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Re: [InetBib] Frage von Herrn Sander-Beuermann: Visualisierung in Suchmaschinen



Lieber Herr Dr. Sander-Beuermann,

hier ein paar Gedanken zu Ihrer Frage zum Thema Visualisierung von 
Suchmaschinen:

DOS war so praktisch, kein Overhead an Grafik, schnell ... so dachten wohl 
viele, als Microsoft die Ideen von Xerox und Apple uebernahmen. Lange her, 
aber die heutige Generation kommt mit einem Kommando-gefuehrten Interface 
gar nicht mehr zurecht, es muss unbedingt MS-Windows sein. Auch der Sprung 
im Internet zum WWW war ein Sprung in grafische Welten und hypertextuelle 
Strukturen (html). Ohne WWW staenden wir alle heute dumm da. Oder: wenn 
Sie morgens ins Buero fahren, waere jedes Verkehrszeichen nur als Text 
beschriftet kaeme es zu massenhaft mehr Unfaellen. Wir erkennen gewohnte 
Bilder sehr schnell, schneller als Textnachrichten.
Also: Visualisierung hat ganz sicher seinen Sinn und kann sehr effizient 
sein.

Visualisierung hat zwei Aspekte: 1. der Ort im Raum und 2. die Art der 
Repraesentation. 

1. Waeren die Verkehrszeichen staendig in verschiedener Hoehe, mal laengs, 
schraeg oder quer zur Fahrbahn oder auf dem Boden oder quer ueber der 
Strasse, schon haetten wir wieder neue Probleme. Ich muss mich als Nutzer 
auf moeglichst immer gleichartige Positionen verlassen koennen. So steht 
"File" oder "Datei" oder "X" mittlerweile bei fast allen Oberflaechen 
immer oben links als eine Art Grundnavigation. Hier hat sich eine 
Raumstruktur defacto durchgesetzt. 
Finde ich z.B. in einer Wohnung ein wohl entwendetes echtes 
Verkehrsschild, weiss ich genau, dass das Zeichen hier nicht gilt - der 
Kontext definiert die Gueltigkeit und Bedeutung.

2. Die Repraesentation ist ein gar nicht triviales Problem - winzige 
Bildchen sollen evtl. etwas komplexes darstellen. Die Lupe, der Drucker, 
die (alte) Diskette - das versteht man noch (obwohl fast keiner mehr 
Disketten einsetzt - ein USB waere heute eigentlich plausibler und Drucker 
sind heute oft auch Scanner und Faxgeraete zugleich). Die Grundbefehle 
eines Betriebssystems sind gar nicht soviele und noch recht analog 
darstellbar. 
Wenn man nun aber Gott und die Welt visualisieren will, wo ist dann der 
Ort? Was das Symbol? Verstaendlich ueber Generationen und Kontinente 
hinweg? Im Retrieval geht es um Gott und die Welt - es geht um wohl einige 
hundert Millionen Begriffe und ihre Varianten. Es geht um Beziehungen und 
Strukturen zwischen Begriffen, Dokumenten, Teilen von Dokumenten, Saetzen, 
Elementen aus Saetzen und Tabellen, Bild, Ton, Bewegtbild, Animation, 
Workflow, geografischer Ort, sozialer Ort,  Avatar und natuerlich auch 
Menschen (und sicher fehlt hier noch vieles in meiner Aufzaehlung). Und 
selbst wenn man fuer alles ein Symbol und eine Relation repraesentieren 
koennte, waeren sich die Menschen sicher nicht einig, ob die Relationen 
richtig sind. 

Die derzeitigen Visualisierungen verletzen oft die Regel 1 - gleiches am 
gleichen Ort.  Je nach Frage, Drehen und Wenden oder Bildschirmaufloesung 
oder Fenstergroesse landen Ergebnisse an verschiedenen Plaetzen. Der 
Suchaufwand in solchen semantischen Netzen ist meineerachtens fast immer 
hoeher als in Textdarstellungen. Dachte ich jedenfalls. Seit wir in 
unserem Thesaurus-Programm IC INDEX die 2-Visualiserung haben, sagen 
einige, dass sie erst jetzt richtig verstehen, was ein Thesaurus ist. 
Einige der Thesaurus-Entwickler malen sich erst ein Beziehungsgefuege hin, 
bevor sie es im Textinterface eingeben. Die Studenten, die ich darin 
unterrichtet habe, schauen sich fast alle nachdem die Begriffe eingegeben 
und die Relationen festgelegt sind das Bild an - und nicht die 
Listendarstellung. Das bedeutet: dass unsere Gehirne offensichtlich selbst 
so kleine Dinge wie ein paar Begriffe und ihre semantisches Umfeld je nach 
Repraesentation sehr unterschiedlich erkennen und verarbeiten.

Die Repraesentation von Objekten erscheint mir fast nicht loesbar 
angesichts einer grenzlosen Menge. Doch auch bei den Relationen stoesst 
man extrem schnell an Grenzen. Eine Weiterentwicklung von Thesauri sind 
Ontologien - unterstuetzen mehr Relationen oder Relationstypen. Doch schon 
hier landet man mit farbigen Strichen, verchiedenen Stricharten und 
-dicken extrem schnell an Grenzen. 20 verschiedene Stricharten sind schon 
viele zu viel. Ohne intensiven Einsatz von Beschriftung kommt man nicht 
sehr weit.

Google hat mit seiner gezielt einfachen Oberflaeche meineserachtens 
durchaus einen graischen Standard im Sinne von 1 gesetzt. Daran knuepfen 
wir in unserem dandelon.com bewusst an, um moeglichst wenig neuen 
Lernaufwand zu erzwingen und viele andere machen es gleich oder aehnlich. 
In unserer seit einigen Wochen versteckten Visualisierung von 
Thesaurusbegriffen und Relationen, sie kommt wieder, sobald wir mit den 
geplanten Updates fertig sind, verletze ich zumindest teilweise die Regel 
1, gerne haette ich alle Oberbegriffe oben und alle Unterbegriffe unten - 
nur mit echten Daten passt das alles nicht mehr, unsere 25 Relationstypen 
passen schlicht nicht optimal in den 2D-Raum (3D haben wir komplett 
verworfen). Trial and Error ist noch lange angesagt - Reaktionen testen, 
Eindruecke sammeln.

Visualisierung wird auch in Suchmaschinen sich irgendwann wohl 
durchsetzen, derzeit sehe ich aber noch ueberhaupt kein Land in Bezug auf 
eine hinreichend standardisierte, verstehbare, breit getragene 
Repraesentatonsform. Ich rechne mit einer langen Migration in diese 
Richtung.

Mit freundlichem Gruss
Manfred Hauer


AGI - Information Management Consultants
Dipl.-Inf.wiss. Manfred Hauer M.A.
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