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Re: ZLB Berlin auf den Schlossplatz !



Ich bin Christoph Albers fuer seinen Beitrag im INETBIB dankbar,

und insbesondere fuer den Hinweis auf die Aeusserungen des
Senatsbaudirektors Stimmann:

> "Eine Stadtbibliothek bleibt eine Stadtbibliothek, ist nichts
>  von nationaler und schon gar nichts von internationaler Be-
>  deutung und kann daher dem Anspruch fuer eine angemessene
>  Nutzung dieses zentralen Ortes fuer Berlin nicht gerecht
>  werden".

Ich moechte aber zunaechst Herrn Stimmann durchaus recht geben,
wenn er seine gedankliche Konzeption fuer das Bibliothekswesen
von morgen, auf den Informationspolitisch veralteten Vorstelllungen
von gestern aufbaut.

Seine Aussage laesst auch vermuten, dass er das Centre Pompidou in
Paris nicht kennt. Frankreich hat darueber hinaus mit dem Neubau
seiner Nationalbibliothek bekanntlich versucht sein Image, als Land
hoher Kultur zu demonstrieren und London stand dem keinesfalls nach.
Anscheinend sieht man das in Deutschland nicht mehr im Zusammenhang
eines Volkes der Dichter und Denker.

Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass man diesen Zusammenhang
heute noch mit ueberdimensionalen Bibliotheksbauten, sondern eher mit
ausgekluegelter Informationslogistik erreicht, so wie ich es in
ABI-Technik 19 (3) S. 232-242 (1999) angedeutet habe.

Von Politikern muss man erwarten, dass sie Planungen dieser Art
(Bebauungsvorschlag auf dem Schlossplatz in der Mitte der Hauptstadt)
auf wissenschaftlich fundierten Visionen begruenden, und nicht auf
veralteten Vorstellungen von Stadtbibliotheken.

Und hier moechte ich Herrn Albers widersprechen, diese
Diskussion gehoert durchaus in INETBIB, weil eine Vision ueber die
Digitale Bibliothek von morgen ohne das Internet von heute undenkbar ist.

Insofern war es ja auch richtig, dass er dieses breite Forum gewaehlt hat.

Ich denke, dass der Grund fuer die Schliessung des DBI war, dass es
keine wirklichen Visionen entwickelt und politisch durchgesetzt hat.
Vermutlich konnte es das auch nicht, weil weder die Mehrheit der
Bibliothekare, noch die der Politiker dieses in Deutschland wuenschten.
Die Mehrheit der Bibliothekare wollte lediglich in ihrer taeglichen Arbeit
unterstuetz werden und die Politiker befuerchteten erhoehte Ausgaben fuer
ein modernisiertes Bibliothekswesen.

Die hervorragende Bedeutung des Bibliothekswesens in den USA, die
schon Fritz Milkau (Begruender des einzigen Instituts fuer
Bibliothekswissenschaft in Deutschland) hinsichtlich der dortigen
Freihandbibliotheken 1914 ruehmte, hat man in Deutschland nie
ganz ernst genommen.

Sie zeigt sich nicht nur in der modernen technischen Ausstattung,
in den Oeffnungszeiten, in der grossen Zahl von hunderttausend
Schulbibliotheken, in den vielen Dissertationen auf diesem gebiet,
sie zeigt sich auch in all den boesen Gangstern, die in amerikanischen
Filmen mit bibliothekarischer Hilfe schon zur Strecke gebracht
worden sind. Es mag sein, dass man glaubt dies nicht ernst nehmen
zu muessen, weil wir in Deutschland ja viel altehrwuerdigere
Bibliotheken haben. Die Einsicht ueber die Bedeutung der modernen
Bibliotheken als Informations- und Urheberschutzzentren in einer
Wissenschaftsgesellschaft fehlt hier aber weitgehend, und damit wird
auch die Bedeutung der Bibliotheken in den USA nicht erkannt. Welcher
Politiker kennt schon den Unterschied zwischen einer Daten- und
einer Wissensbank. In den USA bastelt man aber schon seit Jahren an
einer national knowledge base.

Schon allein der Vergleich zwischen der Bedeutung einer
National Library of Medicine und der Zentralbibliothek der Medizin
in Koeln macht deutlich, dass hier Welten dazwischen liegen. Die
Library of Congress war massgeblich am weltweit nutzbaren
CD-ROM-Standard beteiligt - man stelle sich eine solche
impulsgebende Wirkung bei der Deutschen Bibliothek vor.
Und die Einrichtung von Speicherbibliotheken, hat in den
USA schon 1941 als Cooperative Storage Library begonnen.

