
mit dem Faust,
beginnen, um bibliotheksattraktiv zu wirken. Im Gegenteil, ich bin
auch der Meinung, das Bibliotheken
"Schund" nur erkennbar machen können, wenn sie ihn mit anbieten, und
der lockt bekanntlich auch.
Man muss Schund gelesen halben, um ihn beurteilen zu können. Nur zu
viele Leser kommen
über den Schund gar nicht erst hinaus, was man an den Absatzzahlen
bestimmter Bücher, Zeitungen und
Zeitschriften unschwer ablesen kann.
Ich habe als jugendlicher "Mein Kampf" gelesen, darum kann ich es mir
bis heute leisten
zu sagen, was für ein Unsinn dort drin steht. Das ist nachweisbarer
Schund,
wenn man als "Führer" behauptet, man müsse alle Fehler und Rückschläge
einer Politik,
auf das Weltjudentum schieben, damit ein dummes Volk nicht an dieser
Führerschaft zweifelt.
Das ist schon starker Tobak, ein Volk so offenkundig und gezielt
belügen zu wollen.
Und ich bin bis heute der Meinung, dass das mehr Menschen hätten
wirklich lesen sollen.
Daraus aber zu schließen, dass sich Schund nicht als solcher erkennen
lässt,
ist ein verbreitetes Missveständnis.
Bücher müssen nach Ranganathan nicht nur ihre Leser finden, es kommt
auch darauf an, dass sie das
zur richtigen Zeit tun. Ich denke da stimmen wir völlig überein.
Auch darin, dass wir als Bibliotekare nicht den Lesern vorschreiben
sollen, was sie lesen.
Aber wie viele Menschen lesen einfach nur den Trash, den ihnen irgend
eine Reklame aufdrängt.
Nicht zuletzt die einiger Verlage, die so tun als wäre so mancher Sex
and Crime-Nonsens auch noch
Allgemeinbildung, weil man Bestseller gelesen haben muss.
Man kann mit Büchern, Filmen, Vidoespielen oder Fernsehsendungen
bekanntlich unglaublich viele
Menschen ruinieren, *Kuhlen nennt es bei seiner nächsten Tagung
"Information Droge ..."
aber man kann ihnen eben auch Bildungschancen geben. Diese Kosten
(positv bzw. negativ)
sind weitaus höher als die Einsparung eine DVD zu kaufen bzw.
auszuleihen.
Diese Rechnung interessiert die Verlage, für die entscheidend ist,
eine DVD so billig zu verkaufen,
dass sich die Ausleihe aus einer Bibliothek nicht lohnt.
Und mir geht es nur um die Gefahr einer Irreführung, durch eine
pseudowissenschaftliche Kalkulation.
Das volkswirtschaftliche Potential einer Bibliothek liegt um
zehnerpotenzen höher,
als das was ein "Bibliotheksrechner" ermittelt.
Die King Research Group hat vor vielen Jahren in den USA einen
Wissenschaftsverlust
von 5% abgeschätzt, wenn man dort die Biliotheken schließen würde. Das
ist für eine
Wissenschaftsgesellschaft existenzbedrohend, weil Wissenschaft ein
internationaler Wettewerb ist.
Der Geschmack an guten Büchern nimmt direkt proportional mit unserem
Wissen zu.
Diesem wachsenden Anspruch gerecht zu werden ist der große Vorzug
einer guten Bibliothek.
MfG
W. Umstätter
On Aug 1, 2008, at 3:58 PM, Gerald Schleiwies wrote:
Sehr geehrter Herr Umstaetter,
gerne nicke ich zustimmend über Ihre Beiträge, doch dieses Mal
möchte ich aus der Praxis an einigen Stellen widersprechen.
Es gibt im Bereich der Belletristik sicher nicht mehr die Frage "Was
ist Schund?", sondern "Welche Medien für die anvisierten und
festgelegten Zielgruppen?"
Ich bekomme jede Leseförderung kaputt, wenn ich mit den
entsprechenden guten Büchern in die Schulklassen gehe und die
Bestände vor Ort entsprechend bestücke. "Was haben wir nur falsch
gemacht?" hieß es mal von einem Verleger, als bekannt wurde, er
bekäme für ein Buch aus seinem Verlag den Deutschen
Jugendliteraturpreis.
