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Re: Website: Russian Digital Mathematics Library (RusDML)



Sehr geehrter Herr Tempel,

soweit ich sehen kann, hat Dr. Graf keine ziemlich gewagten Schluesse gezogen,
sondern Ihnen Aussagen unterstellt, die Sie nachweislich nicht gemacht haben.
Insofern gibt es keinen Grund zur Aufregung.
Dass er damit die Liste immer wieder zu Diskussionen provoziert finden einige Teilnehmer ja durchaus erfrischend,
waehrend es anderen bekanntlich auf die Nerven geht.
Bedenklicher ist, dass er nun auch Sie auffordert diese Liste zu verlassen",
wenn Sie die "Position, die leider sehr viele hier teilen", wie er meint,
nicht in dieser Weise kritisiert haben wollen.
Das tun Sie vermutlich nicht ;-), insofern ist das schon recht starker Tobak.
Ich moechte Sie aber ermutigen, dieser Aufforderung nicht nachzukommen,
da wir nach meiner Einschaetzung ohnehin schon viel zu viele Teilnehmer haben,
die sich aus Angst vor diesen Angriffen abmelden oder nicht mehr zu aeussern trauen.


Sein idealistischer Kampf um Open Access ehrt ihn natuerlich,
auch wenn noch abzuwarten bleibt welche Konsequenzen diese Entwicklung nehmen wird.


Die Informationswirtschaft versucht seit Jahrzehnten deutlich zu machen,
dass der Wert von Information klarer erkennbar werden muss,
und dass Nutzer von Information lernen muessen, dass diese auch ihren Preis hat.
Nun beobachten wir aber, dass bei einer durchschnittlichen Publikation,
die in der wissenschaftlichen Produktion z.B. 50.000 € kostet,
der Autor auch noch dafuer z.B. 500 € bezahlen soll, publizieren zu duerfen.
Junge Wissenschaftler/innen tun das schon seit laengerem immer oefter,
weil das publish-or-perish in peer reviewed Zeitschriften ihr Fortkommen immer staerker bestimmt.
In Deutschland hat man noch nicht einmal die 50 € zur Dokumentation dieser Publikationen,
und wundert sich, dass man z.B. US-Amerikanische Veroeffentlichungen rascher und gezielter findet.
Durch die Sparmassnahmen in den Bibliotheken kommt nun noch hinzu, dass man die Dokumente
in zunehmendem Masse nicht bekommt - auch wenn man sie gefunden hat.


Dagegen soll Open Access ja gerade ankaempfen. Die Krux liegt aber woanders:
Die sog. Wissensgesellschaft ist eine Gesellschaft, die von der Wissenschaft lebt,
so wie vor ihr die Agrargesellschaft und die Industriegesellschaft von der Produktion von
Landwirtschaftsprodukten und von Industrieprodukten.
Da man nun diese eigentlich veralteten Marktmechanismen auf das Produkt der Wissenschaftsgesellschaft,
also auf die Produktion von Wissen zu uebertragen versucht, muss man Information und Wissen
mit allen Mitteln verknappen, damit sie im Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage entsprechend funktionieren.


In Wirklichkeit werden hier aber keine Aepfel oder Autos mit begrenzter Stueckzahl verkauft,
sondern schlicht die beliebig verfuegbaren Kopien (also Redundanzen) einer einmalig erzeugten
und zur Publikation freigegebenen Information.
Im Fall des Wissens, sogar qualitativ auf Richtigkeit gepruefte Information.


Solange die Wirtschaftswissenschaften diesen Unterschied, zwischen einer herkoemmlichen Marktwirtschaft und der
"Nationaloekonomie des Geistes" (A. v. Harnack) nicht erkennen, wird Open Access auch nichts aendern,
weil es frueher oder spaeter auch der Marktwirtschaft angepasst werden muss.


Es bleibt also abzuwarten, wer, und ich benutze nun das Wort im Gegensatz zu Ihnen, auf dem "Holzweg" ist.
Ich befürchte, und meine das Wort befürchten durchaus ehrlich,
dass sich auf lange Sicht viele der Open Access Anhänger auf dem Holzweg befinden, wenn sie hoffen,
dass sie so, das Verlagswesen aushebeln könnten.
Wie gesagt, die Krux liegt woanders, im Mangel an einer gestärkten Bibliothekswissenschaft,
im Sinne einer geisteswirtschaftlich basierten Wissenschaftsgesellschaft im laufenden Jahrhundert.



MfG


W. Umstaetter







bernhard.tempel@xxxxxxxxxx wrote:

Klaus Graf schrieb:



[...]

Ich habe aber keinerlei Verstaendnis dafuer, wenn Sie allen
den hochrangigen Wissenschaftsorganisationen, die die
angegebenen Open-Access-Erklaerungen unterzeichnet haben,
implizit unterstellen, dass diese eigentlich nicht wissen,
was sie tun.




Sehr geehrter Herr Dr. Graf, Sie ziehen ziemlich gewagte Schluesse aus einer Bemerkung, die explizit meine persoenliche (!) Meinung als Nutzer (!) wiedergab. Ihre Position habe ich zur Kenntnis genommen (nicht erst heute) und bitte Sie im Gegenzug, freundlichst zur Kenntnis zu nehmen, dass ich Ihre oben zitierte Schlussfolgerung nicht teile und insbesondere andere Aufgaben habe, als mit Ihnen zu diskutieren. Mit freundlichen Grüßen Bernhard Tempel














Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.