[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Symposium: Juedischer Buchbesitz als Beutegut



Da die mail gestern nicht alle INETBIBler erreicht hat, heute noch einmal
der ganze Text.

MfG
Joachim Drews


Tagungsbericht: Symposium Juedischer Buchbesitz als Beutegut, 14. November
2002 in Hannover

Am 14. November 2002 veranstalteten der Niedersaechsische Landtag und die
Niedersaechsische Landesbibliothek das Symposium ?Juedischer Buchbesitz als
Beutegut?. Thema der Veranstaltung war der waehrend der Zeit des
Nationalsozialismus widerrechtlich angeeignete Buchbesitz von emigrierten oder deportierten
Juden durch Bibliotheken. Auf der Tagung sollte der aktuelle Forschungsstand
reflektiert sowie ein Erfahrungstausch zwischen den Bibliotheken ermoeglicht
werden, die sich mit Fragen der eigenen Erwerbungspolitik im
Nationalsozialismus beschaeftigen. Rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz
Deutschland und den Niederlanden folgten der Einladung zu dem ganztaegigen Symposium
in den Raeumen des Niedersaechsischen Landtages.

Die Veranstaltung ging zurueck auf eine Initiative der NLB. Das Thema des
Buecherraubes im Nationalsozialismus sowie die Fragen der Restitution der
Buecher an die Erben sollte in der bibliothekarischen Fachwelt, aber auch in der
Oeffentlichkeit, endlich eine angemessene Beachtung finden. Denn anders als
die oft spektakulaer in der Oeffentlichkeit wahrgenommenen Rueckgaben
wertvoller Kunstsammlungen, findet die muehevolle Kleinarbeit des Aufspuerens und
Identifizierens geraubter Buecher in den Bibliotheken nur wenig Resonanz in den
Medien. Durch die Wahl des Tagungsortes und die Uebernahme der
Schirmherrschaft durch den Praesidenten des Niedersaechsischen Landtages, Herrn Prof.
Wernstedt, wurde der Veranstaltung ein wuerdiger Rahmen gegeben und die
Aufmerksamkeit der Oeffentlichkeit sichergestellt.

Zu Beginn des Symposiums betonte Prof. Dr. Klaus-Dieter Lehmann, Praesident
der Stiftung Preussischer Kulturbesitz, die mit der Ermittlung und
Restitution verbundene moralische Verpflichtung deutscher Bibliotheken. Der moegliche
Erfolg einer Rueckgabe koenne deshalb auch nicht das einzige Motiv des Handels
sein. Nur eine offensive Umgangsweise, die Zusammenhaenge untersucht und
dokumentiert, legitimiere die Bibliotheken als objektive Wissensspeicher und
kulturelles Gedaechtnis. Im zweiten Hauptvortrag stellte die Historikerin Dr.
Anja Heuss die Strukturen und Akteure des Buecherraubes im Nationalsozialismus
vor. Sie zeigte die vielen unterschiedlichen Wege auf, durch die geraubte
Buecher ? auch noch nach Ende des Krieges ? in den Besitz von Bibliotheken
gelangten. Fuer die Bibliothekare regte sie die Bildung eines Arbeitskreises zum
Austausch von Informationen an.

Die Vortraege des Nachmittages standen unter dem Motto ?Restitution in der
Praxis?. Als Erste referierte Veronica Albrink ueber die von der
bibliothekarischen Fachwelt bisher weitgehend ignorierte ?Handreichung zur Auffindung NS-
verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes? vom Fruehjahr 2001. Im Anschluss
hieran entwickelte Dr. Juergen Babendreier
von der SUB Bremen raubgutverdaechtige Pruefungsmerkmale, die bei der Suche
nach NS-verfolgungsbedingt entzogenen Bibliotheksgut als Verdachtsindikatoren
gelten koennen. Dr. Bernd Reifenberg berichtete ueber das an der UB Marburg
laufende Projekt einer systematischen Durchsicht aller Bestandszugaenge
zwischen 1933 und 1945. Anschliessend gab Dr. Ingo Toussaint von der UB Bayreuth
einen UEberblick ueber die Raubpolitik badischer Bibliotheken in der Zeit des
Nationalsozialismus. Dr. Berndt von Egidy von der UB Tuebingen berichtete
abschliessend ueber den Fund und die Rueckgabe der Bibliothek des juedischen
Arztes Caesar Hirsch.

