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Re: [InetBib] Wikis in deutschen Bibliotheken



Liebe Frau Bertram, liebe Frau Swoboda, liebe Liste,

an der SULB nutzen wir seit ca. einem halben Jahr ein Wiki, und ich will gerne 
die Entstehungsgeschichte und unsere bisherigen Erfahrungen fuer Sie 
zusammenfassen.

Im Herbst 2005 brachte der Leiter unserer Medienbearbeitung den Gedanken auf, 
fuer die anstehende Migration des SWB-Verbundkatalogsystems ein Wiki als 
Informations- und Austauschplattform aufzubauen, um den Mitarbeiterinnen und 
Mitarbeitern der Medienbearbeitung sowohl der Zentral- als auch der 
Institutsbibliothek(en) den Sprung ueber die zu erwartenden PICA-Huerden zu 
erleichtern. Die ersten, schnell durchgefuehrten Out-of-the-box-Installationen 
einer MediaWiki-Software (d.i. Wikipedia) wurden ebenso schnell wieder 
verworfen, da dieser Software zum einen anstaendige Editoren fehlen und die 
Textgestaltungssyntax als nicht zumutbar  angesehen wurde, zum anderen aber 
bereits in dieser Phase ambitioniertere Plaene aufkamen.

Das interne Informationssystem der SULB bestand zu diesem Zeitpunkt (und 
teilweise noch heute) aus einem verwirrenden und unbefriedigendem Geflecht aus
a) einem inhaltlich bzw. organisatorisch strukturierten und rechte- bzw. 
gruppenbasierenden Dateisystem mit einer Fuelle von Worddokumenten, PDF-Dateien 
etc. in Ordnern, Unterordnern, Unterunterordnern und Unterunterunterordnern,
b) einem IP-geschuetzten HTTP-Zugriff auf interne HTML-Dokumente (unser sog. 
Intranet),
c) den persoenlichen E-Mailprogrammen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die 
sich in einigen Faellen zu ehrfurchtgebietenden Content-Management-Systemen 
ausgewachsen haben. (Was auch aus Gruenden der Datenhaltung aergerlich ist, da 
intern versendete Mail-Attachments sich im Datenvolumen flugs verhundertfachen 
und nachts auf teure Baender gesichert werden).

Das urspruenglich vorgesehene Wiki wurde nun konzeptionell und softwareseitig 
ausgebaut, um sowohl die Inhalte als auch die Funktionen der geschilderten 
verteilten Systeme zu uebernehmen. Aufgesetzt wurde ein Server unter SUSE 
Linux, einem Apatschen und einem Zope/Plone- Gespann, das eine Dokumentenebene 
und eine Wiki-Ebene umfasst. Wir haben bewusst ein zweischichtiges System 
aufgebaut, in dem
1.) auf einer Wiki-Ebene Beitraege (Hinweise, Anfragen etc.) ungefiltert, 
schnell, frei und gut eingebracht werden, dort diskutiert und schliesslich auf 
einer
2.) Dokumentenebene dauerhaft gespeichert, autorisiert und nur von eigens 
bestimmten und geschulten Kolleginnen und Kollegen geaendert werden koennen.

Das Plone-System erlaubt die detaillierte Festlegung von Attributen, Rechten 
und Rollen, so dass eine saubere Trennung von Administratoren, Redakteuren und 
Beitraegern definiert werden konnte, die allerdings im freien Wiki-Teil nicht 
zum Tragen kommt (jeder kann alles schreiben, jeder alles lesen), wohl aber 
nach der Veredelung der Dokumente am Ende des Diskussionsprozesses und dem 
damit einhergehenden Umzug in den Dokumententeil. Die Dokumentenebene wurde 
darueber hinaus zuegig gefuellt mit vorhandenen Dokumenten (Anleitungen, 
Festlegungen etc.) und ersetzt bereits jetzt einen Teil des bisherigen 
Dateisystems und perspektivisch auch das Intranet. Im Dokumententeil sind auf 
Wunsch der betroffenen Abteilungen einzelne Inhalte oder auch Inhalte ganzer 
Ordner nur fuer die Angehoerigen dieser Abteilungen einzusehen (drei Status 
sind moeglich: veroeffentlicht, sichtbar (eigene Gruppe), privat (also eine 
ganz gewoehnliche CMS-Funktionalitaet).

