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Waldseemueller-Karte
In einem gut recherchierten, ueberzeugend argumentierenden Artikel im
"Tagesspiegel" wird die Kritik an der Ausfuhrgenehmigung fuer die
Waldseemueller-Karte nochmals bekraeftigt.
In der amerikanischen Liste EXLIBRIS kam es Ende Juli/Anfang August
http://palimpsest.stanford.edu/byform/mailing-lists/exlibris/2001/08/
(August-Archiv)
zu einer teilweise sehr emotional gefuehrten Diskussion, in der mir
vorgeworfen wurde, meine Haltung sei von der gleichen Art, die den
Holocaust ermoeglicht gemacht habe.
Zur Debatte steht in der Tat die Frage des gesetzlichen Instrumentariums
UND der oeffentlichen Transparenz von Kulturgutschutz. Hier hat die
Lobby des Kunsthandels in Deutschland bislang ganze Arbeit geleistet -
in Oesterreich sieht es ein wenig anders aus.
Klaus Graf
Fruehere Informationen:
http://www.bingo-ev.de/pipermail/bavaria/2001-July/000124.html
***
[Auszug]
http://www2.tagesspiegel.de/archiv/2001/08/20/ak-ku-559283.html
Kulturexport
Amerika kauft seine Geburtsurkunde
Eine Kostbarkeit verlässt Deutschland Richtung Washington: Die
Weltkarte Martin
Waldseemüllers von 1507 gab der neuen Welt ihren
Namen. Die
Bundesregierung genehmigte den Verkauf des gesetzlich
geschützten
Kulturgutes. Experten befürchten einen Präzedenzfall
Von Bernhard Schulz
[...]
Der Protest, der sich gegen den Verkauf der "Waldseemüller-Karte"
erhoben
hat, kommt zu spät. Die
Angelegenheit selbst schwelt bereits seit langer Zeit.
Erste Versuche der
Library of Congress, in den Besitz dieser Inkunabel der
neuzeitlichen Geografie
zu gelangen, datieren bereits aus den achtziger Jahren.
Als sich diese
Absichten allerdings zu dem jetzt getätigten Ankauf hin
konkretisierten, hat es
die Bundesregierung sorgfältig vermieden, den Vorgang
publik werden zu lassen
oder gar zur Diskussion zu stellen. Jetzt sind es
mitnichten nur
Historiker und Bibliothekare, die ein einmaliges Objekt eigener
Sammelwünsche
entschwinden sehen. Zur Diskussion steht das gesamte
Instrumentarium des
Kulturgüterschutzes, ja die Frage überhaupt, was ein
schützenswertes
Kulturgut sei und aus welchen wohl erwogenen Gründen es
deutschen Boden nicht
verlassen solle.
Das Erwerbsinteresse der Library of Congress ist unbestreitbar. Die
"Waldseemüller-Karte"
ist das Dokument, auf das der Name zunächst des
Kontinents und später
der Vereinigten Staaten zurückgeht. Aber Martin
Waldseemüller, dessen
Name nun wohl erstmals über einen engen Kreis von
Fachleuten hinaus
genannt wird, repräsentiert den hohen Stand der Wissenschaft
im alten Deutschen
Reich. Gemeinsam mit Martin Ringmann wirkte er an dem
lothringischen
Gymnasium Vosagense im damaligen St. Diez, dem heutigen
Saint-Dié. 1507 gaben
die beiden Humanisten ihr bahnbrechendes Lehrwerk
Cosmographiae
Introductio heraus, in dem die Bezeichnung "America" erstmals
Verwendung findet,
glaubten die Autoren doch in dem Vespucci auf Grund
dessen Reiseberichten
den Entdecker jenes von ihnen zugleich als Terra Nova
bezeichneten Neulandes
zu erkennen. Zugleich mit dem Buch ließ der um 1470
in Freiburg im Breisgau
geborene Waldseemüller die Karte von zwölf
Holzstöcken in der
monumentalen Größe von 228 mal 125 Zentimetern drucken
sowie einen Globus in
Gestalt von zwölf gedruckten, auf eine Kugel
aufzubringenden
Segmenten. Die gesamte Ausgabe widmete Waldseemüller, der
Zeitgenosse Dürers,
seinem Kaiser Maximilian.
Entdeckung auf dem Schloss
1990 kam eines der beiden einzigen noch existierenden Exemplare der
Globensegemente aus
deutschem Privatbesitz auf den Markt. Mit Hilfe der
Kulturstiftung der
Länder gelang es, das augenscheinlich nie auf eine Kugel
aufgebrachte,
gewissermaßen also druckfrische Exemplar für die Bayerische
Staatsbibliothek zu
erwerben. Sie stellte es im Frühjahr 1992 stolz der
Öffentlichkeit vor,
begleitet von einem umfangreichen Katalog, der die
faszinierende Epoche
der frühneuzeitlichen Geografie beleuchtet. Im Vorwort
lässt der Direktor der
Bayerischen Staatsbibliothek - die seit jeher mit der
Berliner
Staatsbibliothek um den Rang einer deutschen Nationalbibliothek
konkurriert - die
Bemerkung fallen, sein Haus sei mit dieser Erwerbung "der
Library of Congress in
Washington zuvorgekommen".