Zudem erinnere ich mich noch gut an eine Diskussion hier im Haus:
"Sollen wir die günstigen Ausgaben von Hans Ernst wirklich
bestellen?" Ein klarer Fall, das müssen wir sogar, denn eine
Zielgruppe unserer Bibliothek wird das Lesen. Nun glöckelt das
Dirndl und es juchzen die Lederhosen vom Schmalzsee im Regal - wenn
die Werke denn mal da sind. Einen erzieherischen Anspruch an die
Zielgruppe stellt sich nicht mehr, der ärmelschoner tragende Beamte
hinter dem Verbuchungstresen ist Geschichte. Für die Zielgruppe sind
wir wertvoll, weil wir etwas für Sie haben; und nur das zählt.
Natürlich freue ich mich über knifflige anspruchsvolle
Rechercheanfragen auf einem gewissen Niveau, meist ist dies aber
wiederum eine andere Zielgruppe. Aber auch für diese sind wir
wertvoll, weil wir einen gewissen Service anbieten. Beide aber
benutzen die Bibliothek und ihre (Zielgruppen)Bestände. Eine
Schnittmenge wird es da wohl kaum geben.
Wenn die Bibliotheksarbeit aber reduziert wird auf einen
Medienausleihrechner aus Kundensicht sehe ich mich in einer
Defensive. Dann reicht ja doch der automatische RFID gestützte
Medienrückgabekasten mit Sortierer und die Selbstverbuchung bei der
Ausleihe, während das Einräumen von 1 Euro Kräften erledigt wird.
Beratung und Service für alle Lebenslagen wird nicht benötigt und
ein freundliches Lächeln und ein kleiner Plausch kann ja endlich
wieder in die nun wieder zu verrauchenden Eckkneipentheke verschoben
werden, die Verbuchungstheke wurde ja bereits abgebaut, der
Cybrarian ist nur über den Monitor erreichbar.
Zudem ist die Belletristik ja ein unnötiges Zeittotschlagen. Wie
Fernsehen, Computerspiele und Mailinglisten auch. Wenn Lieschen
Müller sich bei uns also den Hans Ernst "Schund" ausleiht um Ihre
Rentnerzeit totzuschlagen anstatt als Ehrenamtliche die Bücher ins
Bibliotheksregal zu räumen - dann ist das Ihre Sache! Und wer sich
in der Welt von Heimatromanen, Hr. Silbereisen und den News aus dem
Goldenen Blatt bewegt, der wird nicht zufällig Umberto Ecos "Wie man
eine öffentliche Bibliothek organisiert und andere Anekdoten"
mitnehmen. Zudem empfindet Lieschen Müller Ihre mitgenommene
Literatur nicht als Schund sondern als herrlichen Zeitvertreib und
Unterhaltung.
Bibliotheken sind heute ein passiver Anbieter von Medien, zeitweise
mit einer recht aktiven Neukundenwerbungsmaschinerie, wie
Sommerleseclubs und Bildungspartnerschaften. Einen pädagogischen
oder gar einen weltverbessernden gesellschaftlichen Auftrag sehe ich
nicht und will ihn auch nicht sehen - sollen wir etwa von uns aus
Medien aus unseren Beständen zensieren und verbieten..........
Qualität ist, wenn die Zielgruppen etwas für sich bei uns finden -
und das müssen nicht nur Medien sein! Zudem wachsen geistige
Philosophentürme meist nicht in Innenstädten, da muss aufgrund der
Behindertengerechtigkeit alles schön niedrigschwellig sein.
Goethes unschätzbare Zinsen sehen in Bibliotheken aus wie in der
WIrtschaft. Ich kann ökologisch und ethisch korrekt bei der
Umweltbank meine Gewinne einstreichen, ich kann auch durch das
Haifischbecken des shareholder Value schwimmen. Gewinn bleibt
Gewinn. Bei den Angeboten der öffentlichen Bibliotheken ist es nicht
anders.
Auf gehts ins Feuchtgebiet
(damit meine ich nun aber dieses eklige schwülwarme Wetter in der
Kölner Bucht, nicht das Buch auf dem Nachttisch!)
Gruß
Gerald Schleiwies
Haupstraße 33
50226 Frechen
schleiwies@xxxxxx
Am 01.08.2008 um 14:25 schrieb Walther Umstaetter:
Die Frage nach dem Wert von Bibliotheken im Zusammenhang von
Kosten-Nutzen und -Effektivität ist schon widerholt und auch,
wie ich meine, von der King Research Group besser beantwortet worden.
