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Re: [InetBib] Verwaiste Werke




Lieber Herr Graf,

ich möchte Ihnen ausdrücklich dafür danken, das Problem der verwaisten Werke 
ins Blickfeld einer größeren Öffentlichkeit zu stellen. Bisher haben sich nur 
die auf Urheberrecht spezialisierten bibliothekarischen Gremien 
(DBV-Rechtskommission, EBLIDA Copyright Experts Group und IFLA Copyright and 
Legal Matters Committee) mit dem Problem befaßt. Obwohl immer wieder im 
Bibliotheksalltag einzelne Probleme entstehen, z.B. mit "verschwundenen" 
jüdischen Verlagen, wurde das Thema in den letzten Jahren fast nur von Experten 
gesehen und diskutiert. Da ist es umso erfreulicher, daß die diesbezügliche 
jahrelange Lobbyarbeit von EBLIDA und IFLA zumindest auf europäischer Ebene zu 
politischen Aktivitäten führt. Meines Erachtens ist das auch der richtig 
Ansatz. Urheberrecht wird seit langem schon in Brüssel und Strassburg gemacht, 
Berlin setzt die entsprechenden Richtlinien dann (mehr oder weniger gelungen) 
in deutsches Recht um. Deshalb gebe ich Ihrem Vorschlag einer dezidierten 
Ergänzung unseres Gesetzes wenig Chancen.

Das Urheberrechtsbündnis muß sich im Moment mit dem 2. Korb beschäftigen. Wie 
wir alle wissen, drohen da viele Gefahren für Bildung und Wissenschaft. Deshalb 
halte ich es für richtig, wenn das Bündnis das Problem der verwaisten Werke 
weiterhin den Bibliotheksexperten überläßt und sich in der gegenwärtigen Lage 
auf den 2. Korb konzentriert. Man kann nicht alles gleichzeitig tun.

Sollte der 2. Korb in Gestalt des Kabinettbeschlusses oder so ähnlich ins 
Urheberrechtsgesetz umgesetzt werden, könnten sich aber durchaus auch 
Verbesserungen für das Problem der verwaisten Werke ergeben. Natürlich sind das 
beim derzeitigen Stand der Dinge noch reine Spekulationen, aber es gibt da 
gewisse Ansätze im Gesetzesentwurf. Ich empfehle eine sorgfältige Lektüre des 
Begründungstextes.

Das Thema "verwaiste Werke" wird in den nächsten Jahren Bibliotheken stärker 
als bisher beschäftigen, und je früher man sich mit den rechtlichen und 
tatsächlichen Fragen beschäftigt, umso besser.

Mit freundlichen Grüßen

--
Dr. Harald Müller

Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht / 
Bibliothek
Max Planck Institute for Comparative Public Law
and International Law / Library
Im Neuenheimer Feld 535; D-69120 Heidelberg
Phone: +49 6221 482 219; Fax: +49 6221 482 593
Mail: hmueller@xxxxxxx



---------- Original Message ----------------------------------
From: "Klaus Graf" <klaus.graf@xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Reply-To: Internet in Bibliotheken <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Date:  Thu, 23 Mar 2006 05:14:11 +0100

Allmaehlich beginnt man auch in Europa das Problem der
verwaisten Werke (orphan works), deren Rechteinhaber nach
dem Urheberrechtsgesetz nicht ohne unvertretbaren Aufwand
zu ermitteln ist, etwas ernster zu nehmen. Dies geht nicht
nur aus der Zusammenfassung der EU-Online-Konsultation
Auszug: http://archiv.twoday.net/stories/1734191/
sondern auch aus den einzelnen Stellungnahmen
http://europa.eu.int/information_society/activities/digital_libraries/consultation/replies/index_en.htm
hervor.

Bedauerlicherweise hat das Urheberrechtsbuendnis,
verstaendlicherweise an anderen Fronten kaempfend, bislang
keinerlei Notiz von diesem wichtigen Problem genommen.

Auf Bibliotheksebene hat man durchaus den Aufsatz von Covey
(Bibliothekarin der CMU) zur Kenntnis genommen
http://www.diglib.org/pubs/trollcovey0509/
(waehrend Archive sich der Bedeutung der Frage noch nicht
bewusst sind).

Es fehlt an empirischen Daten, die British Library
schaetzt, dass nach 50 Jahren 50 % der Werke verwaist sind.






Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.