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[InetBib] OLG Hamburg; Internet als unbekannte Nutzungsart



Liebe Liste,

in Bibliotheken werden in größerem Maße gedruckte Werke retrospektiv 
digitalisiert. Dabei stellt sich vor allem in den Fällen, in denen Autoren 
ihren Verlagen ausschließliche Nutzungsrechte eingeräumt haben, die Frage, ob 
diese Rechte auch das Verbreiten im Internet umfassen. Es ist allgemeine 
Meinung, daß dies bei Veröffentlichungen vor 1995 nicht der Fall ist. Die 
betroffenen Autoren können daher für ihre älteren Artikel der Bibliothek ein 
einfaches Nutzungsrecht einräumen und die Digitalisierung und Publikation im 
Internet gestatten.

In diesem Zusammenhang ist ein Urteil des Hanseatische Oberlandesgerichts 
Hamburg vom 24.02.2005 (Az.
5 U 62/04) von Interesse. Dort heißt es u.a. im Leitsatz: 

"Die Veröffentlichung von urheberrechtlich geschützten Werken in Form von 
digitalisierten Zeitungen bzw. Zeitschriften im Internet stellte sich 
spätestens im Jahr 1993 nicht mehr als eine "noch nicht bekannte Nutzungsart" 
i.S.v. § 31 Abs. 4 UrhG dar. Im Jahr 1986 besaß diese Nutzungsart hingegen noch 
keine wirtschaftliche Bedeutung und war deshalb noch unbekannt im Sinne dieser 
Vorschrift." 

Quelle: Kommunikation und Recht 2006, Heft 1, S. 46-48
Online: http://www.jurpc.de/rechtspr/20050121.htm

Das Gericht setzt sich recht intensiv mit der Frage auseinander, ab wann die 
online-Nutzung eine bekannte Nutzungsart ist. Für Bibliothekare, die mit 
Digitalisierung beschäftigt sind, lohnt sich die Lektüre dieser Entscheidung.

Die vom Gericht angenommene Zeitgrenze vermag nicht zu überzeugen. Sie 
entspricht nicht der wohl h.M. in der Kommentarliteratur, vgl. nur 
Dreier/Schulze, UrhG, § 31, Rn. 100 ("ab 1995").

Zudem sagt das Gericht selbst: "Entscheidend ist ..., ob die Nutzungsart nicht 
nur technisch besonders interessierten Verbrauchern, sondern vor allem in den 
einschlägigen Kreisen der werkschöpfenden Urheber bereits hinlänglich bekannt 
war."

Sinngemäß findet sich das in einer Entscheidung des 3. Senats des OLG Hamburg 
aus dem Jahr 2000:
"Für die Frage, ob es sich bei einer Verbreitungsform um eine (zum Zeitpunkt 
des Vertragsschlusses) bekannte Nutzungsart handelt, kommt es nicht auf den 
Kenntnisstand technisch informierter Fachkreise, sondern darauf an, ab wann 
sich diese nach der Verkehrsauffassung als hinreichend klar abgrenzbare, 
wirtschaftlich-technische Verwertungsform entwickelt hat. Eine solche Bedeutung 
als Verbreitungsform für die Allgemeinheit hat das Internet als elektronisches 
Netzwerk erst ab dem Jahre 1995 - und damit weit nach dem Zeitpunkt des 
Vertragsschlusses - erlangt."
Damals hatte das Gericht das Internet als bekannte Nutzungsart also erst ab 
1995 angenommen.

OLG Hamburg, Urteil vom 11.05.2000, 3 U 269/98
Quelle: NJW-RR 2001, 123, ZUM 2000, S. 870.
Online: http://www.jurpc.de/rechtspr/20000187.htm

Bedenkt man, daß erst der Siegeszug der Internetbrowser zu einer weiten 
Verbreitung des Internet geführt hat, so kann man beim Internet erst ab 1995 
von einer bekannten Nutzungsart sprechen: am 15.12.1994 wurde der Netscape 
Navigator erstmals zum Download angeboten. Hier beginnt das Internet in seiner 
heutigen, urheberrechtlich relevanten Form.
Vgl. Bröcker/Czychowski/Schäter, Praxishandbuch Geistiges Eigentum im Internet, 
München 2003, § 1, Rn. 24.
Das Gericht legt übrigens das Jahr 1993 als Einführungszeitpunkt des Netscape 
Browers zugrunde:
"Diese Auffassung teilt im übrigen selbst die Antragsgegnerin, die in der 
Senatssitzung zustimmend darauf hingewiesen hatte, dass erst ab dem Jahr 1993 
mit der Einführung des Netscape-Browers von einer bekannten Nutzungsart 
ausgegangen werden könne."
Das ist offenkundig unrichtig. Vgl. Art. "Netscape" in: Der Brockhaus Computer 
und Informationstechnologie : Hardware, Software, Multimedia, Internet, 
Telekommunikation, Mannheim [u.a.], 2003, S. 620: Erst im Oktober 1994 gab es 
die erste Beta-Version von Netscape. Das Unternehmen selbst wurde ebenfalls 
erst 1994 gegründet.

Damit ist das Gericht von einem richtigen Indikator (Netscape-Browser), aber 
einem falschen Zeitpunkt ausgegangen.

Mit guten Gründen kann man also in den Bibliotheken bei der Praxis bleiben, das 
Jahr 1995 als zeitliche Grenze für retrospektive Digitalisierungen ohne eine 
notwendige Beteiligung von Verlagen anzusehen.


Eric Steinhauer
http://www.steinhauer-home.de



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