Deutschland hat seit hundert Jahren eine voellig
unzureichend ausgestattete Bibliothekswissenschaft,
daran konnte, wie wir heute wissen, auch das DBI nichts
aendern. Daraus aber zu schliessen, dass wir eine solche
Wissenschaft auch nicht auszubauen brauchen, grenzt
an Fatalismus.

Als man vor einigen Jahren in den USA von Regierungsseite
die Frage stellte, ob man die Bibliotheken in den USA
schliessen koennte, kam man zu dem Ergebnis, dass dies
einen etwa zehnprozentigen Verlust in der Wissenschaft
braechte. Das sind Milliardenbetraege. Ich schaetze dass
der Verlust in Deutschland nur etwa 5 % betragen wuerde,
weil unsere Bibliotheken denen der USA gegenueber
erheblich weniger leistungsfaehig sind.

Bei der Verbesserung des nationalen Informations- und
Wissensmanagements muss dringend angesetzt werden.

Dazu ist auch eine Imagepflege in der breiten Bevoelkerung
zwingend notwendig. Die Franzosen haben aus meiner Sicht
ein international wenig beispielhaftes Bibliothekswesen.
Viele haben dies aber noch nicht bemerkt, weil man in
Frankreich interessante Highlights gesetzt hat.
Moeglicherweise sollte Herr Senatsbaudirektor Stimmann
die grosse Attraktion des Centre Pompidou in Paris in den
letzten Jahrzehnten sich wirklich genauer ansehen.

Wenn der Streit um das DBI eines deutlich gemacht hat, so war es
die Tatsache, dass man in Deutschland einen Wettbewerb um
staatliche Ressourcen getrieben hat und sich nicht
ausreichend am internationalen Wettbewerb um die Marktchancen
in der Wissenschaftsgesellschaft beteiligte. Es ist zweifellos
erfreulich, dass man in Deutschland nicht so national denkt,
wie in manchen anderen Staaten, deshalb aber auf den Versuch zu
verzichten das beste Informations- bzw. Managementsystem der
Welt zu entwickeln ist absurd. Es kaeme mit der Einstellung gleich
keine Nobelpreise mehr anzustreben.

Wir investieren wie die Weltmeister in Museen und laufen Gefahr
den Blick fuer die Zukunft zu verlieren. Ich moechte nicht falsch
verstanden werden, der Schutz von Kulturguetern ist wichtig, er kann
aber immer nur dazu dienen die Zukunft der Menschheit zu sichern,
indem wir aus der Geschichte lernen.

Die Rolle der Library of Congress im Internationalen Copyright,
das sowohl zeitlich als auch raeumlich viel weiter reicht als das
Patentrecht, sollte hierzulande nicht unterschaetzt werden. Ansonsten
sind auch Patente Publikationen die sich in Bibliotheken befinden.

Solange Politiker und Industrielle in Deutschland glauben sie seien
ihrer Zeit geistig weit voraus, wenn sie im Zusammenhang mit dem
Internet Bibliotheken schon fuer obsolet halten, solange ist Deutschland
informationswissenschaftlich betrachtet in hoechster Gefahr. Es wird
von (in diesem Punkt) unsachgemaess informierten Leuten geleitet.
Wir sollten allerdings nicht verkennen, dass diese Fehlleitungen
auch aus unzureichender Beratung von Politikern durch Bibliothekare
entstanden ist.

Das Internet ist weder auf dem Weg zur Virtuellen und erst recht
nicht zur Digitalen Bibliothek, es schickt sich an die groesste
Buchhandlung aller Zeiten zu werden. Noch genauer gesagt
ist es ein Informations- und Wissensmarkt, auf dem in absehbarer Zeit
Wissenschaft am Fliessband produziert wird. In diesem Geschehen die
Rolle der Bibliothekswissenschaft und damit auch die der Bibliotheken
und der Bibliothekare zu vergessen, bedeutet die Archivierung und den
Schutz dieses wichtigsten Produktionsgutes der Wissenschaftsgesellschaft
nicht ernst zu nehmen. Das wird sich aber sicher bald herumsprechen.

In der Zwischenzeit wuensche ich ein schoenes Wochenende bzw. einen guten
Wochenneubeginn.

Mit freundlichen Gruessen

W. Umstaetter

Prof. Dr. Walther Umstaetter
Institut fuer Bibliothekswissenschaft
Humboldt-Universitaet zu Berlin
10099 Berlin
Dorotheenstr. 26





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