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Re: [InetBib] Antw: Re: Nutzungsrechte an Diplom-, Master- und Bachelor-Arbeiten



Lieber Herr Graf,

ich schätze Sie sehr und finde es immer anregend mit Ihnen zu diskutieren. In 
der Frage der Prüfungsarbeiten liegen wir gar nicht soweit auseinander. Ich bin 
vollkommen ihrer Meinung, dass diese Arbeiten wissenschaftlich wervoll sein 
können und eben dann auch publiziert werden sollten. 

Wenn Sie auf meine Äußerung in Inetbib von 2005 anspielen, so zitieren Sie 
diese bitte auch in ihrem Kontext. Es ging um die Aussonderung von in 
Bibliotheken und/oder Archiven bereits vorhandenen Prüfungsarbeiten. Wer mag, 
kann das hier nachlesen: http://archiv.twoday.net/stories/797747

In meiner damaligen Äußerung habe ich angemerkt, dass die Probleme bei der 
Aufbewahrung von Abschlussarbeiten an den Hochschulen sicher auch damit 
zusammenhängen, dass der Hochschulgesetzgeber es versäumt hat, eine 
Ablieferungspflicht für solche Prüfungsarbeiten zu normieren. 

Es war damals keine Rede davon, wie diese Arbeiten im geltenden Recht 
eingeordnet werden und ob etwa der Satzungsgeber in der Hochschule eine 
Rechtspflicht zur Publikation normieren könnte. 

Ich bin sehr dafür, Fragen des geltenden und des zu ändernden Rechts strikt und 
streng auseinander zu halten.

Leider trübt es die Freude der Diskussion mit Ihnen manchmal, wenn Sie zwischen 
geltendem Recht und wünschenswerter Wissenschaftspolitik hin und her wechseln. 
Wir sollten die jeweiligen Ebenen nicht vermengen.

Von dieser Sicht her ist Ihr rhetorisch wohl gesetzter Satz, mich Niemand aus 
Magdeburg dem großen Bundesgesetzgeber eines souveränen Staates 
gegenüberzustellen leider völlig verunglückt. Der Gesetzgeber hat nicht wie ich 
etwas beurteilt, er hat etwas normiert. Das ist ein bedeutender Unterschied. 

Mein Beitrag zu der aktuellen Diskussion beschränkt sich einzig und allein 
darauf, die rechtliche Dimension einer Ablieferungspflicht von studentischen 
Abschlussarbeiten nach deutschem Recht vor dem Hintergrund des geltenden Rechts 
darzustellen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für eine mögliche 
Änderung im Urheberrecht aufzuzeigen. Das ungefähr ist das Thema.

Hier spiele ich gerne Mantra und wiederhole es noch einmal: Nach deutschem 
Prüfungsrecht sind studentische Abschlussarbeiten keine wissenschaftlichen 
Arbeiten im Rechtssinn. Eine aus dem Kriterium der rechtlich geforderten 
Wissenschaftlichkeit sich ableitende Publikationspflicht kann daher nicht 
angenommen werden.

Da wir hier gerade den schönen Vergleich mit dem österreichischen Recht haben, 
möchte ich auf den auch online verfügbaren Kommentar zum UG 2002, herausgegeben 
von Heinz Mayer, hinweisen. Er ist zu finden über http://ug.manz.at/. Diesen 
Kommentar hat auch der Kollege Pauser zitiert.

In der Kommentierung zu § 80 (Bachelor-Arbeiten) von Perthold-Stoitzner findet 
sich der Satz ?Aus verschiedenen Bestimmungen des UG 2002 lässt sich ableiten, 
dass Bachelorarbeiten keine wissenschaftlichen Arbeiten sind (vgl auch Bast, 
Universitätsgesetz 149): § 72 UG 2002 führt im Klammerausdruck nach dem Begriff 
?wissenschaftliche Arbeiten? als nähere Erläuterung nur ?Diplomarbeiten, 
Magisterarbeiten und Dissertationen? nicht jedoch Bachelorarbeiten an.? 

Ergo keine Publikationspflicht. Diplomarbeiten aber werden vom Gesetzgeber als 
wissenschaftliche Arbeiten angesehen. Das ist keine Meinung, das ist eine Norm! 
Daraus folgt nun, dass diese Arbeiten konsequenterweise einem 
Publikationserfordernis unterliegen. 

