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[InetBib] Rosinenkuchen bei "www.zweiter-korb.de"
- Date: Tue, 31 Oct 2006 19:59:57 +0100 (CET)
- From: Eric Steinhauer <eric.steinhauer@xxxxxxxxx>
- Subject: [InetBib] Rosinenkuchen bei "www.zweiter-korb.de"
Liebe Liste,
der Börsenverein hat auf seiner Seite ein rhetorisch sehr anerkennenswertes
Dokument mit seiner Sicht der Dinge zum Zweiten Korb und zu Open Access
plaziert.
http://www.was-verlage-leisten.de/images/stories/faqs%20gesamtversion%20061030.pdf
Nach der Lektüre kommt man sich als Bibliothekar richtig schlecht vor, wenn man
gar noch durch sein Engagement für OA schuld daran ist, wenn wichtige
Innovationen der traditonsreichen Verlage unterbleiben.
Nach dieser ersten Verstimmung zeigt ein zweiter Blick aber, daß der
Börsenverein einen leckeren Rosinenkuchen in den Zweiten Korb gelegt hat. Man
kann die Dinge so sehen, wie dort beschrieben. Nur vollständig ist diese Sicht
nicht. Hier ein paar Eindrücke, ganz subjektiv natürlich und nicht vollständig.
"Wissenschaftler in den Bereichen Technik, Naturwissenschaften und Medizin
(sog. STM-Segment) lesen heute 44% mehr Artikel als vor 25 Jahren und nutzen
dabei doppelt so viele Zeitschriften. Haben sie 1977 im Schnitt 150 Artikel
gelesen, sind es heute
216. Dabei sind die Kosten pro genutztem Artikel dramatisch gesunken.7 Die
Artikel stammten 1977 aus 13
Zeitschriften, heute aus 23. ... Für kleinere Bibliotheken, die früher im
Schnitt 106 gedruckte Zeitschriften abonniert hatten, hat sich mit 1221 die
Zahl der zugänglichen Zeitschriften vervielfacht."
Hm, wenn man im STM-Bereich aber nur 23 Titel braucht, reichen 106 doch
vollkommen aus. Es scheint, als will der Börsenverein für "Porschefahren in der
Spielstraße" werben. Das Zeitschriftenangebot ist künstlich aufgebläht und
daher überteuert.
Die Kritik zu § 38 UrhG des Bundesratsentwurfs ist ein hübscher Juristentrick à
la "Legt ihr's nicht aus, so legt ihr's unter":
"Verfolgt wird vielmehr das Ziel, alle in öffentlichen
Beschäftigungsverhältnissen stehenden wissenschaftlichen
Autoren separat (arbeitsvertraglich) zu verpflichten, ihre Beiträge in einem
repository abzuliefern."
Das ist nun tatsächlich Blödsinn. Das vorgeschlagene
Zweitveröffentlichungsrecht gibt allein dem Autor die Möglichkeit, anderweitig
und eben auch OA zu publizieren. Von einer Pflicht dazu ist überhaupt nicht die
Rede. Bei Wissenschaftlern können derartige Pflichten arbeitsvertraglich oder
dienstrechtlich wegen Art. 5 III 1 GG (Wissenschaftsfreiheit) gar nicht
begründet werden. So jedenfalls die ganz h.M. Ich darf hier verweisen auf: Jörg
Geerlings, Urheberrechtliche Konfliktlagen des Beamten im Dienstverhältnis, in:
DÖD 2006, H. 9, S. 195-199, besonders S. 197.
"Um den Verwertungsstau von älteren Werken in digitalen Medien zu lösen
(?Hebung der Archivschätze?), wird in § 137 l UrhG-E eine Übergangsregelung für
solche Nutzungsarten eingeführt, die zwischen dem Inkrafttreten des
Urheberrechtsgesetzes
im Jahre 1966 und der jetzigen Novelle neu erfunden worden sind. Zur Nutzung
berechtigt werden dabei solche Vertragspartner, denen ein Urheber alle
wesentlichen Nutzungsrechte ausschließlich sowie räumlich und zeitlich
unbegrenzt eingeräumt hat, sofern der Urheber der Nutzung nicht widerspricht."
Dazu möchte ich auf den hervorragenden Aufsatz von Spindler und Heckmann
verweisen:
Der rückwirkende Entfall unbekannter Nutzungsrechte (§ 137 I UrhG-E) - Schließt
die Archive?, in: ZUM 2006, H. 8/9, S. 620-630.
http://bibliotheksrecht.blog.de/2006/09/15/unbekannte_nutzungsrechte_in_korb_zwei~1127500
Wie gesagt, das Papier des Börsenvereins ist rhetorisch sehr gut. Besonders
beeindruckt hat mich die Argumentation, daß die neuen technischen Entwicklungen
die erhöhten Bezugspreise für Zeitschriften rechtfertigen. Es geht nicht um
Gewinne der Verlage. Nein, es geht um Investitionen in die
Informationsinfrastruktur. Das ist also die richtige Optik.
Dazu gehört dann wohl auch dies:
"Um dafür die Möglichkeiten moderner Digitaltechnologien optimal zu nutzen,
haben die wissenschaftlichen Fachverlage in den vergangenen 10 Jahren ganz
erheblich in die neuen Medien investiert. Mittlerweile sind viele Verlage im
Stande, digitalisierte Fassungen ihrer Zeitschriften bis zurück ins 19.
Jahrhundert anzubieten."
Als Vorschlag zur rhetorischen Verbesserung des Papiers sollte angesichts des
noch nicht in Kraft befindlichen § 137 l UrhG-E dieses Argument nicht fehlen:
"Die Verlage konnten diese Anstrengung nur leisten, weil sie alle Autoren der
vor 1995 erschienenen Artikel bzw. ihre Rechtsnachfolger mit hohem Aufwand
ausfindig gemacht und ihr Einverständnis eingeholt haben." Ja, und
bewundernswert, daß keiner widersprochen hat. Oder, habe ich da etwas falsch
verstanden...
;-)
Eric Steinhauer
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.