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[InetBib] Verschnarchte Bibliotheken nutzen Chance nicht
Im DBV-Newsletter liest man:
"Am 31. Oktober 2007 wurde das Zweite Gesetz zur Regelung
des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft im
Bundesgesetzblatt verkuendet. Der so genannte "Zweite Korb"
der Urheberrechtsnovelle wird damit zum 1. Januar 2008 in
Kraft treten. Mit dem Zweiten Korb wird das Urheberrecht -
aufbauend auf die erste Novelle aus dem Jahr 2003 - weiter
an das digitale Zeitalter und die neuen technischen
Moeglichkeiten angepasst.
Zu den Konsequenzen fuer Bibliotheken der neuen Regelungen
lesen Sie bitte die entsprechenden Informationen auf der
dbv-Website:
http://www.bibliotheksverband.de/stellungnahmen/DBV_Info_UrhGRev_060707.pdf
Weitere Informationen:
http://www.bmj.bund.de/
unter Service/Pressestelle/Pressemitteilungen
Gesetzestext:
http://www.bgblportal.de/BGBL/bgbl1f/bgbl107s2513.pdf "
Frau Beger, deren Inkompetenz (Achtung: Meinung!) auf
urheberrechtlichem Gebiet ich bereits mehrfach hier
thematisierte, schreibt zu den unbekannten Nutzungsarten in
der Stellungnahme:
"§ 31 Abs. 4 unbekannte Nutzungsarten
gestattet zukünftig, dass der Urheber einem Dritten nicht
bekannte Nutzungsarten übertragen kann. Die Übertragung
bedarf grundsätzlich der Schriftform. § 137l legt fest,
dass alle Rechteinhaber, die bereits im Besitz der
ausschließlichen Nutzungsrechte sind, das Recht der
Digitalisierung und anderer unbekannter Nutzungsarten
rückwirkend ab 1966 kraft Gesetzes erhalten. Der
Rechteinhaber muss jedoch dem Urheber die Ausübung der
unbekannten Nutzungsart schriftlich anzeigen. Dem Urheber
steht für die Dauer von drei Monaten nach Bekanntgabe durch
den Rechteinhaber ein Widerspruchsrecht zu. Er kann eine
angemessene Vergütung verlangen, aber nicht den Widerruf
entgegen Treu und Glauben ausüben. Die Herstellung einer
elektronischen Archivkopie ist Einrichtungen, die dem
Allgemeininteresse dienen, ausdrücklich gestattet."
Schauen wir uns doch einmal genau an, was von dieser
hochoffiziellen Stellungnahme des DBV, die ja eigentlich
fuer hunderte Bibliotheken massgeblich sein sollte, zu
halten ist. Es spricht alles dafuer, dass es sich um eine
verantwortungslose Reihe von Fehlinformationen handelt.
Beger: "§ 31 Abs. 4 unbekannte Nutzungsarten
gestattet zukünftig, dass der Urheber einem Dritten nicht
bekannte Nutzungsarten übertragen kann."
Das ist falsch. Richtig ist, dass § 31 Abs. 4 aufgehoben
und ein neuer § 31a eingefuegt wird, der die Vertraege
ueber unbekannte Nutzungsarten kuenftig regelt.
Beger: "Die Übertragung bedarf grundsätzlich der
Schriftform."
Das "grundsaetzlich" ist eine juristische Ausdrucksweise,
die viele so verstehen werden, dass die Uebertragung immer
der Schriftform bedarf. Eine wichtige Ausnahme gilt
freilich fuer freie Lizenzen (wie Creative Commons), also
wenn der Urheber ein einfaches Nutzungsrecht fuer jedermann
einraeumt (bezieht sich auf die Linux-Klausel
http://de.wikipedia.org/wiki/Linux-Klausel )
Da Frau Beger ihre Publikationen meines Wissens
grundsaetzlich nicht unter freie Lizenzen stellt, ist es
verstaendlich, dass sie diese Ausnahme ignoriert.
