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Re: Welche Bibliotheksstrategie bei Open Access?



Daniel Zimmel schrieb:

Sie alle als Publikationen zu bezeichnen, weil sie im Internet
abrufbar bzw. bestellbar sind, ist irreführend

Dies stimmt sicherlich für die eigene Homepage, doch sobald eine
(bewertende) Institution dahintersteht, zähle ich auch Hausarbeiten
zu den Publikationen. Auch bibliothekarische Diplomarbeiten liegen
mittlerweile auf Hochschulservern (ich nenne z.B. Stuttgart) bereit.


Sehr geehrter Herr Zimmel, die Frage ist, welche Bewertung Sie meinen. Eine Schule bewertet eine Hausarbeit
nach den Gegebenheiten: Alter der Schüler, verfügbare Zeit zum schreiben und Vorbereitungszeit im Unterricht. Ein peer rviewer, nach dem Stand der Wissenschaft. Trotzdem sind auch Schularbeiten im Internet.
Nun stehen Lehrer vor der einfachen Frage: Ist es ihre Pflicht, die Hausarbeiten von Schüler/innen im Internet aufzukaufen,
um jeweils zu prüfen, ob jemand abgeschrieben hat? In diesen Fällen ist es nicht so tragisch, weil jede Lehrerin weiß, dass Eltern, Geschwister, Freundinnen etc. geholfen haben können. Sie muss nur prüfen, ob die Schüler ihren eigenen Text auch verstanden haben.


Hinsichtlich der Diplom- und Magisterarbeiten plädiere ich seit Jahren dafür, dass möglichst alle (ähnlich wie Dissertationen)
allgemein verfügbar sein sollten. Wie weit dort abgeschrieben wird, wissen wir nicht, weil das Plagiat nicht nachweisbar ist.
Das meinte ich u.a., als ich schrieb, dass Urheber- und Verwertungsrechte ohne Bibliotheken nicht zu schützen sind.


Sehr erheiternd ist, wenn identische Diplomarbeiten mit Noten 1-5 bewertet von verschiedenen Hochschulen auftauchen. (Das könnte die Auflagenzahl gewisser Journaillen in die Höhe treiben. Dies ist aber natürlich keine Aufforderung zum Betrug, sondern eine Warnung.)

Wenn man Diplom- und Magisterarbeiten, ebenso wie die Dissertationen (unter der gleichen DTD, in der Zitationen gezielt recherchierbar sind) in XML verfügbar machen würde, ließe sich das eher vermeiden, und wir hätten endlich auch in Deutschland einen "Science Citation Index".
Ich bin seit Jahren gespannt, wann das erkannt wird. Den Vorschlag habe ich mehrfach gemacht, u.a. als an der Humboldt-Universität zu Berlin das Projekt Dissertationen Online vor Jahren von mir mit geplant wurde.


Bezüglich Ihrer Frage nach der Positionierung der Bibliotheken:
Es besteht keine Gefahr für Bibliotheken, wenn sie das tun, was sie immer getan haben: Publizierte Information für die Benutzer möglichst preisgünstig zu sammeln, zu ordnen und verfügbar zu machen, und dies unter archivarischen, ökonomischen und synoptischen Gesichtspunkten. Das ist die einzige Möglichkeit Bildung, Demokratie und Wissenschaft bezahlbar zu machen bzw. zu erhalten.


Das Gegenteil zu tun ist unsozial, an einigen Stellen sogar kriminell, wenn juristische Unklarheiten
zum eigenen Profit einiger weniger missbraucht werden. Dass diese Gefahr wächst ist unübersehbar.


Bibliotheken waren und sind eine "open access initiative", und dies unter Wahrung von Recht, Gesetz und Fair Use.
Die wiederholten Versuche, sie an dieser Tätigkeit zu hindern, sind akut und sozialpolitisch äußerst gefährlich,
weil wir im Moment das Problem haben, dass zu viele Menschen Bibliotheken für etwas veraltetes halten.
Sie wissen nicht, dass die Digitale Bibliothek ihren Beginn 1963 hatte und die Ausbildungsstellen
in den USA schon in den 70er Jahren Library and Information Studies oder ähnlich hießen.


