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Re: [InetBib] 21 mehr oder weniger gute Gründe für gute Bibliotheken



Sehr geehrter Herr Danowski, wie gern würde ich Ihnen widersprechen.

Leider kann ich nicht ;-)

Schon der erste Satz: “Bibliotheken? Stimmt. Die gibt’s ja auch noch.” Ist äußerst fragwürdig. Wir hatten in dieser Welt noch nie so viel Bibliotheken, als Gebäude, als Büchersammlungen und auch als digitale bzw. virtuelle Bibliotheken, wie heute. Wir hatten noch nie so viel Benutzer und Nutzungen, und es wurde noch nie so viel publiziert wie heute. Warum also eine Untergangsstimmung suggerieren, die es nicht gibt. Nur weil es ahnungslose Laien gibt, die meinen, dass das Internet, der Tod der Bibliotheken sein wird, die nicht wissen, dass es die Bibliotheken waren, die diese Entwicklung der Digitalisierung mit hervorgebracht haben? Man schaue doch nur mal auf die Entwicklung der US National Library of Congress zurück. Und wenn man sich das Wachstum des Internet’s ansieht, dann ist es auch kein Zufall, dass dessen Wachstumskuve mit dem Weinberg Report 1963 korrespondiert, auch wenn es damals noch nicht so hieß. Man sprach schlicht von On-line- Datenbanken. Bibliothekslaien wissen das natuurlich nicht, und sie müssen es auch nicht wissen. Die Bibliothekarinnen und Bibliothekare sollten aber so vie Geschichtsbewusstsein im eigenen Fachgebiet haben, dass sie den eigenen Beginn der Digitalisierung von Bibliotheken vor etwa vierzig Jahren, der mit den Bibliografien began, nicht als den Untergang ihrer Zunft assoziieren. Es gibt noch immer zu viele Menschen, und insbesondere Bibliothekarinnen und Bibliothekare, die aus lauter Angst, dass das gedruckte Buch in Gefahr sei, immer und immerwieder Betonen, wie wichtig gedruckte Bücher sind. Sie merken dabei gar nicht, dass sie erst durch diese Betonung das gedruckte Buch in Verruf bringen. Es sind noch nie so viele Bücher gedruckt worden wie heute, und kaum jemand liest mehr als fünf oder zehn Seiten am Bildschirm. Dort durchsuchen oder überfliegen wir Texte, aber wir lessen oder studieren sie noch immer gedruckt. Das elektronische und das gedruckte Buch wird also immer unterennbarer.

Bücher gibt es also schon heute gleichberechtigt gedruckt und elektronisch,. Insofern ist es wahrlich etwas anachronistisch, wenn “21 gute Gründe für gute Bibliotheken” Worte wie Bücher und Büchereien fast immer nur im Kontext mit gedruckten Büchern anspricht:

“Unseren Kindern kaufen wir die Bücher, …”

“Bücher lieben. Viele Kinder lernen das zu Hause nicht mehr, …”
“… der mit ihnen Bilderbücher blättert …”

“… gute Erfahrungen mit Büchern …”

“… Bücher und DVDs in türkischer Sprache ausleihen - …”

“… den Spaß an Büchern beiringen”

“Und Bücher gibt es natürlich auch in der Uni-Bibliothek, …”
“Das Wissen der Bibliothek, ihr Bestand an Büchern, Zeitschriften, DVDs und CDs ist für alle da.”
“Bibliotheken haben Bücher.”
“Bücher sind altes Denken.”
“Büchersammlungen werden bleiben.’
etc.

Überspitzt gesagt verbergen sich dahinter die alten Feindbilder. Gedrucktes zu lesen ist intelligent, am Bildschirm verdummt es. Der Besitz gedruckter Bücher bringt Bildung und das Internet ist eher für spiel- und Googlesüchtige. Natürlich wird das nicht explizit gesagt. es bedient aber die alten Klischees. Dabei können wir täglich beobachten, dass weitaus die meisten gedruckten Bücher, Zeitschriften und Zeitungen das sind, was man früher Schund nannte, und das es weiterhin zu den wichtigsten Aufgaben moderner Bibliothekare gehört, ihren Nutzern Informationskompetenz zu vermitteln, und das heißt nichts anderes, als aus der Fülle an elektronischen und gedruckten Angeboten die richtigen und die besten herauzufiltern. Dass die Digitalisierung unter dem Punkt “Bibliotheken retten Bücher” Erwähnung findet, soll hier nicht verschwiegen werden. Auch Datenbankrecherche, Volltextsuche, und online-Bestellungen werden ja ewähnt. Man kann sich nur des Eindrucks nicht erwehren, dass das gedruckte Buch so gelobt wird, weil das noch immer die Haupteinnahmequelle vieler Verlage und Buchhandlungen ist. Das ist nicht verwerflich. Im Gegenteil, es ist Realität und auch eine biliothekarisch wichtige Erkenntnis.

