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[InetBib] OLG Hamburg; Internet als unbekannte Nutzungsart
- Date: Wed, 18 Jan 2006 13:29:40 +0100 (CET)
- From: Eric Steinhauer <eric.steinhauer@xxxxxxxxx>
- Subject: [InetBib] OLG Hamburg; Internet als unbekannte Nutzungsart
Liebe Liste,
in Bibliotheken werden in größerem Maße gedruckte Werke retrospektiv
digitalisiert. Dabei stellt sich vor allem in den Fällen, in denen Autoren
ihren Verlagen ausschließliche Nutzungsrechte eingeräumt haben, die Frage, ob
diese Rechte auch das Verbreiten im Internet umfassen. Es ist allgemeine
Meinung, daß dies bei Veröffentlichungen vor 1995 nicht der Fall ist. Die
betroffenen Autoren können daher für ihre älteren Artikel der Bibliothek ein
einfaches Nutzungsrecht einräumen und die Digitalisierung und Publikation im
Internet gestatten.
In diesem Zusammenhang ist ein Urteil des Hanseatische Oberlandesgerichts
Hamburg vom 24.02.2005 (Az.
5 U 62/04) von Interesse. Dort heißt es u.a. im Leitsatz:
"Die Veröffentlichung von urheberrechtlich geschützten Werken in Form von
digitalisierten Zeitungen bzw. Zeitschriften im Internet stellte sich
spätestens im Jahr 1993 nicht mehr als eine "noch nicht bekannte Nutzungsart"
i.S.v. § 31 Abs. 4 UrhG dar. Im Jahr 1986 besaß diese Nutzungsart hingegen noch
keine wirtschaftliche Bedeutung und war deshalb noch unbekannt im Sinne dieser
Vorschrift."
Quelle: Kommunikation und Recht 2006, Heft 1, S. 46-48
Online: http://www.jurpc.de/rechtspr/20050121.htm
Das Gericht setzt sich recht intensiv mit der Frage auseinander, ab wann die
online-Nutzung eine bekannte Nutzungsart ist. Für Bibliothekare, die mit
Digitalisierung beschäftigt sind, lohnt sich die Lektüre dieser Entscheidung.
Die vom Gericht angenommene Zeitgrenze vermag nicht zu überzeugen. Sie
entspricht nicht der wohl h.M. in der Kommentarliteratur, vgl. nur
Dreier/Schulze, UrhG, § 31, Rn. 100 ("ab 1995").
Zudem sagt das Gericht selbst: "Entscheidend ist ..., ob die Nutzungsart nicht
nur technisch besonders interessierten Verbrauchern, sondern vor allem in den
einschlägigen Kreisen der werkschöpfenden Urheber bereits hinlänglich bekannt
war."
Sinngemäß findet sich das in einer Entscheidung des 3. Senats des OLG Hamburg
aus dem Jahr 2000:
"Für die Frage, ob es sich bei einer Verbreitungsform um eine (zum Zeitpunkt
des Vertragsschlusses) bekannte Nutzungsart handelt, kommt es nicht auf den
Kenntnisstand technisch informierter Fachkreise, sondern darauf an, ab wann
sich diese nach der Verkehrsauffassung als hinreichend klar abgrenzbare,
wirtschaftlich-technische Verwertungsform entwickelt hat. Eine solche Bedeutung
als Verbreitungsform für die Allgemeinheit hat das Internet als elektronisches
Netzwerk erst ab dem Jahre 1995 - und damit weit nach dem Zeitpunkt des
Vertragsschlusses - erlangt."
Damals hatte das Gericht das Internet als bekannte Nutzungsart also erst ab
1995 angenommen.
OLG Hamburg, Urteil vom 11.05.2000, 3 U 269/98
Quelle: NJW-RR 2001, 123, ZUM 2000, S. 870.
Online: http://www.jurpc.de/rechtspr/20000187.htm
Bedenkt man, daß erst der Siegeszug der Internetbrowser zu einer weiten
Verbreitung des Internet geführt hat, so kann man beim Internet erst ab 1995
von einer bekannten Nutzungsart sprechen: am 15.12.1994 wurde der Netscape
Navigator erstmals zum Download angeboten. Hier beginnt das Internet in seiner
heutigen, urheberrechtlich relevanten Form.
Vgl. Bröcker/Czychowski/Schäter, Praxishandbuch Geistiges Eigentum im Internet,
München 2003, § 1, Rn. 24.
Das Gericht legt übrigens das Jahr 1993 als Einführungszeitpunkt des Netscape
Browers zugrunde:
"Diese Auffassung teilt im übrigen selbst die Antragsgegnerin, die in der
Senatssitzung zustimmend darauf hingewiesen hatte, dass erst ab dem Jahr 1993
mit der Einführung des Netscape-Browers von einer bekannten Nutzungsart
ausgegangen werden könne."
Das ist offenkundig unrichtig. Vgl. Art. "Netscape" in: Der Brockhaus Computer
und Informationstechnologie : Hardware, Software, Multimedia, Internet,
Telekommunikation, Mannheim [u.a.], 2003, S. 620: Erst im Oktober 1994 gab es
die erste Beta-Version von Netscape. Das Unternehmen selbst wurde ebenfalls
erst 1994 gegründet.
Damit ist das Gericht von einem richtigen Indikator (Netscape-Browser), aber
einem falschen Zeitpunkt ausgegangen.
Mit guten Gründen kann man also in den Bibliotheken bei der Praxis bleiben, das
Jahr 1995 als zeitliche Grenze für retrospektive Digitalisierungen ohne eine
notwendige Beteiligung von Verlagen anzusehen.
Eric Steinhauer
http://www.steinhauer-home.de
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.