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AACR: Neues von DDB
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ausgesprochen lesenswert ist der Beitrag 'Schwarz-weiss oder bunt?' von
Elisabeth Niggemann in 'Dialog fuer Bibliotheken' 15 (2003), H. 2, S. 4-8
(leider nicht online, deshalb im Folgenden einige Zitate, die diese Mail
zwangslaeufig in die Laenge ziehen werden). Frau Niggemann betont darin (S.
6), dass nach Abschluss der Machbarkeitsstudie nicht zwischen zwei, sondern
drei Optionen entschieden werden muesse, naemlich erstens der
"Neuentwicklung eines modernen deutsch-oesterreichischen Einzelwegs",
zweitens der "Migration zu existierenden angloamerikanischen Regeln" und
drittens der "Mitentwicklung eines neuen, modernen, internationalen Wegs".
Die dritte Option sei in der bisherigen Diskussion nicht genuegend beachtet
worden.
In der Tat findet sich ein solcher 'dritter Weg' weder im Nikolausbeschluss
noch in den Szenarien, die in der Machbarkeitsstudie (neuerdings als
"Migrationsstudie" bezeichnet) zu untersuchen sind. In der oeffentlichen
Diskussion wurde freilich mehrfach darauf hingewiesen, etwa von Bernhard
Eversberg auf dem Augsburger Bibliothekartag, von Monika Muennich bei der
Stuttgarter VDB-Fortbildungsveranstaltung oder auch in einem BuB-Beitrag
von mir (<http://www.bibliothek.uni-augsburg.de/kfe/mat/bubaacrn.pdf>, S.
7). Dass dieser Weg nun auch bei DDB ins Blickfeld geraten ist, kann man
nur begruessen. Einen wichtigen Schritt dazu stellt die gerade zu Ende
gegangene IFLA-Preconference dar. Sie hatte das Ziel, "to examine
cataloguing codes currently in use in Europe to compare their similarities
and differences to see if we could get closer together and perhaps develop
an International Cataloguing Code." Man darf gespannt sein auf die
Ergebnisse (darunter ein erneuertes 'Statement of Principles'), die in
Baelde veroeffentlicht werden sollen (diverse Materialien schon jetzt unter
<http://www.ddb.de/news/ifla_conf_index.htm>).
Bemerkenswert sind auch Frau Niggemanns Ausfuehrungen ueber die Ziele der
derzeitigen Regelwerksarbeit (S. 7): "Aus heutiger Sicht sollte das
Benutzerinteresse, die Suchbarkeit, die Interoperabilitaet, die
Austauschbarkeit, Vermischbarkeit von Datensaetzen verschiedener Herkunft
das Ziel mit der hoechsten Prioritaet sein, erreichbar durch Anpassungen
und Veraenderungen auf dem Weg ueber die Auschtauschformate, durch
Linkingsysteme oder Crosskonkordanzen zwischen Normdateien oder eben ueber
die Harmonisierung von besonders widerspruechlichen Regeln." Einerseits
Ausschoepfen aller technischer Moeglichkeiten, andererseits moderate
Regelanpassungen, wo sie sinnvoll und machbar sind - koennte das nicht auch
laengerfristig eine geeignete Strategie sein?
Besonders gespannt ist man natuerlich darauf, wie Frau Niggemann die
weitere Entwicklung einschaetzt - was kommt nach der Studie? "Angesichts
der absolut kritischen Haltung in den Bibliotheken zu der dem
Grundsatzbeschluss des Standardisierungsausschusses zu Grunde liegenden
positiven Haltung gegenueber einem Umstieg auf angloamerikanische
Regelwerke und Formate ist zu befuerchten, dass es bei Projektende nicht so
schnell zu einheitlichen Bewertungen der Ergebnisse kommen wird.
Realistischer als ein Umstiegsszenario ist wohl die schrittweise Umsetzung
in solchen Teilbereichen, die mithilfe der Projektergebnisse in ihren
Rahmenbedingungen und ihren Auswirkungen identifiziert oder bestaetigt
werden konnten und fuer die es moeglich ist, einen allgemeinen Konsenss zu
erzielen." (S. 7).
Apropos Projektergebnisse: Seit wenigen Tagen ist nun wenigstens eine
Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse durch die Projektbearbeiterin
online, die auch im Bibliotheksdienst 7/8 erschienen ist:
<http://www.ddb.de/professionell/pdf/umstieg_beirat2.pdf>.
