Sie haben Recht: "technische Notbehelfe oder technische Unzulaenglichkeiten muessen nicht mutwillig und ohne Not zum entscheidenden Kriterium des allgemeinen Sprachgebrauchs gemacht werden. Oder?",
Sehr geehrter Herr Umstaetter, liebe Listenleser.
Herr Umstaetter meinte am 26.07.04 um 11:40 Uhr:
[ Bernhard Eversberg schrieb: ]
On 25 Jul 04, at 18:50, Kay Heiligenhaus wrote:
schade, dass es mit der "Aktion" gegen die RSR nichts geworden
ist. Ich zumindest fand die Diskussion hier recht interessant.
Das fanden viele, und etliche ermutigten mich, auf jeden Fall etwas zu unternehmen, zumal es ja gar keine substantiellen Gegenargumente oder -vorschlaege gibt. Das soll deshalb geschehen. Es ist noch nicht zu spaet, Unterschriften zu senden!
[...]
Sehr geehrter Kollege Eversberg,
[...]
Ich bin wirklich erstaunt, dass gerade Sie diese trotz ihrer
Jahrelangen Erfahrungen im Bibliotheks- und Dokumentationswesen
nicht sehen. Wir haben doch gerade im Computerbereich viele
dieser Veraenderungen laengst vorweggenommen bevor es zu einer RSR
kam. Unter anderem benutzten wir jahrelang statt ss das ss, weil
es gar nicht anders ging. Natuerlich geht das inzwischen.
Eben. Und technische Notbehelfe oder technische Unzulaenglichkeiten muessen nicht mutwillig und ohne Not zum entscheidenden Kriterium des allgemeinen Sprachgebrauchs gemacht werden. Oder?
Aber nun so zu tun, als haette es diese Zeit nicht gegeben und als
haetten die damals modernen Bibliotheken das alles nicht
mitgemacht (oder auch nur drunter gelitten), ist
Geschichtsklitterung. Und es erzeugt schon wieder den fatalen
Eindruck, als kaemen die Bibliotheken in ihrer Entwicklung
hinterher, wo sie so manchem anderen Bereich weit voraus waren.
Sprache muss auch und gerade im Interesse der Bibliotheken
weiterentwickelt werden. Sie hat eine Evolution, und sie braucht
keine Revolution im Sinne dessen, dass wir das Rad der Geschichte
wieder zurueckdrehen.
Sie wollen doch nicht etwa behaupten, die Rechtschreibreform, ein obrigkeitsstaatlicher Erlass sei evolutionaer? Die Rechtschreibreform gleicht viel eher einer Revolution, sie ist ein willkuerlicher, gewalttaetiger und ploetzlicher Umbruch, der den Deutschen aufgezwungen wurde, ohne jede wirklich entscheidungsrelevante Einflussmoeglichkeit durch die Betroffenen.
Wir brauchen einen Darwin des Bibliothekswesens und eine
Evolutionsstrategie der geistigen und sprachlichen Entwicklung
und keinen Cuvier mit einer neuen Kataklysmentheorie.
Die Evolution ist ein natuerlicher, nicht von Subjekten kontrollierter Prozess, insofern scheint mir der Ausdruck "Evolutionsstrategie", d. h. eine kuenstliche Verbindung der Begriffe "Evolution" und "Strategie" fragwuerdig. Darwin hat etwas Natuerliches durch seine Theorie zu beschreiben versucht; aber nicht der Natur vorgeschrieben, was natuerlich ist, also nicht die Natur faschistisch regiert. Auch die autoritaere Rechtschreibreform genannte Vergewaltigung des Sprachgebrauchs durch namenlose Fachidioten, wird doch mit der Luege bemaentelt, die willkuerlichen Ansichten von ein paar Fachleuten verwirklichten nur eine natuerliche - quasi evolutionaere und
notwendige - Entwicklung. Dem ist nicht so, der Rechtschreibreform genannte obrigkeitsstaatliche Erlass ist eine willkuerliche Sprachklitterung. Als Zweck und Legitimation dieser fachidiotischen Veraenderungen aus einem abgelegenen Germanistenzirkel wurde in der *nachtraeglichen* oeffentlichen Propaganda meines Wissens vor allem angefuehrt, dass die neuen Schreibweisen Abc-Schuetzen und Grundschuelern den Erwerb der Schreibkonventionen erleichtere. Wie
man vierlerorts lesen und hoeren kann, ist dies nicht eingetreten. Beispielsweise aeusserte Wolf Schneider, der immerhin an fuenf Journalistenschulen unterrichtet, danach gefragt, kuerzlich
in einer Fernsehdiskussion, seine Studenten machten nach der Rechtschreibreform genauso viele Fehler wie vorher.
Menschen, die sich auf das Wissen ueber Bibliotheken spezialisiert
haben, also Bibliothekswissenschaftler, muessen genauer zwischen
Trends, Modeerscheinungen und Irrwegen auf diesem Gebiet
unterscheiden als Laien, und gerade bei der Sprache gibt es
unzaehlige Irrwege, weil sich unser Mangel an Wissen nirgends so
deutlich zeigt, wie in der Sprache. Da aber schon jedes Kind mit
seiner Sprache seine persoenliche Unkenntnis ausdruecken koennen
muss, brauch unsere Sprache auch ein hohes Mass an Unschaerfe. Sie
zeigt sich nicht zuletzt in der Vielzahl an Rechtschreibfehlern,
wobei bekanntlich auch ein hohes Mass an Sprachgefuehl beteiligt
ist, und ueber dass diskutieren hier viele bewusst oder unbewusst.
Genau. Deswegen habe ich den stillschweigenden Austritt aus der deutschen Rechtschreibung beschlossen. Was der Staat befiehlt bzw. gedankenlose Politvollstrecker erlassen haben, ist nicht mehr meine Sprache! Mir wurde von oben herab die Schreibe verboten und vorgeschrieben und zwar, wie Wolf Schneider singemaess sagte, von ein paar gelangweilten unbedeutenden Germanisten, die es nicht ertragen konnten, irgendwann ins Grab und die Bedeutungslosigkeit zu sinken, ohne sich mit ueberfluessigen willkuerlichen Aenderungen an der deutschen Sprache vergangen und Millionen Buerger ungeheuerlich belaestigt zu haben.
MfG B. Storck