Nur Bibliotheken sind für eine moderne Wisssenschaftsgesellschaft weit aus mehr, und weitaus wichtiger als nur fördernde Einrichtungen für das gedruckte Buch.

Es ist Zeit, dass man Politikern und all den anderen Entscheidungsträgern dieser Gesellschaft deutlich macht, dass Bibliotheken mit dem Aufkommen elektronischer Dokumente und dem Internet im Informationszeitalter an Bedeutung gewonnen haben und weiterhin gewinnen. Die Reduktion des Buches vorwiegend auf das gedruckte Buch ist dabei höchst kontraproduktiv. Es sollte uns gleichgültig sein, ob Kinder das Lesen auf dem Papier oder am Bildschirm lernen. Es ist ja vielmehr so, dass wir längst Computer produzieren könnten, um den Analphabetismus in der Welt nachhaltig zu bekämpfen, und eine nächste Generation wird das auch unweigerlich tun müssen. Der sog. eeePC sollte da ja schon ein Anfang sein, auch wenn es fragwürdig ist, warum man keinen Pen-Computer produziert, mit dem Kinder spielerisch auch selbständig schreiben lernen könnten. Das ist aber im Moment anscheinend noch kein Markt, mit dem sich Geld verdienen lässt, da kleine Kinder eine ungenügende Zahlungsmoral haben, wie sich im heutigen deutschen Bildungswesen leicht erkennen lässt ;-(

Das Dilemma beginnt schon in den Schulen, in denen die Erkenntnis nun endlich stärker als bisher Platz greifen muss, dass es neben dem herkömmlichen Wissen, das man in Prüfungen abfragen kann, ein immer wichtigeres gibt, das Wissen darüber, was wir wie und wo in der Digitalen Bibliothek finden können. Dazu müsste aber die Verschränkung von Schule und Bibliothek, von Lehrer und Bibliothekar weiter verbessert werden. Wir sind da seit PISA sicher auf einem guten Weg, der sollte aber die Digitalisierung der modernen Bibliothek nicht vernachlässigen.

Die Klarstellung dieses Sachverhaltes sollte noch durchaus zwei oder drei Punkte Wert sein, bei den guten Gründen für gute Bibliotheken.

Mfg
W. Umstätter


On Jun 23, 2008, at 12:42 PM, Patrick Danowski wrote:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

da die Verbände bisher versäumt haben auf dieser Liste auf die Diskussion
um das Strategiepapier „21 gute Gründe für gute Bibliotheken" (
http://www.bib-info.de/positionen/bibliothek2012_mai2008.pdf ) hinzuweisen,
möchte ich dies gerne nachholen. Noch bis Ende des Monats Juni sind
Kommentare und Kritik aus der Fachöffentlichkeit erwünscht. Gerne in dem
extra dafür eingerichtet Weblog:

http://bibinfo.wordpress.com/

In meinem eigenen Weblog (http://www.bibliothek2null.de) werde ich mich die
gesamte Woche, mit einem Beitrag jeden Tag, kritisch mit dem Papier
auseinandersetzen:

http://www.bibliothek2null.de/category/politik/

In ihrem eigenen Blog oder auch in den Kommentaren des BIB-Blogs, oder auch in meinem, können Sie beispielsweise diskutieren, ob die in meinem Weblog aufgeworfenen Fragen richtig sind.. Dreht sich das Papier zu sehr um Bücher und die neuen Medien kommen zu schlecht weg? Oder sehe das alles nur mit
meiner Onliner-Brille?

Werden in diesem Papier zu sehr die gängigen Klischees bedient? Oder werden
alle wichtigen politischen Fragen behandelt? Kommen mit diesem Papier
Bibliotheken auf die Tagesordnung?

Mit diesem Papier soll die nächsten drei Jahre Bibliothekspolitik gemacht
werden, also mischen Sie sich ein, diskutieren Sie mit! Nutzen Sie die
Chance, die sich dank dem Web 2.0 bietet. Nur so können die Vertreter der
Verbände erfahren, was wir denken.

Viele Grüße

Patrick Danowski

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Bibcamp 2009 in Stuttgart:
http://www.bibliothek2null.de/2008/06/09/bibcamp-2009-in-stuttgart/

Bibcamp 2008 Berichte unter:
http://bibcamp.pbwiki.com/Berichte




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