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Re: R-Reform: Verschlimmbess. ss in der Schweiz
- Date: Sat, 15 May 2004 20:22:54 +0200
- From: Thomas Berger <thb-inetbib@xxxxxxxxxxxxxxx>
- Subject: Re: R-Reform: Verschlimmbess. ss in der Schweiz
Lieber Herr Kuhn, lieber Herr Eversberg, liebe Liste,
|>da die lateinische Schrift im Gegensatz zur Fraktur nur *ein* s-
|>Zeichen besitzt.
|
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| Das aber auch erst seit neuerer Zeit: ein einziges Beispiel
| (von sehr vielen moeglichen): die Basel 1539 bei Froben ge-
| druckten Opera omnia Platons in Ficinos Uebesetzung
| und mit desen Kommentierung differenzieren - obschon in
| einer Antiqua gedruckt - bei den Minuskeln durchaus zwischen
| langem und kurzem s.
|
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|>Und auch Unicode muss hier die Waffen strecken -
|>Frakturschriften enthaelt es gar nicht.
|
|
| [:-(((]
Der von Herrn Jochum gepostete, hochinteressante Link enthaelt
einen Hinweis auf U+017F: Auch Unicode kennt also das lange s
(und im Griechischen natuerlich auch beide "sigma"). Will man
Fraktur setzen, so ist der Unterschied wichtig, da sichtbar
(es ist aber kein Ornament des Fonts, sondern eine Eigenschaft
der Schrift, die da beruecksichtigt wird, insofern ist Unicode
"zustaendig").
Im Alltag bemerke ich aber kein Bemuehen der Computerbenutzer,
bei der Erfassung von Texten diesen linguistischen Unterschied
(oder ist er nur grammatikalisch?) zu beruecksichtigen.
Eigentlich muesste er beruecksichtigt werden , es waere dann
Aufgabe der Treibersoftware, hieraus dann fallweise die korrekte
Ligatur "ß" zu konstruieren, und in Fonts fuer lateinische
Schriften muessten im uebrigen beide Zeichen als "s" dargestellt
werden. Anwender zu dieser Erfassung zu zwingen, stelle ich mir
schwer vor, will man heutzutage Fraktursatz veranstalten, wird
man die Texte entweder nachredigieren oder aber mit linguistischer
Software vorbehandeln, die Silbenenden erkennt und an den richtigen
Stellen das falsche runde "s" durch das richtige lange "s"
austauscht.
Um http://faql.de/eszett.html und die von dort verlinkten
Texte kurz zusammenzufassen (wenigstens das, was ich davon
verstanden zu haben glaube):
Dass "ß" auf eine Ligatur von langem und kurzem "s" zurueckgeht, ist
vom Typographen Jan Tschichold um 1940 aufgebracht worden, scheint
aber inzwischen widerlegt (bzw. fuer "ß" in alten englischen und
franzoesischen Texten gilt es, nicht jedoch im Deutschen). Es bleibt
die im Grimmschen Woerterbuch aufgefuehrte Erklaerung, dass "ß" eine
Ligatur aus kurzem "s" und einem "z"-aehnlich aussehendem Glyphen fuer
einen stimmlosen Reibelaut, das als solches in unserer Schrift nicht
ueberlebt hat (jedoch - das wird mir nicht ganz klar - in einigen
althochdeutschen Texten schriftlich als eine Art "geschwaenztes z"
notiert worden ist). [Dieser Reibelaut ist einerseits vorgermanischen
Ursprungs und vor allem ein Resultat der zweiten Lautverschiebung im
Hochdeutschen (wann immer die gewesen sein mag)]
Ab dem 14. Jhd. hat sich fuer diesen Laut allmaehlich die Schreibung
"sz" durchgesetzt, das dann ueber den Umweg der Ligatur in
Frakturschriften auch in der lateinischen Schrift irgendwann zu einem
eigenen Zeichen "ß" geworden ist. Parallel dazu haben andere s-Laute
ebenfalls den Weg auf dieses Zeichen gefunden, insbesondere die aehnlich
lautenden "ss".
viele Gruesse
Thomas Berger
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.