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AW: AW: Antw: AW: [InetBib] Eichstättdebatte



Lieber Herr Stephan, liebe Kolleginnen und Kollegen,

die historischen Begebenheiten bzgl. Martin Luther sind mir im Groben soweit 
bekannt
(auch wenn ich selbst Katholik bin).

Ich denke mal, dass Kollege Witte an dieser Stelle Luther zitiert,
weil er damit zeigen wollte, dass schon Luther eine kritische Beurteilung
der Bestände von Ordensbibliotheken praktiziert hat und damit natürlich als 
Beispiel dafür dienen kann, dass nicht jeder in der Geschichte gleich als 
kriminell angesehen wurde, der einen kritischen Blick auf solche 
Sammlungen gewagt hat.

Nichts gegen konstruktive Kritik. Und die war sicherlich seinerzeit auch 
berechtigt.
Allerdings: Bücher, die Luther damals kritisch betrachtet hat, sind heute, wenn 
erhalten,
eine der kostbarsten Überlieferungen in unseren Bibliotheksbeständen überhaupt.
Und leider gab es einfachere Gemüter, die, tlw. unter Zuhilfenahme dieser 
Aussagen,
nicht gerade zimperlich mit Bibliotheksbeständen aus aufgelösten Klöstern 
umgegangen sind.
Selbst Jahrhunderte später, bei der Säkularisierung durch den 
Reichsdeputationshauptschluss,
hat man auch solche Aussagen als Grundlage für die Argumentation 
wiederaufgewärmt.
In Südwestdeutschland z.B. war es leider dann eben auch der lutherisch geprägte 
württembergische Staat,
der so mit den Klöstern und ihrem Bibliotheksgut im überwiegend katholischen 
Oberschwaben verfahren ist.
Da ist zwar vieles aber leider auch nicht alles komplett und geschlossen nach 
Stuttgart gekommen.
Insofern finde ich es, aus der Historie betrachtet, sehr bedenklich, wenn man, 
als Evangelischer,
unter Zuhilfenahme solcher Zitate, die Vernichtung von Bibliotheksbeständen aus 
einem katholischen
Orden kommentiert und sagt "Jetzt genug damit, das zu verurteilen".

Luther stand übrigens auch der Herausgabe der ersten Gesamtausgabe 
seiner eigenen Werke, der sog. Wittenberger Ausgabe, kritisch gegenüber, 
zeigte also in Bezug auf die Beurteilung  gedruckter Schriften durchaus 
auch selbstkritische Züge.

Und Franz von Assisi hat ein Studienhaus für seinen Orden wieder geschlossen,
dass man zu Lebzeiten ohne seine Kenntnis errichtet hat. Was würde er 
heutzutage dazu sagen,
wieviele Bücher die auf ihn zurückgehenden Gemeinschaften, zu denen auch die 
Kapuziner gehören,
angesammelt haben? Ist das ein für die Bestanderhaltung irgendwie relevantes 
Argument?
Die erste Gesamtausgabe von Luthers Werken existiert, diese Sammlung der OFMCap 
existiert,
und beide haben ihre Existenzberechtigung. Und wenn die genommen wird, dann 
müssen die Gründe dafür
schon auf einer anderen Ebene liegen als das, was wir bisher zu hören/lesen 
bekommen haben.

Als Kirchenbibliothekar in evangelischen Diensten darf ich vielleicht noch 
anfügen, dass ich Klosterbibliotheken nicht selten neidvoll kennengelernt 
habe.

Dabei besitzt man auf evangelischer Seite mit der Prädikantenbibliothek in Isny 
ein Kleinod,
dass sich wahrlich nicht verstecken muss! Die haben aber auch, soweit mir 
bekannt, wertvolle Blaeu-Atlanten,
und mir ist nicht klar, ob die mal zur Predigtvorbereitung tatsächlich 
unbedingt notwendig waren.

Ein weiterer herber Verlust dabei ist, dass Orte, Kirchengemeinden oder 
Ordensgemeinschaften dadurch ihrer Bibliotheken beraubt werden.
Es macht durchaus einen Unterschied, ob eine historische Kirchenbibliothek in 
einem (oft eher kleinen) Ort im Kirchengebäude untergebracht ist, oder in 
einem zentralen Magazin einer grossen Bibliothek oder eines grossen 
Archivs. Bibliotheken sind immer auch Kristallisationspunkte für kulturelles 
Leben, die dann fehlen. Freilich gibt es im Regelfall in den grossen 
Einrichtungen professionellere Aufbewahrungsmöglichkeiten, aber mein 
Herz schlägt dennoch eher für die Belassung der Bibliothek am Ort ihrer 
Entstehung, wenn es irgend möglich ist.

Bezüglich Bibliotheken katholischer Orden macht es meineserachtens auch einen 
Unterschied,
um welchen Orden es sich handelt. Eine benediktinische Klosterbibliothek 
(stabilitas loci)
ist in diesem Sinne etwas anderes als die Sammlung einer zentral organisierten 
Ordensgemeinschaft,
mit Ordensprovinzen. Im ersten Fall plädiere ich eben auch für die unbedingte 
Ortsgebundenheit
des Buchbestandes, im zweiten Fall halte ich diese für eher sekundär.
Was wäre die Stiftsbibliothek Sankt Gallen heute, wenn die Bestände nach der 
Klosterauflösung
in die Kantonsbibliothek überführt worden wären? Die wären zwar noch da, 
immerhin in derselben Stadt,
aber man hätte einen leeren Bibliotheksaal wie in Bad Schussenried!

Zum Punkt, die "katholische" Universität Eichstätt vernichtet Bücher einer 
"katholischen" Ordensgemeinschaft:
Ich habe meinen Zivildienst damals in einer "katholischen" 
Behinderteneinrichtung gemacht. Die ist inzwischen soweit,
dass sie vor Gericht durchkämpfen lässt, sie sei gar keine Stiftung kirchlichen 
Rechts, sondern staatlichen Rechts.
Und so sieht es inzwischen wohl in vielen Fällen im kirchlichen Stiftungswesen 
aus. Insofern ist die Universitätsbibliothek
der "katholischen" Universität Eichstätt in meinen Augen nicht mehr oder 
weniger geeignet als eine staatliche
(Universitäts)Bibliothek, diese Bestände aufzunehmen und zu bewahren und beide 
sind vergleichbar verpflichtet,
die entsprechenden, von staatlicher Seite erstellten, Kriterien zur 
Aufbewahrung oder Aussonderung anzulegen.
Sie sollten es nur auch tun...

Schöne Grüsse aus Bern
Bernd Martin Rohde

--
Bernd Martin Rohde, Dipl.-Bibl. (FH)
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Tel.: (+41) (0)31 9719674, mailto:b.m.rohde@xxxxxxx
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