[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: ADMIN: Bitte zum Widerruf



Liebe Liste,
Lieber Michael,

> Ich bitte Herrn Roedding nach einem kurzen privaten Mailwechsel gestern
> hiermit jetzt oeffentlich, diese Aussagen zu widerrufen. Selbst wenn sie
> sarkastisch gemeint sein sollten ist das nicht die Sorte Text, den ich in
> dieser Liste lesen moechte.
> 
> Sollte er diese Aussagen nicht widerrufen, werde ich seinen Account aus der
> Liste austragen.

Es gibt keinen Grund, die im Konjunktiv formulierte These sowie eine
perspektivisch im Futur geäußerte Emotionsäußerung zu widerrufen.

Im Gegenteil, es gibt vermutlich kaum eine Möglichkeit, die Situation
treffender zu beschreiben: Die Stimmung ist gereizt bis aufs Blut,
denn es geht hier um essenzielle Grundrechte, bezüglich derer man
nicht versäumen sollte, deutliche Warnschüsse abzugeben, bevor es
zu spät ist.

Für den EDV-Bereich stellt sich die Lage bezüglich Softwarepatenten
ähnlich dar wie für die Juden im 3. Reich die Bücherverbrennungen.
Während bibliophile Menschen unmittelbar einen Stich im Herz
verspüren, wenn die Gedanken diesen schmerzlichen Punkt der
deutschen Geschichte berühren, werden gleichartige Entwicklungen
auf anderen Ebenen zur Zeit sowohl von der Öffentlichkeit wie auch
von weiteren Teilen der Landschaft sogenannter Interessensvertreter
schlicht ignoriert.

Die verbale Eskalation ist letztendlich ein Ergebnis der Tatsache,
daß die berechtigten Interessen einer immerhin sechsstelligen
Zahl EDV-affiner Menschen in den Wind geschlagen werden. Bereits
seit dem Jahre 2001 hat sich ein signifikanter Teil der deutschen
IT-Branche über die von FFII und Eurolinux initiierte Petition
öffentlich zu einer Meinung bekannt, die damit statisch gerechnet
von einem signifikanten Teil der deutschen Software-Entwickler
getragen wird. Ich selbst habe bereits im Jahre 2000 mit einem
Positionspapier im BMJ gesessen und auf viele drohende Probleme,
die mittlerweile auch in den Medien breit ausgewalzt wurden,
hingewiesen.

Die Softwarepatent-Diskussion ist ein Machtkampf zwischen den
geistigen Urhebern der zur Diskussion stehenden Werke einerseits
und den Verwertungsinteressen von Kapital und Anwaltsstand auf
der anderen Seite. Insbesondere wird auf der Ebene des Patentwesens
versucht, die Stellung der Konzerne zu stärken gegenüber den
typischerweise verteilt in eher kleineren Betrieben und knappen
Finanzmitteln arbeitenden Software-Entwicklern, denen man auf dem
Wege der aktuell präferierten Gesetzgebung indirekt jegliche
Entfaltungs- und freie Erwerbsmöglichkeit nehmen will.

Die Bundesregierung unterstützt dieses Vorhaben, nimmt innerhalb
des EU-Meinungsfindungsprozesses, der den Rahmen letztendlich
vorgeben wird, sogar eine Vorreiterrolle gegen die Freiheit der
Software-Entwicklung ein. Gleichzeitig proklamiert diese Regierung,
daß das der geeignete Weg sei, um Deutschland auch zukünftig
als Standort attraktiv zu halten - siehe Forward von Herrn Dietz,
der ja gestern gerade noch frisch eine kurze Rede hier auf die
Liste weiterleitete.

Einer Politik, die die faktische Außerkraftsetzung von Grundrechten
fördert, kann man nur mit schärfstem Gegenwind begegnen. Daß dies
bis zur Verwendung der Gewaltmetapher führt ergibt sich daraus,
daß weder vorsichtig formulierte Kritik noch demokratische
Massenorganisation dazu geführt haben, daß man überhaupt gewillt
ist, sich einer konstruktiven, die Rechte aller Beteiligten
wahrenden Diskussion gestellt hat.

