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AW: flohmarkt in wb
Ach Herr Graf,
wir alle haben schlechte Menschen, Verbrecher gar, zu Mitmenschen; was
glauben Sie, wie oft ich schon hätte froh sein können, kein deutscher
Professor zu sein. Im Ernst: Solche Töne gehören, bei allem angemessen
Zorn, nicht in die Öffentlichkeit.
Carsten Schmidt
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: owner-inetbib _at__ ub.uni-dortmund.de
[mailto:owner-inetbib _at__ ub.uni-dortmund.de] Im Auftrag von Klaus Graf
Gesendet: Montag, 12. Mai 2003 19:31
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: flohmarkt in wb
On Mon, 12 May 2003 10:31:02 +0200
"Dr. Jens Prellwitz" <Jens.Prellwitz _at__ bib.uni-erlangen.de>
wrote:
>
>
> Klaus Graf schrieb:
> >
> >
> > Na super! Altbestaende heimlich verscherbeln, das ist
> ja
> > leider eine Lieblingsbeschaeftigung deutscher
> Bibliothekare
> > ...
> >
> > Aber im Ernst: Wertvolle Altbestaende sind Kulturgut,
> das
> > unveraeusserlich sein sollte. Aber das sieht wohl nur
> die
> > Wissenschaft so, denn Bibliothekare bessern ihren Etat
> zu
> > gern mit Einnahmen aus solchen nie gross publik
> gemachten
> > und auch NIE in der reichen Fachliteratur des
> > Bibliothekswesens diskutierten (oder sollte ich etwas
> > uebersehen haben?) Verkaeufen (bzw.
> Dublettenverkaeufen)
> > auf. Wo endet der schuetzenswerte Bestand und wo
> beginnt
> > das ohne weitere in den Flohmarkt zu gebende
> > Bibliotheksgut?
> >
> > Die sog. Bibliothekswissenschaft drueckt sich um eine
> klare
> > Antwort herum.
> >
> > Klaus Graf
>
> Lieber Herr Graf,
> Aussonderungen, Abgaben, Verkäufe haben die meisten
> Bundesländer in
> entsprechenden Richtlinien geregelt, die sich eben genau
> darum bemühen,
> den wichtigen Altbestand von Massengut zu unterscheiden.
> Einen kurzen
> Abriss der Problematik findet sich im Bibliotheksdienst
> 34 (2000) H.12,
> S.1993-1999 'Aussonderungen aus dem Bibliotheksbestand'.
> Die Richtlinien
> der Länder sind dort aufgelistet.
> Für Bayern ist z.B. in der Richtlinie Literatur vor dem
> Erscheinungsjahr
> 1850 generell von Aussonderungen ausgeschlossen und soll
> eigentlich
> primär für die Literatur nach 1945 angewendet werden.
> Gedacht ist hier
> z.B. an Mehrfachexemplare überholter Lehrbücher, bei
> denen Neuauflagen
> existieren.
> Der Artikel im Bibliotheksdienst steht auch im Internet
> unter:
>
http://www.dbi-berlin.de/dbi_pub/bd_art/bd_2000/00_12_06.htm
>
> Die bayerischen Richtlinien unter:
> http://www.bib-bvb.de/AuB/richtlin.html
>
Gut, es gibt solche Richtlinien. Diese waren mir durchaus
im Prinzip bekannt.
Aber letztlich oeffnen diese durch windelweiche
Formulierungen wie "im allgemeinen" oder "in der Regel"
jedem noch so wildgewordenen Bibliotheksleiter Tuer und
Tor, seine wissenschaftlich inakzeptable
Bewertungsentscheidung als im Einklang stehend mit den
Richtlinien zu verkaufen.
Die UB Eichstaett hat in unverantwortlicher Weise
angebliche Dubletten aus historischen
Kapuzinerbibliotheken, also Drucke, die aus der Zeit vor
der Saekularisation stammen, in den Handel gegeben. Ich
sehe darin einen krassen Verstoss gegen die bayerischen
Richtlinien, in denen es heisst:
"2.5. Vor Ort zu belasssende Bestände
[...]
in der Regel Rara- und sonstige Sondersammlungen und
historisch gewachsene Bestandssegmente, deren besonderer
wissenschaftlicher bzw. kultureller Wert
in ihrer Geschlossenheit liegt, sowie Deposita."
IN DER REGEL! In Ausnahmefaellen duerfen also auch
historisch gewachsene Sammlungen aufgeloest und
verscherbelt werden - aber wer entscheidet, wann dieser
Ausnahmefall vorliegt? Statt unmissverstaendlich die
Achtung vor dem historischen patrimonium einzuschaerfen,
ermoeglichen solche "Hintertuerchen" jede Art von Willkuer
- Konsequenzen brauchen solche Kulturgutzerstoerer wie die
Eichstaetter Bibliothekare ja ohnehin leider nicht
befuerchten.
Wer mir unterstellt, ich wuerde die Bibliotheken dazu
verpflichten wollen, alles aufzubewahren, auch
Mehrfachexemplare von Lehrbuechern und vergleichbares
"Flohmarktgut", dem moechte ich entgegenhalten, dass er
oder sie offensichtlich nichts von dem verstanden hat, was
mich seit vielen Jahren umtreibt und was auf meiner Seite
http://www.uni-freiburg.de/histsem/mertens/graf#kulturgut
dokumentiert ist.
Zum Thema Dubletten:
Wer weiss, dass noch 1966/68 die Wuertt. Landesbibliothek
Stuttgart etliche Inkunabeldubletten in den Handel gegeben
hat? Inkunabeln mit alten Randbemerkungen und
Besitzvermerken!
Und noch vor der Aera Raabe war es anscheinend auch in
Wolfenbuettel gang und gaebe, aus fruehneuzeitlichen
Altbestaenden sog. "Dubletten" auszusondern - auch wenn
diese zu geschlossenen historischen Buchbestaenden
gehoerten.
Und die zu Unrecht hochgelobte Johannes a Lasco Bibliothek
in Emden verkauft auch heute noch solche angeblichen
Dubletten!
Da bin ich wirklich froh, dass ich kein Bibliothekar bin,
denn solche "Berufskollegen" waeren mir wirklich zuwider.
Klaus Graf
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.