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Unbrauchbare Sacherschliessung fuer Fruehneuzeitserver
- Date: Fri, 07 Jan 2000 05:50:53 -0800
- From: Klaus Graf <graf _at__ uni-koblenz.de>
- Subject: Unbrauchbare Sacherschliessung fuer Fruehneuzeitserver
Der von der Bayerischen Staatsbibliothek zu verantwortende
Literaturdienst des hier von mir Ende letzten Jahres besprochenen
Fruehneuzeitservers (FNS) umfasst Monographien und Zeitschriftenartikel.
Die Bedienerfuehrung ist eine Zumutung. Wer beispielsweise das Stichwort
hex*
in das Suchfeld eingibt, erhaelt 48 Treffer. Diese werden aber nicht
etwa in einer gemeinsamen Liste vereinigt, sondern es sind
endlose Ladezeiten erforderlich, bis man feststellt, daß es sich um
ueberwiegend um Dubletten handelt. Es sind ganze 6 Titel, von denen 5
zur Hexenforschung einschlaegig sind.
Ich beschränke mich im folgenden auf die Sacherschliessung der
Monographien. Diese werden mit Schlagwoertern und fuer den FNS mit einer
zusaetzlichen Notation versehen. Diese betrifft a) einen Zeitaspekt:
1500-1800
1500-1648
1649-1800
b) einen Raumaspekt (berücksichtigt wird nur West- und Südeuropa ohne
Osteuropa) und c)
eine Zuordnung zu folgenden Sachbereichen:
Politik
Recht und Verwaltung
Militär und Kriege
Kirche, Religion und Theologie
Siedlung und Bevölkerung
Wirtschaft
Sozial-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte
Geschlechtergeschichte
Bildung und Erziehung
Medizin
Philosophie, Historiographie
Naturwissenschaften und Technik
Medien, Musik, Kunst, Kommunikation, Literatur
Gesamtdarstellungen
Hilfsmittel (Bibliographien, Archivverzeichnisse u. dergl.)
Quellen und Quelleneditionen
Das Resultat ist meiner Ansicht nach voellig unbrauchbar. Dies liegt vor
allem daran, dass ein Buch meist nur
einem Sachbereich zugeordnet wurde. Schublade auf, zu - fertig!
Ausserdem sind die Sachbereiche zu grobmaschig und zu wenig
trennscharf abzugrenzen.
Die letzten beiden Notationen wurden sehr inkonsequent vergeben. Es kann
doch wohl nicht angehen,
dass allein in den Titeln zu Oesterreich und der Schweiz (eine
fragwuerdige Zusammenfassung!) nicht weniger
als sechs eindeutige Faelle von Quelleneditionen zu konstatieren sind,
die nicht der Gruppe
zuwiesen wurden (obwohl das Sachschlagwort Quelle teilweise vergeben
wurde). In anderen Raeumen sieht es nicht anders aus. Wer also nach
Quelleneditionen sucht, muss
alle Titel durchkaemmen! Wie der Begriff "Quelle" definiert wird (sind
das nur Texte?), erfaehrt man nicht.
Auf Schritt und Tritt stoesst man auf mangelhafte Zuordnungen: ein Buch
zur Maedchenbildung in Gent nicht unter
Bildung und Erziehung, eine Arbeit ueber die Hugenotten nicht unter
Kirche. Wuerde man nicht Kommunikation und Medien auch unter dem
Dach der Kultur- und Mentalitaetsgeschichte vermuten? Wieso wurde die
Wirtschaftsgeschichte von der Sozialgeschichte abgetrennt? Die
Gegenprobe bei "Politik" ergibt, dass hier durchaus eher kultur- oder
ideologiegeschichtlich akzentuierte Arbeiten zu finden sind. Besonders
krass ist die Zuordnung eines Katalogs ueber den Humanisten Heresbach
ausschliesslich zu Politik. Auch Goethe als Politiker hat keine Aufnahme
im Sachgebiet Literatur gefunden (so wie Hans Sachs nur bei Wirtschaft
erscheint). Eine Studie zur "culture of property" waere auch bei Recht
zu beruecksichtigen gewesen. Unklar ist auch die Abgrenzung zur Rechts-
und Verwaltungsgeschichte: Da erscheint unter den Novembererwerbungen
als erstes eine Studie ueber die Testamente eines Preussen-Herzogs, die
man ebenso bei Politik wie unter Quellen vermuten wuerde. Eine Studie
zum Alltagsleben in Delmenhorst anhand der Ratsprotokolle wurde nicht
auch im Sachbereich Sozialgeschichte eingeordnet. Finanzpolitik findet
man willkuerlich auf Verwaltung und Wirtschaft verteilt.
Wo koennte man Literatur ueber Staedtebau finden? Es liegt doch nahe,
Staedtebau der Architektur
zuzuschlagen und dann unter Medien usw. zu suchen. Aber Fehlanzeige. Die
zwei Titel mit dem Schlagwort Staedtebau wurden auf die Gruppen
Naturwissenschaft und Siedlung aufgeteilt!
In der modischen Kategorie Geschlechtergeschichte vermisst man unter
anderem Arbeiten ueber die Malerin Gentileschi, zur Gender-Problematik,
zur Homosexualitaet/Sexualitaet, zum Eherecht und zur
Frauenkriminalitaet. Wo sucht man Kriminalitaetsgeschichte? Jedenfalls
nicht bei Recht, eher bei Sozialgeschichte. Die Hexenverfolgungen werden
ebenfalls nicht als rechtsgeschichtliches Phaenomen, eher als
kirchliches begriffen.
Eine differenzierte Sachgruppengliederung (also ein "Thesaurus"), wie
sie etwa der ebenfalls von Muenchen zu verantwortenden Bayerischen
Bibliographie zugrundeliegt, waere angemessener.
Kurzum: Die SFN-Notationen bringen, was ihr untaugliches Konzept und
ihre indiskutable Anwendung angeht, keinen wirklichen Fortschritt bei
der Sacherschliessung von Publikationen zur Fruehen Neuzeit. Darauf
weiter oeffentliche Gelder
in vermutlich nicht unbetraechtlicher Hoehe zu verwenden, erscheint mir
nicht sinnvoll. Es ist schon erstaunlich, was sich die Bayerische
Staatsbibliothek mit diesem Literaturdienst leistet.
Dr. Klaus Graf
http://www.uni-koblenz.de/~graf
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.