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Re: [InetBib] 21 mehr oder weniger gute Gründe für gute Bibliotheken
- Date: Mon, 23 Jun 2008 18:37:41 +0200
- From: Walther Umstaetter <h0228kdm@xxxxxxxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] 21 mehr oder weniger gute Gründe für gute Bibliotheken
Sehr geehrter Herr Danowski, wie gern würde ich Ihnen widersprechen.
Leider kann ich nicht ;-)
Schon der erste Satz: “Bibliotheken? Stimmt. Die gibt’s ja auch noch.”
Ist äußerst fragwürdig. Wir hatten in dieser Welt noch nie so viel
Bibliotheken, als Gebäude, als Büchersammlungen und auch als digitale
bzw. virtuelle Bibliotheken, wie heute. Wir hatten noch nie so viel
Benutzer und Nutzungen, und es wurde noch nie so viel publiziert wie
heute. Warum also eine Untergangsstimmung suggerieren, die es nicht
gibt. Nur weil es ahnungslose Laien gibt, die meinen, dass das
Internet, der Tod der Bibliotheken sein wird, die nicht wissen, dass
es die Bibliotheken waren, die diese Entwicklung der Digitalisierung
mit hervorgebracht haben? Man schaue doch nur mal auf die Entwicklung
der US National Library of Congress zurück. Und wenn man sich das
Wachstum des Internet’s ansieht, dann ist es auch kein Zufall, dass
dessen Wachstumskuve mit dem Weinberg Report 1963 korrespondiert, auch
wenn es damals noch nicht so hieß. Man sprach schlicht von On-line-
Datenbanken. Bibliothekslaien wissen das natuurlich nicht, und sie
müssen es auch nicht wissen. Die Bibliothekarinnen und Bibliothekare
sollten aber so vie Geschichtsbewusstsein im eigenen Fachgebiet haben,
dass sie den eigenen Beginn der Digitalisierung von Bibliotheken vor
etwa vierzig Jahren, der mit den Bibliografien began, nicht als den
Untergang ihrer Zunft assoziieren.
Es gibt noch immer zu viele Menschen, und insbesondere
Bibliothekarinnen und Bibliothekare, die aus lauter Angst, dass das
gedruckte Buch in Gefahr sei, immer und immerwieder Betonen, wie
wichtig gedruckte Bücher sind. Sie merken dabei gar nicht, dass sie
erst durch diese Betonung das gedruckte Buch in Verruf bringen. Es
sind noch nie so viele Bücher gedruckt worden wie heute, und kaum
jemand liest mehr als fünf oder zehn Seiten am Bildschirm. Dort
durchsuchen oder überfliegen wir Texte, aber wir lessen oder studieren
sie noch immer gedruckt. Das elektronische und das gedruckte Buch wird
also immer unterennbarer.
Bücher gibt es also schon heute gleichberechtigt gedruckt und
elektronisch,. Insofern ist es wahrlich etwas anachronistisch, wenn
“21 gute Gründe für gute Bibliotheken” Worte wie Bücher und Büchereien
fast immer nur im Kontext mit gedruckten Büchern anspricht:
“Unseren Kindern kaufen wir die Bücher, …”
“Bücher lieben. Viele Kinder lernen das zu Hause nicht mehr, …”
“… der mit ihnen Bilderbücher blättert …”
“… gute Erfahrungen mit Büchern …”
“… Bücher und DVDs in türkischer Sprache ausleihen - …”
“… den Spaß an Büchern beiringen”
“Und Bücher gibt es natürlich auch in der Uni-Bibliothek, …”
“Das Wissen der Bibliothek, ihr Bestand an Büchern, Zeitschriften,
DVDs und CDs ist für alle da.”
“Bibliotheken haben Bücher.”
“Bücher sind altes Denken.”
“Büchersammlungen werden bleiben.’
etc.
Überspitzt gesagt verbergen sich dahinter die alten Feindbilder.
Gedrucktes zu lesen ist intelligent, am Bildschirm verdummt es. Der
Besitz gedruckter Bücher bringt Bildung und das Internet ist eher für
spiel- und Googlesüchtige. Natürlich wird das nicht explizit gesagt.
es bedient aber die alten Klischees. Dabei können wir täglich
beobachten, dass weitaus die meisten gedruckten Bücher, Zeitschriften
und Zeitungen das sind, was man früher Schund nannte, und das es
weiterhin zu den wichtigsten Aufgaben moderner Bibliothekare gehört,
ihren Nutzern Informationskompetenz zu vermitteln, und das heißt
nichts anderes, als aus der Fülle an elektronischen und gedruckten
Angeboten die richtigen und die besten herauzufiltern.