Dieses jetzt „ISIS“ getaufte CMS-Wiki-System (wir gruebeln alle, was das 
eigentlich bedeutet, keiner kann sich erinnern) ist mittlerweile auf dem besten Weg, _die_ 
zentrale Informationsplattform zu werden, als die es angelegt war. Alle Abteilungen und 
Sachgebiete verfuegen ueber ein eigenes Wiki (Medienwiki, Benutzungswiki, Technikwiki etc.) 
und eine entsprechende Dokumentenebene. Die hier aufscheinende (von den Abteilungsvertretern 
gewuenschte) Trennung ist dabei weniger stoerend, als zu befuerchten stand, da eine 
leistungsfaehige Volltextsuche die Huerden leicht ueberwindet und die automatische 
Hervorhebung neuer Inhalte nach dem Einloggen auch die aktuellen Meldungen schnell in den 
Blick rueckt. Auch die Institutsbibliotheken profitieren von dieser zentralen Anlaufstelle, 
da die bisherige Informationsuebermittlung auf klassischem Weg (E-Mails, Dateisystem) die 
Institute haeufig nicht erreichte.

Wichtig scheinen mir folgende Punkte bei der Etablierung eines internen 
Wiki-Infosystems:
1.) Information und Schulung: die Bedienung eines Wikis ist trivial und ist es auch wieder nicht, da 
gewohnte Wege verlassen werden. Die Informationsveranstaltungen sollten sowohl in die Bedienung des Wikis 
einfuehren als auch den Sinn des Wikis oder des internen CMS vermitteln. Die Bibliotheksmitarbeiter muessen 
kuenftig entscheiden, welche Informationen Wiki-relevant (und diskussionswuerdig) sein koennten, welche 
grundlegend und „persistent“ und welche ueber eine Tagesaktualitaet nicht hinausgehen. Statt 
„schnell mal eine Mail zu schreiben“, sind jetzt andere Informationsuebermittlungswege 
moeglich, gelegentlich noetig, sonst bleiben E-Mail-Programme auch weiterhin ein persoenliches 
Content-Management-System.
2.) Inhalt, Inhalt, Inhalt. Der taegliche Blick ins Wiki, der Gebrauch des 
Wikis (nehmend und gebend) wird um so schneller selbstverstaendlich, je mehr 
die Kolleginnen und Kollegen davon profitieren. Gerade in der Anfangszeit 
sollte (von verantwortlichen Redakteuren) bereits viel Inhalt eingebracht 
worden sein. Veroeffentlichen Sie Termine, Hinweise, Nachrichten, Anleitungen 
nur noch im Wiki (bzw. einem statischeren Dokumententeil), weisen Sie darauf 
hin, dass der Inhalt einer gerade empfangenen E-Mail ins Wiki gehoert. Drohen 
Sie mit Essensentzug oder der Versetzung in die Katalogisierung, falls es nicht 
erfolgt. Geschafft haben Sie es dann, wenn das Wiki bei den meisten 
Bibliotheksmitarbeitern und -rinnen zur Startseite im Browser wird ;-)
3.) Bereiten Sie den Einsatz administrativ vor. Definieren Sie Rollen, Rechte, Gruppen, 
gewinnen Sie Redakteure und verantwortliche Mitstreiter, die ihren Bereich betreuen. Nach 
unserer Erfahrung sollten auch „verdeckte“ bzw. abteilungs- oder 
sachgebietsbegrenzte Bereiche (obwohl Wiki-untypisch) moeglich sein, da sich sonst Nester 
anderer Art halten oder gebaut werden (man glaubt nicht, welche sensiblen Informationen in 
einer Medienbearbeitung gehuetet werden (Stichwort: Koerperschaften).

Dies als erster Erfahrungsbericht, etwas unstrukturiert und unvollstaendig, wie 
ich befuerchte. Aber ich bin gespannt auf weitere Beispiele und verbleibe in 
der Hoffnung, Ihnen, liebe Frau Bertram, ein wenig weitergeholfen zu haben
Ihr
Thomas Kees

P.S. Und natuerlich viel Erfolg fuer die Arbeit!
--
Thomas Kees

O,O       Saarlaendische Universitaets-
/(^^)\           und Landesbibliothek
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