Beger: "§ 137l legt fest, dass alle Rechteinhaber, die
bereits im Besitz der ausschließlichen Nutzungsrechte sind,
das Recht der Digitalisierung und anderer unbekannter
Nutzungsarten rückwirkend ab 1966 kraft Gesetzes erhalten."
§ 137 L sagt aber nicht, dass Inhaber "nur"
ausschliesslicher Nutzungsrechte diese Rechte rueckwirkend
erhalten. Es muss sich um alle wesentlichen Nutzungsrechte
handeln, die ausschliesslich, aber auch raeumlich und
zeitlich unbegrenzt eingeraeumt worden sein muessen.
Abgesehen von Zweifeln an der Verfassungsmaessigkeit von §
137 L, die aus dem Umkreis von Prof. Spindler in Goettingen
kommen, hat Steinhauer ueberzeugend argumentiert, dass das
keine ganz niedrige Huerde sein koennte:
http://bibliotheksrecht.blog.de/2007/08/30/s_137_l_urhg_die_entspannte_sicht_der_di~2894919
Auf Unklarheiten wies auch Hoeren hin, siehe
http://bibliotheksrecht.blog.de/2007/10/18/hoeren_zum_zweiten_korb~3154841
Die Regelung bezieht sich auf Vertraege, die zwischen dem
1.1.1966 und dem 1.1.2008 geschlossen wurden.
Beger: "Der Rechteinhaber muss jedoch dem Urheber die
Ausübung der unbekannten Nutzungsart schriftlich anzeigen.
Dem Urheber steht für die Dauer von drei Monaten nach
Bekanntgabe durch den Rechteinhaber ein Widerspruchsrecht
zu."
Das ist eine krasse Desinformation, die wirklich
unentschuldbar ist. Diese Regelung gilt ausschliesslich
fuer Nutzungsarten, die am 1.1.2008 noch nicht bekannt sind
- was immer das fuer Innovationen sein moegen. Mein
Vorstellungsvermoegen reicht nicht aus, sie zu imaginieren.
Das ist also voellig unverbindliche Zukunftsmusik - es ist
womoeglich gar nicht damit zu rechnen, dass in den
naechsten Jahrzehnten solche derzeit unbekannten
grundsaetzlich neuen Nutzungsarten, die nicht nur Varianten
jetzt bekannter Nutzungsarten sind, auftauchen. Vielleicht
wird man in 30 Jahren sich wissenschaftliche
Veroeffentlichungen als Mini-Taetowierung auf der Haut
anbringen lassen - wer weiss es?
Jetzt bereits bekannt sind die neuen Medien, um die es bei
dieser Vorschrift konkret geht. Hinsichtlich der
Online-Nutzung hat man sich allgemein auf das Jahr 1995 als
Stichjahr geeinigt. Vorher war es also in einem
Verlagsvertrag nicht moeglich, Online-Nutzungen zu
uebertragen (§ 31 IV UrhG, gueltig ab dem 1.1.1966), der
Vertrag war nicht wirksam, auch wenn er auf kuenftig erst
bekannt werdende Nutzungen Bezug genommen haben sollte.
Bei den jetzt bekannten Medien und vor allem bei der fuer
die Hochschulschriftenserver so wichtigen Online-Nutzung
gilt eben NICHT, was Frau Beger schreibt: Die Verlage sind
NICHT verpflichtet, den Urheber zu benachrichtigen, der
dann 3 Monate Zeit hat zu widersprechen.
Fuer die Online-Nutzung gilt (ab 1.1.2008): DER WIDERSPRUCH
KANN FÜR NUTZUNGSARTEN, DIE AM 1. JANUAR 2008 BEREITS
BEKANNT SIND, NUR INNERHALB EINES JAHRES ERFOLGEN. So der
Gesetzeswortlaut.
