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Re: [InetBib] www.was-verlage-leisten.de - hier: angeblicher Rosinenkuchen



Lieber Herr Sprang,

herzlichen Dank für Ihre ausführliche Antwort. Sie ist gut überlegt, aber so 
ganz bin ich nicht überzeugt. 

Das Zeitschriftenangebot ist insoweit "aufgebläht", als eine Vielzahl der in 
den Paketlösungen der Verlage offerierten Titel elektronischer Zeitschriften 
für die Leser einer konkreten Bibliothek KEINE Relevanz besitzen. Da hier 
Titelpakete ohne fachlichen Zusammenhang geschnürt werden, nenne ich das auch 
"künstlich". Mein Blick ist die Leser-, nicht die Autorenperspektive. Darin 
unterscheiden wir uns. Sehen Sie sich das einmal aus meiner Sichtweise an:

Hier ein Auszug aus der EZB, gelbe Ampel, für die Technische(!) Universität 
Ilmenau, an der es keine Geisteswissenschaftler gibt:

Also das wäre "künstlich"
African Archaeological Review 
Archivo Español de Arte y Arqueología
Journal of Anthropological Archaeology
Journal of Archaeological Method and Theory
Journal of Archaeological Research
Journal of Archaeological Science
Journal of World Prehistory
Vegetation History and Archaeobotany

Und für unsere (zwei!) Juristen (kein Strafrechtler) wäre dies aufgebläht zu 
nennen, weil das keiner liest:

British Journal of Criminology, The
Crime, Law and Social Change    
Criminal Law Forum      
Critical Criminology    
European Journal on Criminal Policy and Research        
Feminist Legal Studies 
International Journal of Law, Policy and the Family, The 
International Journal of Legal Medicine 
International Journal of Refugee Law    
International Review of Law and Economics
Medical Law Review
Rechtsmedizin

So, damit haben wir 20 vollkommen verzichtbare Titel, die ich seriöserweise 
nicht als Zugewinn an Zeitschriften für meine Bibliothek verkaufen kann. Im 
Grunde sagen Sie das ja selbst, wenn Sie schreiben, daß ein Wissenschaftler 
heute im Schnitt 23 Zeitschriften liest. Zähle ich die relevanten Titel 
zusammen, brauche ich vielleicht 200 bis 300 laufende Zeitschriften in meiner 
Bibliotheken. Da sind die speziell gerittenen Steckepferde schon drin. 

Zeitschriftenangebot überteuert
Die Kosten in den Verlagen bestreite ich nicht. Ich bestreite auch nicht, daß 
sie bei erhöhter Ablehnung von Artikeln steigen. Ich sehe aber auch nicht, daß 
bei gewissen STM-Verlagen die hohen Bezugspreise von den Kosten aufgefressen 
werden. Soweit hier überdurchschnittliche Renditen erwirtschaftet werden, 
bezeichne ich einen Titel als überteuert. 

Hierzu ein exkursierender Gedanke: Wir reden von wissenschaftlichen 
Publikationen. Das ist ein Bereich, in dem Autoren nicht aus finanziellen, 
sondern als ideellen Gründen bis zur Grenze der Selbstaufgabe, in Besessenheit 
von ihrem Gegenstand, getrieben von Neugier und Faszination arbeiten, forschen, 
schreiben und publizieren. In einem solchen Umfeld sehe ich ein gewissermaßen 
kulturelles Problem, Renditen zu erwirtschaften, die ansonsten nur im gehobenen 
Konsumgüterbereich zu finden sind. Das geht einfach nicht zusammen. Verlage 
nehmen in einem solchen Fall ihre Verantwortung im Wissenschaftssystem nicht 
mehr ernst. 
Da nämlich in der Wissenschaft gewisse Strukturen von Sichtbarkeit unabdingbar 
sind, sind Verlage, die in Form von wichtigen Zeitschriften diese Strukturen 
beherrschen, in einer Position von hoher Verantwortung, denn sie könnten diese 
Position ja monopolistisch ausnutzen. Wenn sie das aber tun, kündigen sie die 
Partnerschaft mit der Wissenschaft auf letztlich auf und werden zu einem 
Fremdkörper. Das finde ich anstößig.


"Staatlich angeordneter open access?
Sie stellen in Abrede, dass hinter den Bemühungen des Kulturausschusses des 
Bundesrats um die Ergänzung von § 38 UrhG der Wunsch steckt, open 
access-Veröffentlichungen dienstrechtlich anordnen zu können."