Jetzt hat sich die Reihenfolge umgekehrt. Waldseemüllers Amerika-Karte,
für
die unbestätigten
Berichten zufolge rund 10 Millionen Dollar aufgewendet
werden mussten - oder
noch müssen, denn selbst der weltgrößten Bibliothek mit
allein fünf Millionen
kartographischen Sammlungsstücken stehen keineswegs
unbegrenzte Mittel zur
Verfügung - macht das 1990 vergebliche Bemühen mehr
als wett. Die Karte
befand sich im Eigentum des Fürsten Johannes zu
Waldburg-Wolfegg; auf
dem Familiensitz im baden-württembergischen Schloss
Wolfegg war sie 1903
entdeckt worden. Der Fürst wollte sein Hauptstück seit
Jahren veräußern; an
neun Millionen Mark sollen frühere Preisforderungen
gereicht haben, die
indessen von einer deutschen Institution nicht aufgebracht
wurden. Nachdem sich
der Fürst der Hilfe von Marktexperten wie dem früheren
Chef der
Deutschland-Filiale des Auktionshauses Sotheby's, Christoph Graf
Douglas, versicherte,
der heute selbstständig tätig ist, nahm das
Veräußerungsvorhaben
seinen nun auch finanziell gewachsenen Verlauf.
Bereits der damalige
Bundeskanzler Kohl soll sich Anfang der neunziger Jahre
für die notwendige
Ausfuhrgenehmigung ausgesprochen haben, die
Kulturstaatsminister
Naumann schließlich erteilte, als die Kongressbibliothek die
Zusage zu der lange
Zeit unerfüllbaren Preisforderung wagte. Der Bezug auf die
deutsch-amerikanische
Freundschaft, insbesondere den amerikanischen Anteil
an der deutschen
Wiedervereinigung, war schnell zur Hand. Er wird auch von
den Kritikern der
Ausfuhrgenehmigung nicht bestritten - nur zielt er vollkommen
daneben. Denn der
Kulturgüterschutz stellt gerade darauf ab, sachfremde
Erwägungen
auszuschließen und eine Unterschutzstellung allein mit dem, man
könnte sagen:
Denkmalwert eines Objektes zu begründen. Dementsprechend
müssen vor der
Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung Experten gehört werden,
die denn auch - mit der
naheliegenden Ausnahme eines Vertreters des
Kunsthandels -
ausnahmslos gegen den Verkauf votiert haben. Es ist dies
übrigens erst der
vierte Fall seit 1955, dass eine Veräußerung geschützten Gutes
genehmigt worden ist.
Die vorangehenden Fälle betrafen eine
naturwissenschaftliche
Käfersammlung, ein Gemälde eines minderen
Renaissancekünstlers
und - da waren schon einmal die deutsch-amerikanischen
Beziehungen berührt -
eine Dokumentensammlung deutscher
Amerika-Auswanderer.
Italien schützt alles
Mit welchen Begründungen künftige, derart wie die Waldeseemüller-Karte
gewichtige Objekte
betreffende Verkaufsbegehren abgewehrt werden sollen,
wird die Öffentlichkeit
mit Spannung abwarten. Der politischen Rücksichten gibt
es schließlich viele.
Gerade weil dies so ist und um außenpolitischen
Konstellationen keinen
Einfluss auf fallweise Entscheidungen einzuräumen, haben
andere europäische
Staaten weit umfassendere und rigidere Rechtsinstrumente
geschaffen, um die
Abwanderung national bedeutenden Kulturgutes zu
verhindern. Italien
etwa, das eine dem deutschen Recht ähnliche Liste führt,
verzeichnet rund 36
Millionen Eintragungen. In der Bundesrepublik sind es
lediglich 700, vom
einzelnen Objekt bis zur vollständigen Sammlung, jedoch
ohne jede umfassende
Systematik. Frankreich kennt ein generelles Verbot,
wobei jüngste
Entschädigungsprozesse - für entgangene Auktionsgewinne - in
Anbetracht
explodierender Preise die Grenzen eines solchen Verbotes
aufzeigen. In
Großbritannien gab es bereits veritable Bieterschlachten zwischen
den
vorkaufsberechtigten und mit einer Fristvorgabe ausgestatteten
öffentlichen
Einrichtungen und
potenten Interessenten wie etwa dem unersättlichen
Getty-Museum in Los
Angeles.
Welchen Sinn haben nationale Vorbehaltsregelungen im Zeitalter der
Globalisierung? Soll
nicht der Markt, wenn er denn schon für alle sonstigen
Probleme als
Allheilmittel gepriesen wird, über das Wohl und Wehe des
kulturellen Erbes
richten? Das sind Fragen, die das Vorgehen der
Bundesregierung
aufwirft. Dabei bestreitet kein einziger Fachmann die
Berechtigung, ja
Notwendigkeit, bedeutende Kulturobjekte in ihrem historischen
Kontext zu bewahren -
auch diejenigen nicht, die zugleich mit aller Leidenschaft
zu erwerben trachten,
was immer es zu erwerben gibt. In diesem Konflikt stellen
gesetzliche Regelungen
das notwendige Regulativ dar. Mit der Gründung der
Kulturstiftung der
Länder im Jahre 1988 hat die Bundesrepublik einen
entscheidenden Schritt
getan, der Selbstverpflichtung auf das kulturelle Erbe
gerecht zu werden. Mit
dem Export der "Waldseemüller-Karte" ist ein
Präzedenzfall
geschaffen worden, der nur als verheerend bezeichnet werden
kann.
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.