Eigentlich wäre es dringend notwendig diese Frage ernst, fundiert
und besser als bisher zu beantworten. Dass Bibliotheken
"unschätzbare"
Zinsen tragen wusste schon Goethe. Bibliotheken müssten heute dazu
aber schon noch etwas
genaueres sagen können.
Für höchst gefährlich halte ich aber solche weit zu niedrig
angesetzten Berechnungen,
wie sie sich aus dem genannten Beispiel ergeben. Sie sind
irreführend und
können von denen gegen das Bbliotheswesen ins Feld geführt werden,
die davon
zu wenig verstehen.
Die größten Ersparnisse bei der Kosten-Effektivität in einer
Bibliothek ergeben sich daraus, wie viel Zeit man
spart, all das nicht zu lesen, zu studieren und zu durchsuchen, was
man sich in einer Synopse ersparen kann,
weil eine Bibliothek das hat, was man wirklich braucht
(Ranganathan: Jedem Leser sein Buch.)
So manches Buch und so mancher Aufsatz, nicht zur rechten Zeit
gefunden und gelesen,
hat schon so manches Leben gekostet. (Kosten-Nutzen) Solchen Fragen
ging man bei der Einführung
von MEDLINE vor dreißig Jahren schon nach.
Über die Frage, wie viel Zeit Menschen totschlagen, weil sie Bücher
lesen um belesen zu wirken,
auch im Sinne des "Wir amüsieren uns zu Tode" (N. Postmann), müsste
man in diesem Zusammenhang
auch noch mal nachdenken. Am Beginn des Öffentlichen
Bibliothekswesens hat dieser Kampf gegen
den "Schund" mal eine große Rolle gespielt. Heute freuen sich viel
Bibliothekare/innen schon,
wenn überhaupt gelesen wird, als wäre die Qualität gleichgültig,
weil wir durch unsere Geschichte bedingt,
uns nicht mehr trauen zu sagen, was ein gutes Buch ist. Zu lange
war es in Deutschland selbst hoch
ideologiebelasteter "Schund", der nicht nur zu viel Geld, sondern
auch viele Menschenleben gekostet hat.
Daraus sollte man aber nicht schließen es gäbe keine guten und
schlechten Bücher.
Bei der Ausleihe von Schund hat man also kein Geld gespart, sondern
verloren, wenn man ihn für wetrvoll hält.
Man spart aber durchaus, wenn man die Chance hat, in einer
Bibliothek zu erkennen, was Schund ist, ohne ihn
auch noch bezahlt zu aben. Das ist Volkswirtschtschaft ;-)
MfG
W. Umstätter
On Aug 1, 2008, at 11:42 AM, Nina Frank wrote:
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
eigentlich ist der Wert einer Bibliothek ja unschätzbar.
Trotzdem ist die Idee reizvoll, den Nutzen eines
Bibliotheksbesuchs ganz
konkret und schnell anschaulich zu machen. US-amerikanische
Bibliotheken
haben dafür eine interessante Möglichkeit entwickelt: den
Bibliothekswert-Rechner. Er berechnet einen - natürlich nur
materiellen -
Wert für die Bibliotheksleistungen, die eine Nutzerin oder ein
Nutzer beim
letzten Bibliotheksbesuch in Anspruch genommen hat.
Allzu betriebswirtschaftlich-ernst sollte man diese Methode sicher
nicht
nehmen - aber vielleicht kann sie auch für manch hiesige
Bibliothek ein
ansprechender und "interaktiver" Teil ihrer Öffentlichkeitsarbeit
werden.
Der Bibliotheksrechner ist daher nun, angepasst an die
Gegebenheiten in
Deutschland, auch für deutsche Bibliotheken und ihre Leser/innen
nutzbar. In
spielerischer Form können diese einen Eindruck davon gewinnen,
welchen Wert
die ganz alltägliche Nutzung ihrer Bibliothek für sie erzeugt.
Den Rechner können interessierte Bibliotheken gern in ihre eigene
Webseite
einfügen.
Wir freuen uns auch über Ihr Feedback zum "Bibliotheksrechner". Zu
finden
ist er unter:
http://www.bibliotheksportal.de/hauptmenue/service/kalkulator/
Mit freundlichen Grüßen,
Nina Frank
Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv)
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