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Re: [InetBib] www.was-verlage-leisten.de - hier: angeblicher Rosinenkuchen
- Date: Mon, 27 Nov 2006 18:55:56 +0100 (CET)
- From: Eric Steinhauer <eric.steinhauer@xxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] www.was-verlage-leisten.de - hier: angeblicher Rosinenkuchen
Lieber Herr Sprang,
herzlichen Dank für Ihre ausführliche Antwort. Sie ist gut überlegt, aber so
ganz bin ich nicht überzeugt.
Das Zeitschriftenangebot ist insoweit "aufgebläht", als eine Vielzahl der in
den Paketlösungen der Verlage offerierten Titel elektronischer Zeitschriften
für die Leser einer konkreten Bibliothek KEINE Relevanz besitzen. Da hier
Titelpakete ohne fachlichen Zusammenhang geschnürt werden, nenne ich das auch
"künstlich". Mein Blick ist die Leser-, nicht die Autorenperspektive. Darin
unterscheiden wir uns. Sehen Sie sich das einmal aus meiner Sichtweise an:
Hier ein Auszug aus der EZB, gelbe Ampel, für die Technische(!) Universität
Ilmenau, an der es keine Geisteswissenschaftler gibt:
Also das wäre "künstlich"
African Archaeological Review
Archivo Español de Arte y Arqueología
Journal of Anthropological Archaeology
Journal of Archaeological Method and Theory
Journal of Archaeological Research
Journal of Archaeological Science
Journal of World Prehistory
Vegetation History and Archaeobotany
Und für unsere (zwei!) Juristen (kein Strafrechtler) wäre dies aufgebläht zu
nennen, weil das keiner liest:
British Journal of Criminology, The
Crime, Law and Social Change
Criminal Law Forum
Critical Criminology
European Journal on Criminal Policy and Research
Feminist Legal Studies
International Journal of Law, Policy and the Family, The
International Journal of Legal Medicine
International Journal of Refugee Law
International Review of Law and Economics
Medical Law Review
Rechtsmedizin
So, damit haben wir 20 vollkommen verzichtbare Titel, die ich seriöserweise
nicht als Zugewinn an Zeitschriften für meine Bibliothek verkaufen kann. Im
Grunde sagen Sie das ja selbst, wenn Sie schreiben, daß ein Wissenschaftler
heute im Schnitt 23 Zeitschriften liest. Zähle ich die relevanten Titel
zusammen, brauche ich vielleicht 200 bis 300 laufende Zeitschriften in meiner
Bibliotheken. Da sind die speziell gerittenen Steckepferde schon drin.
Zeitschriftenangebot überteuert
Die Kosten in den Verlagen bestreite ich nicht. Ich bestreite auch nicht, daß
sie bei erhöhter Ablehnung von Artikeln steigen. Ich sehe aber auch nicht, daß
bei gewissen STM-Verlagen die hohen Bezugspreise von den Kosten aufgefressen
werden. Soweit hier überdurchschnittliche Renditen erwirtschaftet werden,
bezeichne ich einen Titel als überteuert.
Hierzu ein exkursierender Gedanke: Wir reden von wissenschaftlichen
Publikationen. Das ist ein Bereich, in dem Autoren nicht aus finanziellen,
sondern als ideellen Gründen bis zur Grenze der Selbstaufgabe, in Besessenheit
von ihrem Gegenstand, getrieben von Neugier und Faszination arbeiten, forschen,
schreiben und publizieren. In einem solchen Umfeld sehe ich ein gewissermaßen
kulturelles Problem, Renditen zu erwirtschaften, die ansonsten nur im gehobenen
Konsumgüterbereich zu finden sind. Das geht einfach nicht zusammen. Verlage
nehmen in einem solchen Fall ihre Verantwortung im Wissenschaftssystem nicht
mehr ernst.
Da nämlich in der Wissenschaft gewisse Strukturen von Sichtbarkeit unabdingbar
sind, sind Verlage, die in Form von wichtigen Zeitschriften diese Strukturen
beherrschen, in einer Position von hoher Verantwortung, denn sie könnten diese
Position ja monopolistisch ausnutzen. Wenn sie das aber tun, kündigen sie die
Partnerschaft mit der Wissenschaft auf letztlich auf und werden zu einem
Fremdkörper. Das finde ich anstößig.
"Staatlich angeordneter open access?
