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Re: Stabilitaet der Zielsysteme - Umstieg auf internationale Formate und Regelwerke (MARC21, AACR2)
- Date: Mon, 22 Mar 2004 14:58:49 +0100
- From: Walther Umstätter <h0228kdm@xxxxxxxxxxxxxxx>
- Subject: Re: Stabilitaet der Zielsysteme - Umstieg auf internationale Formate und Regelwerke (MARC21, AACR2)
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
Heidrun Wiesenmueller wrote:
"Stillwater hat dies ausschliesslich als Beeinflussung durch
nicht-bibliothekarische
Standards wie XML interpretiert. Ich haette jedoch (genau wie
Bernhard Eversberg) gerne auch gewusst, wie die Chancen dafuer
stehen, nach einem moeglichen Umstieg deutsche Interessen bei
der Weiterentwicklung von AACR und MARC einzubringen.
Offenbar sehen die US-Experten das deutsche Bibliothekswesen
jedoch nicht als Mitgestalter, sondern nur als Konsument, der
amerikanische Strategien und Entwicklungen uebernehmen soll (S. 13)."
Ich denke, dass man in diesem Zusammenhang sehen sollte, dass die
XML-Entwicklung,
mit den Konsequenzen der nativen XML-Datenbanken,
wirklich die zentrale treibende Kraft hinter den momentan beobachtbaren
Veränderungen ist.
Es ist durchaus revolutionär, wenn man die unterste Ebene der
Informationsverarbeitung verlässt,
und in den Bereich der "Bedeutungsverarbeitung", d.h. der Semiotik, der
Topic Maps und der Ontologien
aufsteigt. Sie ist wiederum die Voraussetzung für die nächst höhere
Ebene, die Wissensverarbeitung,
in der Information dann auch in ihrer kausalen Verknüpfung,
als evidence based information, verarbeitet wird.
Dass die US-Experten das deutsche Bibliothekswesen nicht als
Mitgestalter, sondern nur als Konsument,
der amerikanische Strategien und Entwicklungen sehen, ist eigentlich
selbstverständlich,
solange wir nicht die Absicht zeigen, diese höheren Ebenen wirklich
mitgestalten zu wollen.
Ich habe im Moment noch große Zweifel, ob und wie weit diese Ebenen in
Deutschland überhaupt als solche erkannt werden.
Sicher tun das auch in den USA bei weitem noch nicht alle Bibliothekare
und Informationsspezialisten,
aber die wichtigsten Entscheidungsträger und die Geldgeber scheinen
sehr genau zu wissen was sie da von langer Hand vorbereiten.
Hinsichtlich der Frage von Dr. Ziegler:
"Gibt es in diesem Bereich einen empirischen Vergleich
zwischen AACR2/MARC bzw. RAK/MAB2? Man könnte ja z. Bsp.
10.000 identische Titel jeweils nach AACR2 in MARC bzw. nach RAK
in MAB2 katalogisieren und dann im selben Bibliothekssystem
versch. Benutzern dieselben Retrievalaufgaben stellen."
haben wir aus Untersuchungen der Indexierungskonsistenz,
in der weitaus verbesserten Erschließung der Dokumentation Untersuchungen,
die zeigen, dass die recall-ratio und auch die precision bei etwa 50% liegt.
Frei übersetzt und vereinfacht gesagt: In jeder Bibliothek stehen wir
bei der Suche
nach einem Buch, in jedem zweite Fall vor dem falschen Regal.
Daran konnte in den letzten Jahrzehnten fast nichts geändert werden,
weil unsere Terminologie, Homonymie und Syntax in der Sprache kaum
Steigerungen
zulässt. Man hofft nun auf Verbesserungen durch die Ontologien,
was allerdings auch nicht gehen wird, weil nur in den Bereichen, in
denen die
Wissenschaft zu einer verbesserten Terminologie führt, Fortschritte
erzielbar sind.
Ein Vergleich von AACR2 und RAK kann somit erfahrungsgemäß keine
signifikant
besseren Ergebnisse erbringen. Weder hier noch da.
MfG
Umstätter
Heidrun Wiesenmueller schrieb:
> Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
>
> den Hinweisen von Herrn Eversberg moechte ich mich
> anschliessen und noch auf einige weitere Punkte im Stillwater-
> Report hinweisen:
>
> 1. Das Hauptargument fuer die Stabilitaet von AACR und MARC ist
> laut Stillwater die Tatsache, dass es in tausenden von
> Bibliothekssystemen und -katalogen angewendet wird und damit "a
> significant economic and intellectual commitment on the part of
> U.S. libraries" darstelle (S. 1). Mit Verlaub: Genau dasselbe
> Argument koennte man fuer RAK und MAB in die Waagschale
> werfen, die - zwar nicht in absoluten, wohl aber in relativen Zahlen -
> in Deutschland und Oesterreich keine geringere Rolle spielen als
> ihre Pendants in den USA.
>
> Mit Blick auf eine moegliche Abloesung von MARC lesen wir weiter
> (S. 5): "any proposal to replace MARC would meet with
> overwhelming resistance from the library community (erinnert Sie
> das an was?), and would be an extremely costly undertaking." Auch
> unsere US-KollegInnen gehen also davon aus, dass schon ein
> Formatwechsel (vom Regelwerk ist an dieser Stelle gar nicht die
> Rede) eine ausgesprochen teure Angelegenheit waere. Interessant,
> dass hingegen die Fa. Kienbaum fuer unseren Umstieg auf die
> angloamerikanischen Standards nur relativ ertraegliche Kosten
> errechnet hat...!
