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Re: [InetBib] BibliothekarInnen als die wahren Experten des Semantic Web?
- Date: Wed, 19 Jul 2006 12:59:54 +0200
- From: Jakob Voss <jakob.voss@xxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] BibliothekarInnen als die wahren Experten des Semantic Web?
Mark Buzinkay schrieb:
Im neuesten Werk zur Semantic Web Thematik (Semantic Web. Wege zur
vernetzten Wissensgesellschaft) werden verschiedene Entwicklungen,
Forschungen und Ideen zur Realisierung des Semantic Web dargestellt. Wenn es
um Semantics geht, sollten eigentlich BibliothekarInnen hier federführend
sein, ist es doch ihr ur-eigenes Geschäft. Ein Blick in die Autorenliste (57
AutorInnen) verrät aber, dass das Thema in der Bibliotheksszene de-facto
nicht aktiv vorangetrieben wird. Wieso ist das so?
Ich finde, das Feld sollte nicht Technikern überlassen werden, wie dies
derzeit geschieht. Wo liegen die Hürden, dass die (dt-sprachige)
Bibliothekswelt sich des Themas kaum annimmt?
Abgesehen von den (hoffentlich nicht allzu vielen) "Kollegen", die
innerlich sowieso schon mit allem abgeschlossen haben und nur noch auf
ihre Pensionierung warten, kann ich mir folgende Gründe vorstellen:
* Desinteresse ("Kennen wir nicht, brauchen wir nicht.")
* Fehleinschätzung ("Bibliotheken gibts schon seit Hunderten von Jahren
und das wird auch so bleiben.")
* Abschreckende Heilsbringer aus der Künstlichen Intelligenz und
Wissensorganisation ("Wir müssen erstmal ganz viele semantische
Relationen definieren und ein Meta-Metamodell entwerfen")
* Magelnde Aus- und Weiterbildung ("XML,W3C,Perl... - naja, hab ich
irgendwo schon mal gehört, aber keine Ahnung was das ist")
* Fehlender Spieltrieb, Obrigkeitshörigkeit und mangelndes
Selbstbewußtsein ("Ich kann doch jetzt nicht einfach so ein Wiki
bearbeiten/einen Blog erstellen/Inhalte Taggen/einen Webservice
aufsetzen...")
* Featuritis auf Seiten der Informatiker ("Und noch eine Meta-API...")
* Mißachtung von Standards auf Seiten der Bibliothekare ("RFC, W3C,
OASIS..? So ein Quatsch, bei uns macht jeder seinen eigenen Standard, es
geht doch nichts über undokumentierte Hausregeln!")
* Vorurteile auf Seiten der Informatiker ("Bibliotheken? Sind das nicht
diese Häuser voller Bücher?")
* Betriebsblindheit auf Seiten der Informatiker ("Diese Worte, die an
Objekte angehängt werden, nennen wir jetzt mal 'Tags' - ups, da können
ja plötzlich zwei Leute das gleiche Tag für unterschiedliche Bedeutungen
verwenden - was machen wir denn da bloß?")
* Einschränkende Arbeitsbedingungen ("Einen eigenen Server?! Da müssen
sie erst Formblatt X654 beantragen und bei Abteilung Q vorstellig
werden, aber die ist grade im Urlaub.")
* Bibliothekspolitik ("Mir egal, ob das Projekt vor die Wand fährt -
Hauptsache mein Erzfeind in Einrichtung Y hat auch einen Schaden davon!")
* ...bitte vervollständigen...
Die Begründung "keine Zeit" mag zwar vom individuellen Standpunkt aus
richtig sein - dafür gibt es aber eigentlich die Leitungsebene, die
strategisch plant und Schwerpunkte setzt. "Semantic Web" alleine als
Buzzword ist zwar vielleicht weniger wichtig, aber durch gemeinsame
(Forschungs)Projekte mit Informatikern und die Mitarbeit in
internationalen Standardisierungsgremien kann schon einiges erreicht
werden. Ich bin beispielsweise gerade in Sachen SKOS [1] aktiv, einem
Format zur Einbindung von klassischen Systemen der Wissensorganisation
(Schlagwortdateien, Klassifikationen, Thesauri) ins Semantic Web - also
eigentlich ein Bereich in dem Bibliothekare noch einen fachlichen
Vorsprung haben.
Schöne Grüße,
Jakob Voß
[1] http://www.w3.org/2004/02/skos/
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.