Dass die Digitalisierung unter dem Punkt “Bibliotheken retten Bücher”
Erwähnung findet, soll hier nicht verschwiegen werden. Auch
Datenbankrecherche, Volltextsuche, und online-Bestellungen werden ja
ewähnt. Man kann sich nur des Eindrucks nicht erwehren, dass das
gedruckte Buch so gelobt wird, weil das noch immer die
Haupteinnahmequelle vieler Verlage und Buchhandlungen ist. Das ist
nicht verwerflich. Im Gegenteil, es ist Realität und auch eine
biliothekarisch wichtige Erkenntnis.
Nur Bibliotheken sind für eine moderne Wisssenschaftsgesellschaft weit
aus mehr, und weitaus wichtiger als nur fördernde Einrichtungen für
das gedruckte Buch.
Es ist Zeit, dass man Politikern und all den anderen
Entscheidungsträgern dieser Gesellschaft deutlich macht, dass
Bibliotheken mit dem Aufkommen elektronischer Dokumente und dem
Internet im Informationszeitalter an Bedeutung gewonnen haben und
weiterhin gewinnen. Die Reduktion des Buches vorwiegend auf das
gedruckte Buch ist dabei höchst kontraproduktiv.
Es sollte uns gleichgültig sein, ob Kinder das Lesen auf dem Papier
oder am Bildschirm lernen. Es ist ja vielmehr so, dass wir längst
Computer produzieren könnten, um den Analphabetismus in der Welt
nachhaltig zu bekämpfen, und eine nächste Generation wird das auch
unweigerlich tun müssen. Der sog. eeePC sollte da ja schon ein Anfang
sein, auch wenn es fragwürdig ist, warum man keinen Pen-Computer
produziert, mit dem Kinder spielerisch auch selbständig schreiben
lernen könnten. Das ist aber im Moment anscheinend noch kein Markt,
mit dem sich Geld verdienen lässt, da kleine Kinder eine ungenügende
Zahlungsmoral haben, wie sich im heutigen deutschen Bildungswesen
leicht erkennen lässt ;-(
Das Dilemma beginnt schon in den Schulen, in denen die Erkenntnis nun
endlich stärker als bisher Platz greifen muss, dass es neben dem
herkömmlichen Wissen, das man in Prüfungen abfragen kann, ein immer
wichtigeres gibt, das Wissen darüber, was wir wie und wo in der
Digitalen Bibliothek finden können. Dazu müsste aber die Verschränkung
von Schule und Bibliothek, von Lehrer und Bibliothekar weiter
verbessert werden. Wir sind da seit PISA sicher auf einem guten Weg,
der sollte aber die Digitalisierung der modernen Bibliothek nicht
vernachlässigen.
Die Klarstellung dieses Sachverhaltes sollte noch durchaus zwei oder
drei Punkte Wert sein, bei den guten Gründen für gute Bibliotheken.
Mfg
W. Umstätter
On Jun 23, 2008, at 12:42 PM, Patrick Danowski wrote:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
da die Verbände bisher versäumt haben auf dieser Liste auf die
Diskussion
um das Strategiepapier „21 gute Gründe für gute Bibliotheken" (
http://www.bib-info.de/positionen/bibliothek2012_mai2008.pdf )
hinzuweisen,
möchte ich dies gerne nachholen. Noch bis Ende des Monats Juni sind
Kommentare und Kritik aus der Fachöffentlichkeit erwünscht. Gerne in
dem
extra dafür eingerichtet Weblog:
http://bibinfo.wordpress.com/
In meinem eigenen Weblog (http://www.bibliothek2null.de) werde ich
mich die
gesamte Woche, mit einem Beitrag jeden Tag, kritisch mit dem Papier
auseinandersetzen:
http://www.bibliothek2null.de/category/politik/
In ihrem eigenen Blog oder auch in den Kommentaren des BIB-Blogs,
oder auch
in meinem, können Sie beispielsweise diskutieren, ob die in meinem
Weblog
aufgeworfenen Fragen richtig sind.. Dreht sich das Papier zu sehr um
Bücher
und die neuen Medien kommen zu schlecht weg? Oder sehe das alles nur
mit
meiner Onliner-Brille?
Werden in diesem Papier zu sehr die gängigen Klischees bedient? Oder
werden
alle wichtigen politischen Fragen behandelt? Kommen mit diesem Papier
Bibliotheken auf die Tagesordnung?
Mit diesem Papier soll die nächsten drei Jahre Bibliothekspolitik
gemacht
werden, also mischen Sie sich ein, diskutieren Sie mit! Nutzen Sie die
Chance, die sich dank dem Web 2.0 bietet. Nur so können die
Vertreter der
Verbände erfahren, was wir denken.
Viele Grüße
Patrick Danowski
-------
Bibcamp 2009 in Stuttgart:
http://www.bibliothek2null.de/2008/06/09/bibcamp-2009-in-stuttgart/
Bibcamp 2008 Berichte unter:
http://bibcamp.pbwiki.com/Berichte
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.