Sie stellen in Abrede, dass hinter den Bemühungen des Kulturausschusses des
Bundesrats um die Ergänzung von § 38 UrhG der Wunsch steckt, open
access-Veröffentlichungen dienstrechtlich anordnen zu können."
Ja, das tue ich, denn davon steht nichts im Gesetz. Die von Ihnen als mögliches
Szenario genannte dienstvertragliche Regelung sieht sich genau den gleichen
verfassungsrechtlichen Bedenken wie eine gesetzliche Plicht ausgesetzt. Da wäre
ich ganz beruhigt.
"Aber auch wenn man diese zweite Ebene hinweg denkt, überzeugt § 38 UrhG-E
nicht. Welchen Forscher bringt es ernsthaft weiter, auf nicht zitierfähige
Veröffentlichungen frei zugreifen zu können?"
Ich stimme da vollkommen zu. Das Zweitveröffentlichungsrecht muß sich natürlich
auf die publizierte Fassung beziehen.
Vgl. Steinhauer, Kritische Anmerkungen zum Zweitveröffentlichungsrecht nach §
38 Abs. 1 Satz 3 und 4 UrhG in der Fassung des Bundesratsentwurfes vom 9. Mai
2006, in: Bibliotheksdienst 40 (2006), S. 734-742, konkret S. 738f.
Für Sie ganz praktisch auch open access (nach einer Karenz von 3 Monaten):
http://www.zlb.de/aktivitaeten/bd_neu/heftinhalte2006/Recht010606.pdf
"Zumal sich die notwendigen Investitionen wohl zu einem nicht geringen Teil
darauf richten würden, den unter § 38 UrhG-E veröffentlichten Artikel mit dem
dazu gehörigen Original in Verbindung zu stellen, um auf diese Weise
Investitionen und Renommee des ursprünglichen Veröffentlichungsortes zu
schmarotzen."
Hm, nachdem ich vorher die Inhalte geschnorrt habe! :))
Spaß beseite. Ich sehe hier schon die Investition des Verlages. Von daher
könnte man durchaus über eine längere Karenzzeit reden. Die aktuelle
Jahresfrist in § 38 UrhG ist schon o.k.
"Wenn man sich unter www.sherpa.com ansieht, dass der weit überwiegende Teil
der Verlage und wissenschaftlichen Gesellschaften in den schnelllebig
publizierenden Wissenschaften längst den grünen Status erreicht hat, muss aber
vor allem die Frage gestattet sein, ob § 38 UrhG-E nicht ein Problem löst, dass
sich in der Praxis längst nicht mehr stellt. "
Das Problem in der Praxis ist, daß der Wissenschaftler sich immer informieren
muß und die Formulierungen auf sherpa.com nicht immer so eindeutig sind. Aber,
wenn praktisch schon alles passiert ist, dann wäre ein neuer § 38 UrhG doch
eine prima Sache, vor der niemand Angst haben muß.
:))
Retrodigitalisierung älterer Zeitschriftenjahrgänge
"Dieser Widerspruch lässt sich allerdings mit einem Blick in
www.nationallizenzen.de auflösen. Dort kann man nämlich feststellen, dass es im
Wesentlichen die angloamerikanischen Verlage sind, die ihre backfiles digital
anbieten, weil dies von der dortigen Rechtsordnung ermöglicht wird."
Wenn dem so ist, sollte man aber nicht mit den Leistungen der amerikanischen
Verlage werben, wenn es um deutsches Urheberrecht geht. Ich finde das ein wenig
windig. ;)
"Zeitschriften deutscher Wissenschaftsverlage sind dagegen so gut wie nicht
vertreten, weil dies aufgrund der derzeitigen urheberrechtlichen Situation ?
die auch das DigiZeitschriften-Projekt nicht löst, sondern geflissentlich
ignoriert ? "
Wohl wahr, aber Sie sitzen auch mit im Boot. Auf der HP von Digizeit ist zu
lesen:
"Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Verwertungsgesellschaft
Wort leisten Unterstützung bei der Umsetzung des Projekts."
Ich bin auch sehr für eine praktikable Lösung der Altfälle. Da haben Verlage
und Bibliotheken ein gemeinsames Problem. Das sollte man auch gemeinsam lösen.
Hier vermisse ich wirklich zielführende Ansätze.
So bleiben im Kuchen wohl noch ein paar Rosinen übrig. Naja, sonst wäre er ja
auch etwas trocken.
Viele Grüße
Eric Steinhauer
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.