Kritisch freilich möchte ich hier anmerken, dass der Bundesgesetzber hier auf 
halber Strecke stehengeblieben ist, denn für wert in das kulturelle Gedächtnis 
Österreichs aufgenommen zu werden, erachtet er diese Arbeiten nicht. Sie werden 
nicht in der Nationalbibliothek gesammelt und wohl auch nicht 
nationalbibliographisch erfasst. Also doch: Wissenschaft ?zweiter Klasse?? Ich 
will das nicht vertiefen.

Nun ein Blick nach Deutschland. Nehmen wir, wo Sie, lieber Herr Graf, Magdeburg 
immer gerne erwähnen, meinen Dienstherrn, das Land Sachsen-Anhalt. Dort findet 
sich im Hochschulgesetz in § 18 Abs. 2 eine gesetzliche Definition von 
?schriftlicher wissenschaftlicher Arbeit?. Der Gesetzgeber nennt sie: 
?Dissertation? Im Umkehrschluss sind die Hochschularbeiten, die unterhalb der 
Promotionebene entstehen, keine schriftlichen wissenschaftlichen Arbeiten im 
Rechtssinn. Über eine Publikationspflicht müssen wir hier also nicht mehr reden.

In dieser gesetzlichen Definition liegt der kleine Unterschied zwischen 
Sachsen-Anhalt und Österreich. Rein konstruktiv gehen beide Gesetzgeber mit der 
Klammerdefinition übrigens gleich vor, sehen Sie sich § 72 UG 2002 und § 18 
Abs. 2 HG-LSA einmal an:

§ 72 UG 2002: ?wissenschaftlicher Arbeiten (Diplomarbeiten, Masterarbeiten und 
Dissertationen)? 

§ 18 Abs. 2 HG-LSA: ?schriftlichen wissenschaftlichen Arbeit (Dissertation)?

Um jetzt nicht ein tumber Positivist gescholten zu werden: Könnte man das in 
Sachsen-Anhalt nach österreichischem Vorbild ändern? Das kommt darauf an. Man 
wird hier sicher das Grundrecht der Berufsfreiheit in Art. 12 GG erwägen 
müssen, wenn die Vergabe eines berufsqualifizierenden Abschlusses plötzlich 
nicht nur vom Bestehen der Prüfungsanforderungen, sondern auch von der 
Publikation der schriftlichen Prüfungsarbeit abhängen soll. Warum eigentlich? 
Ist das erforderlich?

Weiterhin wäre, da hier im Gegensatz zur Dissertation ein wesentlich größerer 
Kreis von Personen betroffen wäre, auch auf das Recht der informationellen 
Selbsbestimmung zu achten. Ich finde es nicht unproblematisch, wenn etwa ein 
Arbeitgeber ohne weiteres im Internet die Prüfungsarbeit eines Bewerbers 
einsehen kann. Diese Arbeit kann vom Niveau durchaus schlechter sein als die 
letztlich im Diplom erreichte Note! Oder noch schlimmer, als die wohlwollende 
Bewerung des Prüfers. Hier geht es nicht um eine wissenschaftliche Diskussion, 
sondnern um einen Arbeitsplatz. Dieses Beispiel mag genügen, um die Zumutung 
einer rechtlichen Publikationspflicht für nahezu jedermann zu zeigen.

Übrigens scheint dieser Umstand wohl auch den österreichischen Gesetzgeber 
bewogen zu haben, Diplomarbeiten nicht auf Schriftenserver zu legen, sondern in 
den Hochschulbibliotheken gleichsam zu vergraben, zu rarifizieren und sie damit 
im Kümmerstadium einer Archivalie am untersten Rand von Öffentlichkeit 
dahindümpeln zu lassen. 

Ähnliches gilt übrigens für Dissertationen. Im bereits zitierten Kommentar kann 
man bei § 86 lesen: "Es gibt Staaten, die für Dissertationen eine 
Veröffentlichung durch Drucklegung verlangen. Dieser Weg soll in Österreich auf 
Grund seiner bisherigen Tradition und zur Vermeidung der daraus für die 
Studierenden entstehenden finanziellen Belastungen weiterhin nicht 
eingeschlagen werden?.

Also auch hier: Eine nahezu klandestine Promotion. Lieber Herr Graf, das ist 
doch nicht wirklich Ihr Vorbild?

Eric Steinhauer



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