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Re: Quo vadis-Band und Publizieren



On Tue,  7 Jun 2005 09:16:09 +0200 (CEST)
 Eric Steinhauer <eric.steinhauer@xxxxxxxxx> wrote:
> Liebe Liste,
> 
> es ist vedienstlich, wenn die Autoren ihre Beiträge im
> Netz zur Verfügung stellen. Das dient der Information.
> Allerdings möchte ich bestreiten, daß hier eine
> Publikation vorliegt. Eine Publikation zeichnet sich
> durch Sichtbarkeit, Zitierbarkeit und Dauerhaftigkeit
> aus. Die Frage der Sichtbarkeit hat die Liste durch nur
> sukzessive Nennung von einzelnen Beiträgen nicht gerade
> positiv beantwortet. Die Dauerhaftigkeit lasse ich
> dahinstehen. Das Problem ist die Zitierbarkeit, die im
> wissenschaftlichen Diskurs von herausragender Bedeutung
> ist. Wenn nun ein gedrucktes Buch vorliegt, dann setzten
> Typographie und Seitenumbruch des Buches den
> Zitiertstandard. Auch wenn der Text im Web frei verfügbar
> ist, ist er, soweit er nicht erkennbar bibliographisch
> der Primärquelle entspricht, nur eine schöne Information,
> aber für das wissenschaftliche Zitat wertlos. Man ist
> gezwungen für ein korrektes Zitat das Buch zu
> konsultieren. Open accesses ist dann Werbung für den
> gedruckten Text. Dagegen ist nichts zu sagen, solange das
> Preis/Leistungs-Verhältnis des Print-Produktes stimmt.
> Wie gesagt, solange ....!

Ich moechte widersprechen. Der gedruckte Text ist nicht
notwendigerweise der "wahre" Text einer Veroeffentlichung.
Wir hatten hier das Thema neulich ja schon einmal (Faksmile
vs. E-Text bzw. E-Druck vs. E-Text
http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg27175.html)
und leider hatte sich damals zum Kern meiner Frage nur Herr
Steinhauer geaeussert (die Debatte ging gleich zu
technischen Fragen der PDF-Erstellung ueber).

Wenn wir einen Wandlungsprozess beim wissenschaftlichen
Publizieren erleben - wieso sollte der vor den
hergebrachten Grundsaetzen der Herrn Steinhauer vertrauten
Faecher halt machen? Herr Steinhauer wird mir sicher
zustimmen, dass einem mittelalterlichen Autor unser Problem
mit der Zitierbarkeit obskur erscheinen wuerde. Die Summa
Theologiae oder das Decretum Gratiani wird nach einer
internen, ausgabenunabhaengigen Zitierweise zitiert, und
sofern sich die Randnummern nicht aendern wuerden, koennte
man auch eine Online-Version von Dreier/Schulze, UrhR, § 31
UrhG Rdnr. 135 genauso zitieren wie die gedruckte Fassung.

Und wer zitiert "Die Tatsachen im logischen Raum sind die
Welt" mit Seitenzahl statt mit 1.13?

Ich zitiere ein umfangreiches Manuskript, das ich
freundlicherweise vor der Drucklegung einsehen durfte,
haeufig auch nach einer internen Zitierweise, die auf den
spaeteren Seitenumbruch nicht Ruecksicht nimmt (z.B. bei
Anm. 17 oder Kapitel 5).

Mit ist, das bekenne ich gern, auch das Verlags-PDF in
einem Eprint-Archiv am liebsten, aber damit denke ich
selbst auch noch zu traditionell.

Bei der gedruckten Version stellt sich letztlich immer die
Frage der Verfuegbarkeit. Natuerlich kann man vieles per
Fernleihe bestellen, aber lohnt die Differenz der
gedruckten Fassung und der E-Fassung tatsaechlich diesen
Aufwand? Sollten wir nicht die Veraechter der
E-Publikationen davon ueberzeugen, dass auch
Online-Publikationen uneingeschraenkt zitierfaehig sind
(wenn die Qualitaet stimmt)?

Was machen Sie, Herr Steinhauer, wenn Sie auf Ihrem
Notebook das Lexikon des Mittelalters als Datei haben und
einen Artikel zitieren wollen? Gehen Sie dann zum
gedruckten Band, da dieses hochpreisige Produkt den
Seitenwechsel der gedruckten Vorlage NICHT kenntlich macht?

Bestellen Sie sich die kaum veraenderte zweite Auflage
eines Werks per Fernleihe, wenn es um ein Zitat aus der
ersten Auflage geht?

Es kann ja auch sein, dass der E-Text gegenueber dem
gedruckten Text Verbesserungen aufweist (z.B. Nachtraege
oder ausgeschriebene Vornamen von Autoren, die ein
Redakteur weggestrichen hat). 

Abgesehen von der Tatsache, dass es nicht soviel Aufwand
ist, in einem E-Text den Seitenwechsel einer gedruckten
Vorlage einzutragen (wenn man nicht auf hundertprozentige
Akribie Wert legt), sollte man sich vielleicht doch mehr in
Richtung auf die "logischere" interne Zitierweise bewegen.

Weist eine Arbeit einen durchgehenden Fussnotenapparat auf,
kann nach den Fussnoten zitiert werden (bei Anm. 17),
ansonsten kann man auch in gedruckten Veroeffentlichungen
eine Abschnitts- oder Paragraphenzaehlung einfuehren
(ebenso wie in HTML-Online-Publikationen).

Steinhauers Monitum erscheint mir somit als Ausdruck einer
obsoleten Zitier-Dogmatik und ist somit zurueckzuweisen.

Klaus Graf


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.