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Drei ehemals Donaueschinger Handschriften bei J. Guenther



Der Hamburger Antiquar Joern Guenther, der fuehrende
Haendler illuminierter mittelalterlicher Handschriften in
Deutschland, bietet derzeit, war der FAZ vom letzten
Samstag zu entnehmen, auf der Cultura in Basel eine
illustrierte Wigalois-Handschrift oberrheinischer Herkunft
fuer 2,4 Mio Euro an.

Es handelt sich um den ehemals Donauschinger Cod. 71, der
nach
http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/fachinfo/www/kunst/digi/1418/
der oberrheinischen (Colmarer?) "Werkstatt von 1418"
angehoert.

Zum Wigalois des Wirnt von Grafenberg siehe im WWW
http://mywebpage.netscape.com/SabineSeelbach/wigalois.htm
(mit Links)
http://www.uni-marburg.de/hosting/census/werkew.html
(Ueberlieferungsuebersicht)

Die Hs. traegt bei Hilgers PBB 93 (1971) 235 Nr. 8 die
Sigle k.

Noch zwei andere ehemals Donaueschinger illustrierte
Codices fanden 1993
nicht den Weg in das Eigentum des Landes
Baden-Wuerttemberg, das ja die
Donaueschinger Handschriftensammlung "komplett" ankaufte
(und dann auf Stuttgart und Karlsruhe verteilte), sondern
wurden, wie man hoert, um 1990 an einen amerikanischen
Privatsammler verkauft. Es handelt
sich um die Bellifortis-Handschrift Cod. 860 und den von
dem Buchauer
Schulmeister Heinrich Stegmüller 1443 gefertigten Kalender
(Cod. 494).
In seinen reizvollen Monatsbildern, fruehen Zeugnissen
baeuerlichen Lebens
aus Oberschwaben, wollte ein Autor sogar den "Geist dieser
Landschaft
[...] spüren" (M. Flad, Heimatkundl. Bll. für den Kreis
Biberach 1983,
S. 21; vgl. auch Heribert Hummel in
Hohenstaufen/Helfenstein 10, 2000).
Alle drei von Felix Heinzer in seinem Scriptorium-Artikel
vermissten Hss. erscheinen als Nummern 11, 12 und
15 in Günthers "Selection of Manuscripts and Miniatures"
http://guenther-rarebooks.com/download/ANT_72.pdf (mit
Abbildungen).

Hier ist uebrigens auch ein fruehes Antiphonar aus San
Marco in Venedig (Nr. 3) zu finden, das unter dubiosen
Umstaenden Italien verlassen hat, eine herausragende
liturgische Quelle - aber ebenso wie die Donaueschinger
Codices unbezahlbar fuer jede oeffentliche Sammlung
hierzulande.

Offenkundig wurden die Donaueschinger Handschriften
heimlich und ohne Kontaktaufnahme mit dem Land
Baden-Wuerttemberg, moeglicherweise sogar waehrend bereits
laufender Verkaufsverhandlungen, verkauft.

Diese Veraeusserung war meines Erachtens illegal wie sich
aus Anm. 1 meines 1994 publizierten Aufsatzes zu den
Donaueschinger Inkunabeln ergibt:

"Als Bestandteil des Mobiliarvermögens des sogenannten
schwäbischen Hausguts (vgl. GLA 234/9620f. und Die
Hausgesetze des fürstlichen und landgräflichen Hauses
Fürstenberg, 1870, S. 74) war die Bibliothek bis 1919 durch
Hausgesetz in der Art eines Fideikommiß geschützt. Das
badische Stammgüteraufhebungsgesetz von 1923 (GVBl. S. 233)
normierte in § 26 ein gesetzliches Vorkaufsrecht des Landes
Baden für jene Teile der gebundenen Hausvermögen, deren
Erhaltung für das Land von wissenschaftlichem,
geschichtlichem usw. Wert war. Indem das Haus Fürstenberg
1982 zwanzig Cimelien ohne Abstimmung mit dem Land bei
Sotheby's veräußern ließ, hat es - was zu prüfen wäre -
vermutlich gegen diese Rechtsvorschrift verstoßen.
Aufgehoben wurde das zuletzt 1961 geänderte badische Gesetz
von 1923 nämlich erst 1983 (GBl. S. 693) mit Wirkung zum
1.4.1984, wobei freilich § 1 von Art. 4 dieses
Aufhebungsgesetzes zu beachten wäre, wonach die auf Grund
des bisherigen Rechts entstandenen Rechtsverhältnisse
aufrechterhalten bleiben."

http://www.geschichte.uni-freiburg.de/mertens/graf/don.htm

Das gesetzliche Vorkaufsrecht des Landes hinsichtlich von
Kulturgut des Hauses Fuerstenberg gilt meines Erachtens
nach wie vor, da es sich um ein auf Grund des bis 1984
gueltigen badischen Rechts entstandenes Rechtsverhaeltnis
handelt.

Es waere dringend wuenschenswert, die unersetzlichen
Codices, sobald sie deutschen Boden wieder erreichen, in
das Verzeichnis des nationalen Kulturguts einzutragen,
damit sie nicht wieder in eine auslaendische Privatsammlung
abwandern! Die schamlos anmutende Preispolitik des
Antiquars, dessen astronomische Preise solches Kulturgut
den Super-Reichen reservieren, koennte eine solche
Eintragung argumentativ unterstuetzen, denn oekonomisch so
bewertete Hss. zaehlen sicher zum unersetzlichen
kulturellen Erbe ...

Klaus Graf


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