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[InetBib] BLB-Handschriften - zum Meditieren
- Date: Fri, 29 Sep 2006 08:29:30 +0200 (CEST)
- From: Eric Steinhauer <eric.steinhauer@xxxxxxxxx>
- Subject: [InetBib] BLB-Handschriften - zum Meditieren
Liebe Liste,
2006 war zunächst für Baden-Württemberg und für die bibliothekarische Welt ein
recht erfreuliches Jahr: in Marbach wurde das einzigartige Literaturmuseum der
Moderne eröffnet. Bei dieser Gelegenheit hat der Bundespräsident eine sehr
schöne Rede gehalten, die zu lesen und zu meditieren angesichts der aktuellen
Entwicklungen um die Badischen Handschriften lohnt.
http://www.bundespraesident.de/Anlage/original_631178/Eroeffnung-des-Literaturmuseums-der-Moderne-in-Marbach.pdf
Hier einige Auszüge:
"Dieses Museum drückt in seiner Idee und in seiner Ausführung
Hochachtung, Respekt, ja Verehrung aus für das, was es zeigt. Mir
scheint, dass damit hier etwas Neues entstanden ist ? etwas, das vor
zehn oder fünfzehn Jahren in dieser Form und in dieser Präsentation in
Deutschland nicht entstanden wäre. Sein ganzer Gestus sagt: Das hier
bedeutet uns viel, es ist ein wertvoller Teil unseres Erbes, es gehört zu
unserer Identität. Das neue Museum legt nicht einfach Papiere und
Bücher vor unser Auge. Es hat vielmehr den Mut, uns die literarischen
Nachlässe, die Kostbarkeiten und auch die Seltsamkeiten aus dem
Marbacher Literaturarchiv wie einen Schatz zu präsentieren."
"Ich halte es für richtig, dass in einer Zeit, die oft von Banalisierung
und Oberflächlichkeit gekennzeichnet ist, ein klares Signal gesetzt
wird: Kultur ist kein Schnäppchen ? und kein Schnupperangebot."
"Zu unserer Kultur gehört auch das Gedächtnis. Nicht nur das Gedächtnis an die
großen
Ereignisse, sondern auch das Gedächtnis an die Einzelnen, an die
fast schon Vergessenen ..."
Gilt alles das nicht für das "Literaturmuseum des Mittelalters", als das man
die gesamte Sammlung der BLB bezeichnen kann?
Der baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger war bei der Einweihung
in Marbach zugegen. In der Presse ist von ihm dies zu lesen:
Bei der Schlüsselübergabe sagte Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU), ein
Museum nur für die Literatur sei einmalig in Deutschland und ein «Leuchtturm in
der Kulturlandschaft» Baden-Württembergs. «Marbach wird damit zum Mekka der
Literatur und Literaturfreunde.»
Quelle: http://www.baden-wuerttemberg.de/de/Meldungen/112417.html
Ist das glaubwürdig: Leuchttürme beweihräuchern und, um beim Bild zu bleiben,
hinterrücks die Deiche niederreißen?
Liest man die o.g. Aussagen setzt sie ins Verhältnis zum Niveau der aktuellen
Diskussion (à la Feuilleton interessiert mich nicht, nur der Wirtschaftsteil
ist relevant), kommt gelinde gesagt Frustration auf. Wie belastbar sind
politische Aussagen? Darf es tatsächlich so sein, daß derartige Reden nur noch
Dekoration sind? Über den konkreten Gegenstand der Handschriften hinaus steht
im "Fall Karlsruhe" auch die politische Kultur zur Diskussion. Die anhaltende
Argumentationsresistenz der Politik, ihre unglaubliche Ignoranz und der
wachsende Verlust von Glaubwürdigkeit sind mir unheimlich. Sollte die Sammlung
in Karlsruhe auf politischen Druck hin tatsächlich zerschlagen werden, wären
mindestens auf mittlere Sicht ALLE kulturpolitischen Engagements des Landes
kontaminiert.
Eric Steinhauer
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.