Die Tatsache, dass wir noch immer gezwungen sind Tautologien wie "Bibliotheks- und Informationswesen",
"Bibliotheks- und Wissensmanagement" oder "Bibliotheks- und Medienwissenschaft" zu benutzen,
macht deutlich, wie groß die Unkenntnis in diesem Bereich ist.
Denn es kann doch heute keinen Zweifel mehr daran geben, dass Bibliotheken ein ganzes Jahrhundert lang ein Informationsmedium nach dem anderen integriert haben, und dass in der Library of Congress der Anteil an Büchern nur noch bei 20 % liegt.


Bezüglich der Softwarefirma ist anzumerken, dass Programme oder auch Erfindungen, die Mitarbeiter für eine Firma erzeugen, auch von der Firma verwertet werden dürfen (wenn nichts anderes vereinbart wurde). Insofern geht es hier nicht um die Enteignung von Verwertungsrechtebesitzern, sondern um den Schutz dieser Rechte, der Urheberrechte (die davon zu unterscheiden sind) und des geistigen Eigentums, die eben nicht ohne Patentämter und Bibliotheken erhalten werden können.

Ansonsten bin ich der Meinung, dass die Unkenntnis über die Bibliothekswissenschaft in Deutschland zerstört werden muss!

MfG


Umstätter


Das ist auch der Grund, warum die am weitesten fortgeschrittenen
Open-Access-Modelle auf die Abgeltung der Produktions- und
Verteilungskosten durch die Urheber setzen (dies ist bei Biomedcentral
so, und auch die neuen PLOS-Journals verfolgen diese Strategie).
Dadurch wird ein unverhältnismäßiges Profitieren verhindert, während
gleichzeitig die Literatur für die Forschung schnell und umfassend
bereit steht.


Die wichtige Frage ist eben nun die, wie die Bibliotheken darin zu
positionieren sind.


Bei einer Frage besteht nämlich noch Klärungsbedarf: Ist der Open Access
nun gut für die Bibliotheken, weil dadurch die teuren Lizenzen
vermieden werden könnten, oder ist er schlecht, weil nun ja die
Bibliotheken als Mittler gefährdet sein könnten? Ich habe das Gefühl, da wird es vielen Kollegen etwas mulmig, und
anstatt sich damit auseinanderzusetzen, wird das einfach verdrängt.
Denn es ist doch unzweifelhaft, dass sich die Bibliotheken auch
dadurch legitimieren, gerade spezielle Zeitschriftenliteratur durch
Kauf und Lizenzierung für die Öffentlichkeit bereitzustellen.
Ich habe dafür keine endgültige Antwort, hätte ich sie, dann wäre ja
alles in Butter. Vielleicht denken sich die führenden Köpfe des
dt. Bibliothekswesens ja schon heimlich eine aus ;-)
Ich gehöre nicht dazu, aber man darf ja mal hier ein paar Gedanken
anregen.


Es wäre schon viel gewonnen, wäre die Rückkehr zu einem angemessenen
Verhältnis bei der Preisgestaltung von Zeitschriften möglich. Doch
viel wahrscheinlicher ist da wohl eine kontinuierlich anwachsende
Open-Access-Literatur mitsamt renommierter Bewertungs-Instanzen
(dito Qualitätssicherung und fachweltliche Akzeptanz) dahinter. Davon werden sich die Bibliotheken nicht ausschließen können.


Die von Ihnen erwähnte "Neuentdeckung des Bibliothekswesens" ist im
Grunde die wichtigste Überschrift über eine ganze Reihe von Fragen.


Nur nebenbei: eine amerikanische Softwarefirma (SCO) versucht gerade, den
Urhebern ihren eigenen Willen zu verbieten, nämlich die unentgeltliche
Weitergabe von Software (bzw. die Lizenz, die eine freie Verfügbarkeit
des Quellcodes restriktiv vorschreibt) für illegal zu erklären. Hui, da
staunt der gesunde Menschenverstand.

Ich hoffe, wir können in Zukunft weiterhin selbst entscheiden, was wir mit
unseren Werken machen wollen, ganz egal ob entgeltlich oder unentgeltlich.

Gruss und ein angenehmes Wochenende,

Daniel Zimmel





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