Waehrend des Symposiums war die Ausstellung ?Seligmanns Buecher. Von der
spaeten Rueckgabe des Eigentums juedischer Fluechtlinge aus Hannover? zu sehen,
die unter Federfuehrung des hannoverschen Historikers Dr. Peter Schulze
entstanden ist. Die Ausstellung verweist auf das Schicksal juedischer Familien aus
Hannover, die 1939 aus Deutschland fluechten mussten. 38 Buecher aus
beschlagnahmten Umzugsgut wurden vor einigen Jahren in den Bestaenden der SUB Bremen
entdeckt und konnten 2000 an die frueheren Besitzer oder deren Nachkommen
zurueckgegeben werden. Die Ausstellung dokumentierte eindrucksvoll die
Geschichte der Buecher und das Schicksal der Menschen. Sie wird im Fruehjahr 2003
erneut in der NLB gezeigt. Eine Dokumentation der Tagung wird Anfang 2003
erscheinen. 

Als ein Ergebnis der Tagung wurde von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern
des Symposiums ein Hannoverscher Appell verabschiedet, der im Folgenden
dokumentiert wird:

___________________________

Hannoverscher Appell

des Symposiums ?Juedischer Buchbesitz als Beutegut?, einer gemeinsamen
Veranstaltung des Niedersaechsischen Landtages und der Niedersaechsischen
Landesbibliothek in Hannover

NS-verfolgungsbedingt entzogenes Bibliotheksgut befindet sich in noch
unbekanntem Umfang in deutschen Bibliotheken.

Die Bundesregierung, die Laender und die kommunalen Spitzenverbaende haben
mit ihrer Gemeinsamen Erklaerung vom Dezember 1999 die deutschen Bibliotheken
aufgefordert, nach diesem Raubgut in ihren Bestaenden zu suchen, hierueber zu
berichten und die Buecher an die rechtmaessigen Erben zurueckzugeben.

Die Umsetzung dieser Aufforderung betrachten wir als dringende Aufgabe der
Bibliotheken, der Bibliotheksverbaende, der bibliothekarischen
Ausbildungsstaetten und anderer wissenschaftlicher Einrichtungen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Symposiums appellieren deshalb an die
Verantwortlichen des deutschen Bibliothekswesens:

-- Unterstuetzen Sie die Suche nach Raubgut in unseren Bibliotheken;
buendeln Sie vorhandene lokale Aktivitaeten und vernetzen Sie die Sucharbeit; bilden
Sie ein ueberregionales Arbeits-Gremium, das die historische Forschung
koordiniert.

-- Nutzen Sie hierfuer die Erfahrungen und die Kompetenz, die in den
Forschungen nach juedischem Raubgut vor allem in der SUB Bremen und der UB Marburg
gesammelt wurden, sowie die Informationsangebote der Koordinierungsstelle fuer
Kulturgutverluste in Magdeburg.

-- Werben Sie gezielt Foerdermittel ein fuer die Erforschung und
oeffentliche Vermittlung dieses wichtigen Vorhabens. UEberzeugen Sie Ihre
Unterhaltstraeger von der kulturpolitischen Bedeutung der Ermittlung von Raubgut juedischer
Provenienz und den Moeglichkeiten der Restitution.

-- Die bibliothekarischen Ausbildungsstaetten sind dringend aufgefordert,
die Bibliotheksgeschichte, insbesondere auch die Zeit des Nationalsozialismus,
in ihre Curricula aufzunehmen.

-- Sorgen Sie fuer eine Berichterstattung ueber die Ergebnisse Ihrer
Recherchen in der Oeffentlichkeit, z. B. mit Ausstellungen wie die in Hannover
gezeigte Ausstellung Seligmanns Buecher.

Fuer die ca. 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Symposiums ?Juedischer
Buchbesitz als Beutegut?

Hannover, 14. November 2002

Prof. Rolf Wernstedt, Praesident des Niedersaechsischen Landtages
Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann, Praesident der Stiftung Preussischer
Kulturbesitz
Dr. Georg Ruppelt, Direktor der Niedersaechsischen Landesbibliothek

------------------------------------------------------------------------
Joachim Drews
Niedersaechsische Landesbibliothek
Waterloostr. 8
30169 Hannover
E-Mail: joachim.drews _at__ zb.nlb-hannover.de
T.: 0511/1267-209

-- 
+++ GMX - Mail, Messaging & more  http://www.gmx.net +++
NEU: Mit GMX ins Internet. Rund um die Uhr für 1 ct/ Min. surfen!



Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.