Einige Punkte seien herausgegriffen:
- Um die Fremddatennutzung zu verbessern, wuenschen sich die Verbuende
nicht etwa mehr auslaendische Fremddaten, sondern primaer einen besseren
Austausch untereinander sowie eine hoehere Qualitaet des
Neuerscheinungsdienstes (S. 2). Bei den OeBs spielt die Nutzung
auslaendischer Fremddaten gar keine Rolle, was sich auch bei einem Umstieg
nicht aendern wuerde (S. 3).
- MARC bietet theoretisch die Moeglichkeit von Verknuepfungen bei
mehrbaendigen Werken, jedoch wird dies weder von LoC noch OCLC praktiziert,
d.h. der "Effekt der problemlosen Nutzung auslaendischer Fremddaten
entfiele" bei einer solchen Loesung (S. 4).
- Die Ansetzungen von Personennamen des Mittelalters und der Antike sowie
Herrschern weichen in ca. 60 % der Faelle voneinander ab, was aber in der
PND 'nur' ca. 13.700 Eintraege betraefe. Schwerwiegender ist das Problem
der Arbeitssprache: Im Gegensatz zu Originalsprachlichkeit oder Deutsch
haette Englisch hier "den Vorteil der effektiven Fremddatennutzung, duerfte
aber kaum konsensfaehig sein".
- Titelsplits bei Zeitschriften: Nur in 15 von 38 untersuchten Faellen
entstehen nach RAK/ZETA und AACR/CONSER dieselben Entitaeten (d.h. gleiche
Laufzeiten). Dies ist dramatisch, denn bei jeder zu aendernden Entitaet
muessten auch alle lokalen Bestandsdaten angepasst werden. Rueckwirkende
Aenderungen in der ZDB sind daher - so das Fazit - nicht moeglich,
"Anpassungen koennten allenfalls bei ganz neuen Zeitschriften in der
Zukunft und bei aktuell auftretenden Titelaenderungen vorgenommen werden"
(was wohl bedeutet, dass die ZDB-Katalogisierer langfristig parallel mit
zwei Regelwerken arbeiten muessten). Von einem maschinellen Abgleich der
ZDB mit amerikanischen Datenbanken oder gar einem moeglichen Abbruch bzw.
Einfrieren der ZDB ist - wie ich mit Erleichterung feststelle - keine Rede
mehr.
Bei der Gelegenheit noch einmal die Bitte an die Arbeitsstelle fuer
Standardisierung, auch die zu Grunde liegenden Arbeitspapiere der
interessierten Allgemeinheit zur Verfuegung zu stellen. Dies koennte die
Sachkenntnis bei Katalogexperten wie bei der bibliothekarischen Basis
verbessern und zur Versachlichung der weiteren Diskussion beitragen - was
auch im Sinn von Frau Niggemann sein muesste, denn sie schreibt S. 7f.:
"Die Ergebnisse der Studie sollen die notwendige Grundlage fuer eine
fundierte Entscheidung ueber die Zukunft der Erschliessung in Deutschland
und Oesterreich abgeben, da sie Einschaetzungen von Experten dokumentieren,
Zahlen. Daten und Fakten liefern. Sollte sich eine Entscheidung fuer einen
Umstieg aber als untauglich, unnoetig, nicht konsensfaehig oder auch nur
als sehr langwierig erweisen, dann werden wir die Ergebnisse kurz-, mittel-
wie langfristig fuer viele wichtige Einzelschritte nutzen koennen."
Abschliessend noch ein letztes Zitat aus dem Niggemann-Text (S. 7): "Nach
der Euphorie der Vision eines Aufbruchs in eine internationale Zukunft der
Regelwerke und Formate bei der Mehrzahl der Mitglieder des
Standardisierungsausschusses und der panischen Reaktion weiter Teile der
bibliothekarischen Fachwelt darauf haben viele Expertinnen und Experten die
Zielsetzung fuer ihre Arbeit verloren. Dieses Vertrauen wieder
herzustellen, muss ein wichtiges Ziel der naechsten Zeit sein."
Hie Vision, dort Panik? Nun, das mag mancher anders empfunden haben. Sicher
richtig ist jedoch die Einschaetzung, dass betraechtliches Vertrauen
verloren gegangen ist und sich vielerorts Frustration breit gemacht hat.
Schuldzuweisungen waeren jedoch ebensowenig hilfreich wie die Forderung
nach "Loyalitaet" in einer Sachdiskussion. Fuer die weitere
Auseinandersetzung des Themas wuenscht man sich stattdessen, dass alle in
der Sache Kompetenten wieder enger zusammen arbeiten und ein lebhafter
Ideenaustausch gerade auch dort stattfinden kann, wo man nicht von
vorneherein derselben Meinung ist.
Mit freundlichen Gruessen
Heidrun Wiesenmueller
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Heidrun Wiesenmueller M.A.
Wuerttembergische Landesbibliothek
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