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"Sitemap"?
"Sitemap" Ein Wort kommt zur Welt.
Die "ZEIT" hat es schon, die "WELT" noch nicht
Sind wir schon allzu routiniert als Zeitzeugen epochaler Umbrueche?
Geschichte rollt vor unseren Augen ab, zumindest auf der Mattscheibe.
Und wenn nicht Welt-, dann Wortgeschichte - und auch diese immer
oefter an virtuellen statt an realen Begegnungsstaetten, in der Netz-
welt zumal. Da tummelt sich jetzt ein neuer Emporkoemmling aus dem
Angelsaechsischen, nicht mehr ignorierbar: die "Sitemap". Meistens
korrekt nach neuen Regeln geschrieben (wie ja auch "Hairstyling",
"Jobsharing" und "Safersex"). Auch Microsoft schreibt es so, an
einer Stelle auch "SiteMap". Aber alles nur auf seinen deutschen
Seiten, auf den englischen kommt der Term bislang gar nicht vor.
Jedoch ist dies nicht, wie "Handy", eine deutsche Erfindung! Viele
englischsprachige Heimseiten haben es, dann jedoch mit Spatium, also
"Site map" geschrieben oder "Site Map". Die Zusammenschreibung war
zumindest bei Durchmusterung etlicher renommierter Staetten noch
nirgends zu entdecken. "Site Index" gibt's auch oefter, bei uns
dagegen nicht (auch "Siteindex" nicht).
Wir sind somit Zeitzeugen, wieder mal, einer Wortentstehung. Der Duden
kennt zwar schon, anderen Werken voraus, die "Site" und die "Website",
die "Sitemap" aber noch nicht. Sollen wir, das waere jetzt zu ueber-
legen, an prominenter Stelle ein Neuwort verwenden, das unsere Nutzer
noch nirgends nachschlagen koennen? Die ZEIT, immerhin, wagt das.
(Aber im Duden steht ja, andererseits, durchaus nicht jede vorkom-
mende Wortzusammensetzung.)
Das Problem entstuende wohl kaum, waere "Schnelluebersicht" nicht
so ungluecklich lang(-sam und -weilig) und "Uebersicht" alleine nicht
zu blass, obwohl beide treffen.
Was also tun - "Sitemap": Ja oder Nein?
Diese Frage haette aufkommen muessen in der bereits versandeten
Diskussion zu "Schnelluebersichten" (vorher "Alternative Homepage").
Nach allem, was zu dem Thema gesagt wurde, spricht wohl einiges fuer
ein klares "JA, ABER!" Genauer:
"Sitemap" ja, aber es waere gut, wenn (a) dieses Wort sich breit
etablieren wuerde als *Begriff*, und das heisst (b), dass
dahinter nicht hier solches und dort anderes zum Vorschein kaeme,
sondern etwas mit moeglichst klar umrissenem Ziel und Konzept,
idealerweise mit einer Gliederung, die Gemeinsamkeiten erkennen
laesst.
Ist das muessige Spekulation? Ich meine, Bibliotheken *haben* starke
Gemeinsamkeiten und *sind* gemeinsam stark, aber wo kommt oder wie
bringen wir das rueber? Oder ist das egal, weil es sowieso jeder
weiss?
Anscheinend.
Nebenbemerkungen
Leicht geraet man dieser Tage in den Geruch der Deutschtuemelei oder
aber des Gegenteils, deshalb lieber noch folgendes:
J.W. v. Goethe: "Die Macht einer Sprache zeigt sich nicht darin, wie
sie fremdes abweist, sondern wie sie es verschlingt."
Heute wuerden wir wohl "integriert" sagen statt "verschlingt" (und
sicher gilt das Diktum nicht allein fuer die Sprache). Sieht man das
so, wird schnell klar, warum das Englische seine Vormachtstellung
erreichen konnte: es hat einen langen, umfassenden Prozess der emsigen
Einverleibung fremden Wortguts schon ab der Eroberung 1066 erlebt,
und das zog sich Jahrhunderte hin. Ueber 60% der heutigen Woerter
haben nichtgermanische Wurzeln, sind aber in lautlicher, ortho-
graphischer und grammatikalischer Hinsicht derartig integriert, dass
alles aussieht wie aus einem Guss. (Haette man je eine Schreibreform
gemacht, die Mischung wuerde gar nicht mehr auffallen.) Das Ganze ging
einher mit rigorosem Rueckschnitt sperriger Endungs-Auswuechse und
einem Beinahe-Kahlschlag im Unterholz der Unregelmaessigkeiten bei
Verben und Deklinationen. So weit haben wir es noch lange nicht
gebracht, und deshalb muessen wir uns nicht wundern. Sondern handeln.
Her mit der "Sitemap"! Denn das gehoert ganz klar zu unserem Stil der
Vereinnahmung brauchbaren Vokabulars: raus mit holprigen Spatien,
den Hemmschuhen geschmeidigen Textflusses, und aus zwei mach eins.
Von mir aus auch: SiteMap. Ich begruesse das als eine gerade dem
Deutschen sehr entgegenkommende Innovation: den Grossbuchstaben
im Wortinnern, von Sprachforschern "BinnenMajuskel" genannt
(s. dazu http://131.99.21.138/dtsprache/zumthema/werbedeutsch.html)
Warum ist man da nicht viel frueher drauf gekommen?
Das einzige Problem ergibt sich wohl bei der Schreibschrift, doch
die Vorteile ueberwiegen beiweitem. Oder spricht sonst noch was
dagegen, mal abgesehen von Argumenten der Kategorie "Das haben
wir ja noch nie so gemacht"? Das RechtschreibRefoermchen macht
weitaus tiefere Eingriffe...
Sicher wird das gleich wieder falsch verstanden: ich rede NICHT einer
allgemeinen Regel das Wort, wie "Jedes Substantiv, auch im Innern
von Zusammensetzungen, mit einem Grossbuchstaben beginnen"! Sondern
als zulaessige Option waere dies zu sehen, mit Feingefuehl
einzusetzen, und zwar fuer herauszuhebende Bezeichnungen, nicht in
normalem Text fuer ganz normale Woerter. "StadtBibliothek" fiel
mir auch schon wo auf.
Noch eine wahre Begebenheit Rande: Eine deutsche Firma hat, obzwar
der "rucksack" ja schon lange ins Englische integriert ist, ein
Rucksack-Modell unter der Bezeichnung "BodyBag" herausgebracht.
Das jedoch bedeutet "Leichensack".
Bernhard Eversberg
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