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AW: AW: Antw: AW: [InetBib] Eichstättdebatte
- Date: Wed, 21 Mar 2007 18:50:00 +0100
- From: "Rohde Bernd" <Bernd.Rohde@xxxxxxxxxxx>
- Subject: AW: AW: Antw: AW: [InetBib] Eichstättdebatte
Lieber Herr Stephan, liebe Kolleginnen und Kollegen,
die historischen Begebenheiten bzgl. Martin Luther sind mir im Groben soweit
bekannt
(auch wenn ich selbst Katholik bin).
Ich denke mal, dass Kollege Witte an dieser Stelle Luther zitiert,
weil er damit zeigen wollte, dass schon Luther eine kritische Beurteilung
der Bestände von Ordensbibliotheken praktiziert hat und damit natürlich als
Beispiel dafür dienen kann, dass nicht jeder in der Geschichte gleich als
kriminell angesehen wurde, der einen kritischen Blick auf solche
Sammlungen gewagt hat.
Nichts gegen konstruktive Kritik. Und die war sicherlich seinerzeit auch
berechtigt.
Allerdings: Bücher, die Luther damals kritisch betrachtet hat, sind heute, wenn
erhalten,
eine der kostbarsten Überlieferungen in unseren Bibliotheksbeständen überhaupt.
Und leider gab es einfachere Gemüter, die, tlw. unter Zuhilfenahme dieser
Aussagen,
nicht gerade zimperlich mit Bibliotheksbeständen aus aufgelösten Klöstern
umgegangen sind.
Selbst Jahrhunderte später, bei der Säkularisierung durch den
Reichsdeputationshauptschluss,
hat man auch solche Aussagen als Grundlage für die Argumentation
wiederaufgewärmt.
In Südwestdeutschland z.B. war es leider dann eben auch der lutherisch geprägte
württembergische Staat,
der so mit den Klöstern und ihrem Bibliotheksgut im überwiegend katholischen
Oberschwaben verfahren ist.
Da ist zwar vieles aber leider auch nicht alles komplett und geschlossen nach
Stuttgart gekommen.
Insofern finde ich es, aus der Historie betrachtet, sehr bedenklich, wenn man,
als Evangelischer,
unter Zuhilfenahme solcher Zitate, die Vernichtung von Bibliotheksbeständen aus
einem katholischen
Orden kommentiert und sagt "Jetzt genug damit, das zu verurteilen".
Luther stand übrigens auch der Herausgabe der ersten Gesamtausgabe
seiner eigenen Werke, der sog. Wittenberger Ausgabe, kritisch gegenüber,
zeigte also in Bezug auf die Beurteilung gedruckter Schriften durchaus
auch selbstkritische Züge.
Und Franz von Assisi hat ein Studienhaus für seinen Orden wieder geschlossen,
dass man zu Lebzeiten ohne seine Kenntnis errichtet hat. Was würde er
heutzutage dazu sagen,
wieviele Bücher die auf ihn zurückgehenden Gemeinschaften, zu denen auch die
Kapuziner gehören,
angesammelt haben? Ist das ein für die Bestanderhaltung irgendwie relevantes
Argument?
Die erste Gesamtausgabe von Luthers Werken existiert, diese Sammlung der OFMCap
existiert,
und beide haben ihre Existenzberechtigung. Und wenn die genommen wird, dann
müssen die Gründe dafür
schon auf einer anderen Ebene liegen als das, was wir bisher zu hören/lesen
bekommen haben.
Als Kirchenbibliothekar in evangelischen Diensten darf ich vielleicht noch
anfügen, dass ich Klosterbibliotheken nicht selten neidvoll kennengelernt
habe.
Dabei besitzt man auf evangelischer Seite mit der Prädikantenbibliothek in Isny
ein Kleinod,
dass sich wahrlich nicht verstecken muss! Die haben aber auch, soweit mir
bekannt, wertvolle Blaeu-Atlanten,
und mir ist nicht klar, ob die mal zur Predigtvorbereitung tatsächlich
unbedingt notwendig waren.
Ein weiterer herber Verlust dabei ist, dass Orte, Kirchengemeinden oder
Ordensgemeinschaften dadurch ihrer Bibliotheken beraubt werden.
Es macht durchaus einen Unterschied, ob eine historische Kirchenbibliothek in
einem (oft eher kleinen) Ort im Kirchengebäude untergebracht ist, oder in
einem zentralen Magazin einer grossen Bibliothek oder eines grossen
Archivs. Bibliotheken sind immer auch Kristallisationspunkte für kulturelles
Leben, die dann fehlen. Freilich gibt es im Regelfall in den grossen
Einrichtungen professionellere Aufbewahrungsmöglichkeiten, aber mein
Herz schlägt dennoch eher für die Belassung der Bibliothek am Ort ihrer
Entstehung, wenn es irgend möglich ist.
Bezüglich Bibliotheken katholischer Orden macht es meineserachtens auch einen
Unterschied,
um welchen Orden es sich handelt. Eine benediktinische Klosterbibliothek
(stabilitas loci)
ist in diesem Sinne etwas anderes als die Sammlung einer zentral organisierten
Ordensgemeinschaft,
mit Ordensprovinzen. Im ersten Fall plädiere ich eben auch für die unbedingte
Ortsgebundenheit
des Buchbestandes, im zweiten Fall halte ich diese für eher sekundär.
Was wäre die Stiftsbibliothek Sankt Gallen heute, wenn die Bestände nach der
Klosterauflösung
in die Kantonsbibliothek überführt worden wären? Die wären zwar noch da,
immerhin in derselben Stadt,
aber man hätte einen leeren Bibliotheksaal wie in Bad Schussenried!
Zum Punkt, die "katholische" Universität Eichstätt vernichtet Bücher einer
"katholischen" Ordensgemeinschaft:
Ich habe meinen Zivildienst damals in einer "katholischen"
Behinderteneinrichtung gemacht. Die ist inzwischen soweit,
dass sie vor Gericht durchkämpfen lässt, sie sei gar keine Stiftung kirchlichen
Rechts, sondern staatlichen Rechts.
Und so sieht es inzwischen wohl in vielen Fällen im kirchlichen Stiftungswesen
aus. Insofern ist die Universitätsbibliothek
der "katholischen" Universität Eichstätt in meinen Augen nicht mehr oder
weniger geeignet als eine staatliche
(Universitäts)Bibliothek, diese Bestände aufzunehmen und zu bewahren und beide
sind vergleichbar verpflichtet,
die entsprechenden, von staatlicher Seite erstellten, Kriterien zur
Aufbewahrung oder Aussonderung anzulegen.
Sie sollten es nur auch tun...
Schöne Grüsse aus Bern
Bernd Martin Rohde
--
Bernd Martin Rohde, Dipl.-Bibl. (FH)
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