Darum trommelt die DFG, darum trommeln einzelne
Universitaeten, dass die Wissenschaftler bei ihren Verlagen
vorsorglich Widerspruch einlegen sollen, um Open Access bei
Werken vor 1995 zu ermoeglichen.
Ich selbst habe in H-SOZ-U-KULT (und natuerlich auch
mehrfach in dieser Liste) etwas dazu geschrieben:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/type=diskussionen&id=930
Frau Beger aber gibt eine klare und eindeutige
Falschdarstellung.
Beger: "Er kann eine angemessene Vergütung verlangen, aber
nicht den Widerruf entgegen Treu und Glauben ausüben. Die
Herstellung einer elektronischen Archivkopie ist
Einrichtungen, die dem Allgemeininteresse dienen,
ausdrücklich gestattet."
Der Anspruch auf eine gesonderte angemessene Verguetung
besteht, kann aber nur ueber eine Verwertungsgesellschaft
geltend gemacht werden, was erhebliche Probleme aufwirft.
Musiker, die keinen Wahrnehmungsvertrag mit der GEMA
haben/wollen, gehen dann z.B. leer aus.
Kein Wort davon bei Beger.
Als Falschdarstellung erweist sich auch der Hinweis auf
Treu und Glauben. Nur fuer Urheber verbundener Werke, deren
einzelne Bestandteile sich nicht separat nutzen lassen
(bestes Beispiel: ein Film, bei dem Regisseur, Kameramann
usw. eigene Urheberrechte haben), gilt, dass diese ihr
Widerspruchsrecht nicht wider Treu und Glauben ausueben
duerfen.
Was der Satz mit der elektronischen Archivkopie soll, ist
unklar. Ein solches Recht ist nicht Teil der Neuregelung,
sondern ergibt sich aus § 53 UrhG. Archivkopien duerfen
aber nach herrschender Meinung nicht genutzt werden.
Halten wir fest: Frau Beger hat einmal mehr gezeigt,
wieviel sie vom Urheberrecht versteht.
Waere es wirklich zuviel verlangt gewesen, wenn der DBV in
seinem Newsletter statt auf eine grundfalsche und
irrefuehrende Stellungnahme von Frau Beger (und das BMJ!)
auf den wirklich genialen Vorschlag von Steinhauer verlinkt
haette, auf den ich hier mehrfach eingegangen bin?
Steinhauer hat den Vorschlag am 3. September 2007
unterbreitet:
http://bibliotheksrecht.blog.de/2007/09/03/s_137_l_urhg_und_die_rolle_der_bibliothe~2915206
"Hier fragt es sich aber: Warum sollte eine
Hochschulbibliothek ihre Wissenschaftler zu einem Widerruf
im Sinne von § 137 l UrhG bewegen? Was gewinnt sie damit?
Bei näherem Hinsehen erweist sich eine entsprechende Aktion
zum gegenwärtigen Zeitpunkt als nicht sinnvoll. Das
Ergebnis einer erfolgreichen Mailingaktion ist doch nur
dies, dass die Autoren auch in Zukunft ihre Online-Rechte
behalten. Die Bibliothek hat davon unmittelbar nichts.
Bis zum Inkrafttreten von § 137 l UrhG sollten Bibliotheken
nach § 137 l Abs. 1 S. 4 UrhG verfahren. Danach greift die
Regelung von § 137 l UrhG nicht, wenn die Autoren einem
Dritten, etwa der Bibliothek, die Online-Rechte eingeräumt
haben. Ein separater Widerruf gegenüber den Verlagen ist
dann nicht mehr nötig.
Hochschulbibliotheken, die für die älteren
Veröffentlichungen ihrer Wissenschaftler in weitem Umfang
Open Access gewährleisten möchten, sollten daher vor
Inkrafttreten des Gesetzes NICHT den kursierenden
Widerrufsbrief verschicken, sondern ihre Wissenschaftler
auffordern, ihr selbst die Online-Rechte zu übertragen. Ein
einfaches Nutzungsrecht dürfte hier genügen.