Ja, das tue ich, denn davon steht nichts im Gesetz. Die von Ihnen als mögliches 
Szenario genannte dienstvertragliche Regelung sieht sich genau den gleichen 
verfassungsrechtlichen Bedenken wie eine gesetzliche Plicht ausgesetzt. Da wäre 
ich ganz beruhigt.


"Aber auch wenn man diese zweite Ebene hinweg denkt, überzeugt § 38 UrhG-E 
nicht. Welchen Forscher bringt es ernsthaft weiter, auf nicht zitierfähige 
Veröffentlichungen frei zugreifen zu können?"

Ich stimme da vollkommen zu. Das Zweitveröffentlichungsrecht muß sich natürlich 
auf die publizierte Fassung beziehen.
Vgl. Steinhauer, Kritische Anmerkungen zum Zweitveröffentlichungsrecht nach § 
38 Abs. 1 Satz 3 und 4 UrhG in der Fassung des Bundesratsentwurfes vom 9. Mai 
2006, in: Bibliotheksdienst 40 (2006), S. 734-742, konkret S. 738f.
Für Sie ganz praktisch auch open access (nach einer Karenz von 3 Monaten):
http://www.zlb.de/aktivitaeten/bd_neu/heftinhalte2006/Recht010606.pdf


"Zumal sich die notwendigen Investitionen wohl zu einem nicht geringen Teil 
darauf richten würden, den unter § 38 UrhG-E veröffentlichten Artikel mit dem 
dazu gehörigen Original in Verbindung zu stellen, um auf diese Weise 
Investitionen und Renommee des ursprünglichen Veröffentlichungsortes zu 
schmarotzen."

Hm, nachdem ich vorher die Inhalte geschnorrt habe! :))

Spaß beseite. Ich sehe hier schon die Investition des Verlages. Von daher 
könnte man durchaus über eine längere Karenzzeit reden. Die aktuelle 
Jahresfrist in § 38 UrhG ist schon o.k.


"Wenn man sich unter www.sherpa.com ansieht, dass der weit überwiegende Teil 
der Verlage und wissenschaftlichen Gesellschaften in den schnelllebig 
publizierenden Wissenschaften längst den grünen Status erreicht hat, muss aber 
vor allem die Frage gestattet sein, ob § 38 UrhG-E nicht ein Problem löst, dass 
sich in der Praxis längst nicht mehr stellt. "

Das Problem in der Praxis ist, daß der Wissenschaftler sich immer informieren 
muß und die Formulierungen auf sherpa.com nicht immer so eindeutig sind. Aber, 
wenn praktisch schon alles passiert ist, dann wäre ein neuer § 38 UrhG doch 
eine prima Sache, vor der niemand Angst haben muß.
:))

Retrodigitalisierung älterer Zeitschriftenjahrgänge
"Dieser Widerspruch lässt sich allerdings mit einem Blick in 
www.nationallizenzen.de auflösen. Dort kann man nämlich feststellen, dass es im 
Wesentlichen die angloamerikanischen Verlage sind, die ihre backfiles digital 
anbieten, weil dies von der dortigen Rechtsordnung ermöglicht wird."

Wenn dem so ist, sollte man aber nicht mit den Leistungen der amerikanischen 
Verlage werben, wenn es um deutsches Urheberrecht geht. Ich finde das ein wenig 
windig. ;)

"Zeitschriften deutscher Wissenschaftsverlage sind dagegen so gut wie nicht 
vertreten, weil dies aufgrund der derzeitigen urheberrechtlichen Situation ? 
die auch das DigiZeitschriften-Projekt nicht löst, sondern geflissentlich 
ignoriert ? "

Wohl wahr, aber Sie sitzen auch mit im Boot. Auf der HP von Digizeit ist zu 
lesen:
"Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Verwertungsgesellschaft 
Wort leisten Unterstützung bei der Umsetzung des Projekts."

Ich bin auch sehr für eine praktikable Lösung der Altfälle. Da haben Verlage 
und Bibliotheken ein gemeinsames Problem. Das sollte man auch gemeinsam lösen. 
Hier vermisse ich wirklich zielführende Ansätze.

So bleiben im Kuchen wohl noch ein paar Rosinen übrig. Naja, sonst wäre er ja 
auch etwas trocken.

Viele Grüße
Eric Steinhauer






Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.