Als Mitglied der jüngeren Hälfte der Bevölkerung sehe ich, daß
zur Zeit auf vielen Ebenen das Staatsgefüge Deutschland mit
sehr hoher Geschwindigkeit demontiert wird. So wird beispielsweise
die ausufernde Staatsverschuldung zu einem unweigerlichen
Kollaps dieses Systems führen, welcher von meiner Generation
aufzufangen sein wird. Wir werden auf Sicht von Jahrzehnten
die Fehler der vorangegangenen Politikergeneration teuer bezahlen
müssen. Nimmt man meiner Generation nun auch noch durch Aushöhlung
von Grundrechten die Möglichkeit, überhaupt sinnvoll zu wirtschaften,
und gefährdet dies bereits getätigte umfangreiche Investitionen,
so kommt man klar zu einem Punkt, wo man den Staat und insbesondere
diese Regierung allmählich als einen inneren Feind wahrnehmen muß,
der im Interesse des Erhaltes der grundrechtlich garantierten
Freiheitswerte zu bekämpfen ist.

Persönlich bin ich ein Mensch, der sich mit viel Engagement
für die Sache einsetzt, frühzeitig nachdenkt, sich gern auch
der profunden Diskussion komplexer Themen stellt - und vor allen
Dinge bis zum Ende durchdenkt. Das ist etwas, was Software-
Entwicklern prinzipbedingt zueigen ist. Einsatz für eine Sache
auf Diskussionsebene funktioniert aber nur, wenn innerhalb des
Systems ein Raum für Diskussion existiert und eine Möglichkeit
besteht, berechtigte Interessen mit "zivilisierten" Mitteln
erfolgreich zu fördern.

Selbst als eigentlich liberaler Mensch komme ich daher zu dem
Ergebnis, daß der Druck auf die Regierung notfalls auch auf
unfeine Weise verschärft werden muß, um die bevorstehende
Enteignung noch abzuwenden.

Es ist sicherlich schade, daß eine gemäßigtere Diskussion nicht
mehr möglich ist. Mit Blick auf die problematische Gesamtsituation
habe aber zumindest ich persönlich mich im Jahre 2002 entschieden,
mich lieber bisweilen gelegentlich gegen die herrschende Gesell-
schaftsmoral zu stellen, als berechtigte (= im Gesetz verankerte)
Interessen kampflos aufzugeben.

So verbleibt zum Abschluß und auf dem Weg ins Wochenende lediglich
der Appell zu formulieren, sich für ein politisches und gesell-
schaftliches Rahmensystem einzusetzen, in dem es noch eine
Möglichkeit gibt, auf gemäßigt-demokratischem Wege die Diskussion
so zu führen, daß ein die berechtigten Interessen aller Beteiligter
wahrender Gesamtzustand herbeigeführt wird. Das bedeutet auch,
daß man auch die Meinung von anders denkenden Menschen ernst nehmen
sollte und die Strategie des "strukturellen Maulkorbes", wie sie
derzeit in der politischen Debatte auf vielen Ebenen vorherrscht,
aufzugeben ist.

Da ich nicht einschätzen kann, ob mich Michael Schaarwächter nun
aus der INETBIB-Mailingliste austragen wird, möchte ich mich an
dieser Stelle von Ihnen nach langjähriger Teilnahme auf der Liste
nunmehr vorsorglich verabschieden. Es war eine schöne Zeit hier,
es gab spannende Themen, eine angenehm interdisziplinäre Unter-
haltung und ich habe das Gefühl, daß gerade hier auf der Liste
sehr viele erfahrene, begabte und intelligente Menschen subskribiert
sind. Nutzen Sie Ihre Fähigkeiten und stellen auch Sie sich gegen
die Erosion der Grundrechte, die von unserer Regierung derzeit
betrieben wird!

Ein besinnliches Wochenende wünscht
Daniel Rödding




-- 
Daniel Roedding                                 phone: +49 5252 9838 0
http://www.roedding-software.de/                  fax: +49 5252 9838 20


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.