>
> 2. Die Qualitaet des flachen MARC-Formats wird von den
> amerikanischen Experten durchaus kritisch gesehen (S. 7): MARC
> sei "incompatible with current database principles"; auch sei es
> "difficult, if not impossible", Datensaetze mit zusaetzlichen
> Informationen (z.B. Inhaltsverzeichnissen, Rezensionen) zu
> verlinken. Es bestaetigt sich hier erneut die Einschaetzung, dass
> MAB (trotz seiner Schwaechen) das modernere und flexiblere
> Format ist.
>
> Bemerkenswert ist auch, dass die Lebensdauer von MARC als
> recht begrenzt eingeschaetzt wird (S. 12): Manche der Befragten
> gehen davon aus, dass es schon binnen fuenf Jahren ersetzt wird,
> andere geben dem Format immerhin noch zehn Jahre oder auch
> laenger (leider erfaehrt man nicht, wieviele der Befragten sich fuer
> welche Option ausgesprochen haben).
>
> 3. Die US-Experten beklagen (S. 7), dass die fuer MARC
> benoetigte Software "highly specialized" sei. Die Bibliotheken seien
> daher bei der Auswahl von Bibliothekssystemen eingeschraenkt
> und muessten mit solchen Anbietern vorlieb nehmen, die MARC-
> faehige Systeme anbieten. Nanu? Ist der amerikanische Markt
> womoeglich gar nicht so gross und vielfaeltig? Zur Erinnerung: Ein
> zentrales Argument der Umstiegsbefuerworter lautet, man haette
> danach eine groessere Auswahl und mehr Wettbewerb bei der
> Software.
>
> 4. In keinem Plaedoyer fuer den Umstieg fehlt das vielstrapazierte
> Wort von der "Internationalitaet", die man dadurch erreichen
> wuerde. Stillwater lehrt uns nun, dass die Amerikaner selbst ihr
> Regelwerk keineswegs fuer international, sondern eben fuer
> amerikanisch halten - vgl. die Frage im "Interview Guide" (Punkt 2):
> "Is it possible that AACR2 will develop into an international code
> instead of just an Anglo-American code?"
>
> 5. Laut DFG-Antrag sollte auch untersucht werden, "inwieweit
> AACR2 und MARC21 beeinflussbar" sind. Stillwater hat dies
> ausschliesslich als Beeinflussung durch nicht-bibliothekarische
> Standards wie XML interpretiert. Ich haette jedoch (genau wie
> Bernhard Eversberg) gerne auch gewusst, wie die Chancen dafuer
> stehen, nach einem moeglichen Umstieg deutsche Interessen bei
> der Weiterentwicklung von AACR und MARC einzubringen.
> Offenbar sehen die US-Experten das deutsche Bibliothekswesen
> jedoch nicht als Mitgestalter, sondern nur als Konsument, der
> amerikanische Strategien und Entwicklungen uebernehmen soll (S.
> 13). Merkwuerdig beruehrt hat mich auch die Tatsache, dass die
> neuen Katalogisierungstagungen der IFLA nicht erwaehnt werden.
> Laut Barbara Tillett koennten diese den Weg zu "zukuenftige(n)
> internationale(n) Katalogisierungsregeln" weisen, die "das Beste an
> bestehenden Regeln und Katalogisierungsgrundsaetzen in sich
> vereinigen".
>
> 6. Bei der Darstellung der Ergebnisse (Kurzfassung S. 3 bzw.
> ausfuehrlich auf S. 13) nennt Stillwater verschiedene positive
> Auswirkungen, die ein Umstieg fuer die deutschen Bibliotheken
> haben soll (z.B. vereinfachter Datenaustausch, geringere Kosten,
> effektivere Katalogisierung). Woher diese Erkenntnisse kommen,
> bleibt unklar: Im Haupttext wird darauf nicht eingegangen, und im
> "Interview Guide" gibt es keine Frage, die in diese Richtung zielt.
> Da auch jeder Hinweis z.B. auf Datenkonsistenz oder die
> Normdatenfrage fehlt, hat wohl kaum eine tiefergehende
> Beschaeftigung mit der Problematik stattgefunden. Ich hoffe nicht,
> dass hier die alte Regel gilt: "Wes Brot ich ess, ...!"
>
> Fuer den Bericht waren laut DFG-Antrag 46.000 Euro veranschlagt
> (was offenbar nicht einmal fuer eine deutsche Uebersetzung
> gereicht hat). Insgesamt teile ich den Eindruck von Herrn
> Eversberg, dass man wenig Neues erfaehrt - Erlaeuterungen zu
> XML oder Dublin Core haette ich in so einem Papier beispielsweise
> nicht erwartet.
>
> Schade, dass man die Ergebnisse aus anderen Arbeitspaketen, die
> vermutlich ergiebiger waeren, immer noch nicht auf der Homepage
> des Projekts nachlesen kann. So gibt es ueber die Auswertung der
> Fragebogenaktion m.W. nur eine knappe gedruckte
> Zusammenfassung von Luise Hoffmann. Zum Abgleich von Format
> und Regelwerk inkl. Beurteilung der Migrationsszenarien hat nur die
> ZDB ihre Ergebnisse veroeffentlicht (<http://www.zdb.spk-
> berlin.de/zdb_aktuell/aacr2_marc21_zdb.html>).
>
> Mit freundlichen Gruessen
> Heidrun Wiesenmueller
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> Heidrun Wiesenmueller M.A.
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