Die Bibliothek kann dann die entsprechenden Publikationen
digitalisieren und in ihr Repositorium einstellen. Für die
beroffenen Wissenschaftler bedeutet dies, "zwei Fliegen mit
einer Klappe zu schlagen". Sie erzielen die Wirkung eines
Widerrufs nach § 137 l UrhG und haben zugleich alles Nötige
getan, um ihre Publikationen auch in Internet gut sichtbar
zu machen.
Der kursierende Musterbrief kann nach Inkrafttreten von §
137 l UrhG bei den Wissenschaftlern verwendet werden, die
der Bibliothek noch keine Nutzungsrechte eingeräumt haben.
Aber auch hier sollte immer ein Rechteerwerb durch die
Bibliothek und nicht der bloße Widerruf im Vordergrund
stehen."
Ich bin ueberzeugt, dass die wenigsten Bibliotheken (oder
ueberhaupt keine) die nur noch kurze Zeit, naemlich bis zum
31. Dezember 2007 bestehende Chance nutzen werden, sich von
Wissenschaftlern einfache Nutzungsrechte einraeumen zu
lassen und mit einem Schlag riesige Mengen hochwertiger
wissenschaftlicher Literatur fuer die Repositorien zu
sichern. Das Hochladen bzw. Besprechen des Procederes hat
dann Zeit.
Ein einfaches Verfahren habe ich am 15. Oktober
vorgeschlagen:
http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg34668.html
"Drei einfache Schritte genuegen:
Step 1: Vereinbaren Sie mit der Universitaetsleitung ein
Anschreiben an alle WissenschaftlerInnen (ersatzweise:
schreiben Sie diese selbst an).
Step 2: Versand des Anschreibens mit
Hintergrundinformationen und dem Text:
"Wenn Sie die Universitaet und den Hochschulschriftenserver
in dieser Weise unterstuetzen moechten, senden Sie bitte
die folgende Mitteilung formlos an (Mailadresse).
Hiermit uebertrage ich der Universitaetsbibliothek ... ein
einfaches Nutzungsrecht an meinen vor 1995 erschienenen
Fachpublikationen zur Nutzung auf dem
Hochschulschriftenserver.
Bitte fuegen Sie nach Moeglichkeit die Liste der
Publikationen an. Die Universitaetsbibliothek wird sich
dann mit Ihnen in Verbindung setzen."
Step 3: Reagieren Sie vor dem 31.12.2007 mit einer
Bestaetigung auf die eingegangenen Mails. Wer einen
Veroeffentlichungsvertrag hat, legt diesen bei und bittet
um Ruecksendung. Wer keinen hat oder braucht, schreibt
zurueck:
"Fuer die Einraeumung der einfachen Nutzungsrechte moechte
sich die Universitaetsbibliothek ... herzlich bedanken. Sie
haben damit der Universitaet und der weltweiten
Wissenschaftlergemeinschaft sehr geholfen. Hinsichtlich des
konkreten Vorgehens beim Hochladen werden wir uns erlauben,
demnaechst auf Sie zuzukommen".
Fertig."
Organisationen wie das Urheberrechtsbuendnis sollten ihre
Mitglieder ermuntern, in allernaechster Zeit der fuer sie
zustaendigen Hochschulbibliothek eine solche formlose
Rechteeinraeumung zu senden.
Warum tun die Bibliotheken nichts? Aus Traegheit, Ignoranz
oder Desinteresse? Weil sie in Wirklichkeit gar nicht fuer
Open Access sind, sondern nur opportunistisch
Unterstuetzung heucheln? Weil ich den Vorschlag
unterstuetze?
Wenn man sich die bemerkenswerten Fehlleistungen von Frau
Beger ansieht, kann man auch mutmassen: Wie der Herr so's
Gscherr.
Klaus Graf
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.