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Re: [InetBib] Abrechnung mit der Open Access-Heuchelei der Bibliotheken
- Date: Mon, 14 Aug 2006 16:31:09 +0200
- From: "Kay Heiligenhaus" <kay.heiligenhaus@xxxxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Abrechnung mit der Open Access-Heuchelei der Bibliotheken
Werter Herr Graf,
Es ist nicht im geringsten pauschalisierend, auf eine mit
zahlreichen Beispielen unterfuetterte Darstellung, welche
Doppelmoral sich Bibliotheken in Sachen OA leisten, mit
einem denkbar undifferenzierten Pizzabaeckerbeispiel zu
antworten? Gegner, denen man nicht argumentativ beikommen,
werden mit Platitüden plattgemacht.
Naja, mit Platitüden habe ich bislang noch niemanden plattmachen können, aber
sei's drum: Das Beispiel ist nicht wirklich pauschalisierend, denn es
korrespondiert mit der Undifferenziertheit, die Sie in Ihren Anwürfen hier an
den Tag legen. Das nennt man dann vielleicht eine Satire. - - - Aber lassen wir
den Streit darüber, es geht hier immer noch um die Sache, derer ich mich
durchaus verbunden fühle.
Was soll also die Pizza bei dem Ganzen? Es geht bei OA (open access) vs. RA
(restricted access) m.E. im Kern um die Frage, welche variablen und fixen
Kosten bei der Bereitstellung und Unterhaltung entsprechender Angebote anfallen
und wer für diese Kosten aufkommt. Deshalb zu den verschiedenen Projekte, die
ich selbst recht gut kennen:
A) Digitalisierungsprojekte wie die Jiddischen Drucke (JD) und Compact Memory
(CM) verschlingen überwiegend Fixkosten für den Aufbau der entsprechenden
Angebote. Die variablen Kosten sind demgegenüber fast vernachlässigbar, jedoch
in absoluter Höhe nicht wirklich gering. So steht der CM-Server im lit.wiss.
Institut der RWTH, benötigt für anfallende Wartungsarbeiten einen
qualifizierten Administrator und in regelmäßigen Abständen einen Austausch der
Serverkomponenten, die durch Verschleiß ein natürliches Ende finden (soviel zu
der Immaterialität von Software). Hinzu kommen Stromkosten und entsprechende
Anteile an der verwendeten Bandbreite im DFN-Netz, an das die RWTH angebunden
ist. All diese Personal- und Sachkosten werden von der RWTH Aachen getragen,
der Löwenanteil aus dem Etat des Lehr- und Forschungsgebietes Deutsch-jüdische
Literaturgeschichte. Letztlich kommt hier also der Steuerzahler für die Kosten
auf - und folglich ist das Angebot auch strikt OA. Eine offene Frage ist jedoch
die Nachhaltigkeit des Angebotes. Meiner persönlichen Einschätzung nach wird
man hier mittelfristig nicht an einem Sponsoring vorbeikommen.
B) Der JD-Server hingegen steht bei semantics, wird von semantics unterhalten
und gewartet. Er verbraucht etwa 50% der Bandbreite, die wir von unserem
Provider beziehen (davon kommen weit über 70% nicht aus Deutschland, sondern
vor allem aus den USA, Israel usw.). Die Kosten hierfür trägt nicht der
Steuerzahler - aber dennoch haben wir uns entschieden, daß wir diese Sammlung
strikt OA anbieten. Es liegt uns einfach viel an der freien Zugänglichkeit
dieser äußerst seltenen und nur durch viele Zufälle und das persönliche
Engagement vieler einzelner vor der Zerstörungswut des Nationalsozialismus
geretteten Materialien.
C) Die Kostenstruktur der BDSL und BLL ist vollkommen anders gelagert. Es
handelt sich hier fast ausschließlich um variable Kosten, die sich aus der
bibliographischen Arbeit, der technischen Bereitstellung, der technischen
Weiterentwicklung usw. usf. ergeben. Ein Teil der bibliographischen Daten z.B.
der BDSL konnte durch ein DFG-Projekt retrodigitalisiert werden (1985-1990),
die sonstigen Daten sind mischfinanziert elektronisch erfaßt (UB Frankfurt/M. -
Klostermann Verlag). Die technische Infrastruktur zur Bereitstellung im Netz
ist ebenfalls mischfinanziert (UB Frankfurt/M. - semantics) entstanden und wird
seit über zwei Jahren allein von semantics getragen. Hieraus ergibt sich das
entsprechende Lizenzmodell zwischen OA und RA. Hinzu kommt: Es gibt keinerlei
Zugriffsbeschränkungen, die Nutzer aus VPN-Netzen lizenzierenden Institutionen
von der Nutzung ausschließen. Ein solches Modell halten wir für unzeitgemäß und
wirklichkeitsfremd. Aber, das soll jeder Anbieter so gestalten, wie er es für
richtig hält. (Und jeder Lizenznehmer akzeptieren, wenn er es für notwendig
hält.)
Was hat das nun tatsächlich mit Pizza zu tun? Die Anspielung erschließt sich
vielleicht nur für den, der das TEI-Pizza-Modell
(http://www.tei-c.org/pizza.html) kennt. Oder vielleicht auch für den, der
einen tollen Pizzabäcker seinen Freund nennt - und ab und an die besten Salate
tatsächlich geschenkt bekommt. Weil der so gerne über Demokratie diskutiert.
Und das am liebsten bei einen schönen Rotwein, den man dann selbst mitbringen
kann. Es erschließt sich nicht dem, der nie eine TEI-DTD erarbeiten mußte. Und
auch keinen Pizzabäcker kennt. Weil er zu sehr mit Krawallmache beschäftigt
ist, um ein gutes Gespräch über variable und fixe Kosten zu führen. Oder über
die Demokratie ganz allgemein.
Ansonsten: Bei entsprechender Differenziertheit bin ich gerne zu einem Gespräch
über OA bereit. Einen nicht geringen Teil meiner "Freizeit" verbringe ich
nämlich auch damit, hierfür tragfähige Lösungen zu finden. Und einen Teil
meiner "Geschäftszeit" ebenfalls. Das bringt oft mehr als Krawall.
Beste Grüße,
Kay Heiligenhaus
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.