[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

AW: Publikationspflicht für Professoren im Netz



Liebe InetBibler,

Wenn ich mir die hier unter Beteiligung u. a. der Kollegen Kuhlen, Hilf
oder van Capelleveen geführte Diskussion vergegenwärtige, habe ich  den
Eindruck, daß hier (und auch in der Initiative der Grünen) durchaus eine
Menge wichtiger Faktoren unserer kriselnden Publikationsökonomie
identifiziert sind: die Rolle der Rechteverwerter à la Elsevier, die in
manchem sehr widersprüchliche Haltung der Professoren und
Wissenschaftler etc. - all das sind sicher relevante Elemente, und neue
Gesetze bzw. eine systematische Veränderung der Rahmenbedingungen
wissenschaftlichen Publizierens sind sicher erwägenswerte Maßnahmen ...

Und doch habe ich den Eindruck, daß in all diesen Diskussionsbeiträgen
eine ganz entscheidende Stellschraube vernachlässigt wird. Die
strategisch mitentscheidende Rolle der Verfahren für die Impactbewertung
wissenschaftlicher Tätigkeit. Dies gehört zu den grundlegenden
Erkenntnissen der beiden E-Publishing-Projekte GAP (www.gap-c.de) und
FIGARO (www.figaro-europe.net). Denn in einzelnen Wissenschaften (so z.
B. in der Medizin) spielen Impact-Kennwerte, wie sie aus den Citation
Indices bzw. dem Web of Science des Institute for Scientific Information
(ISI) zu beziehen sind, eine entscheidende Rolle in Berufungsverfahren.

Und proportional mit der Rolle dieser Impact-Bewertungsverfahren wächst
nun eben auch die Fixiertheit der Wissenschaftler auf diejenigen
Publikationswege, denen in den ISI-Instrumenten ein besonders hoher
Impact zugeschrieben wird. Es sind dies eben die Hochpreiszeitschriften,
gegen deren monopolistische Dominanz Projekte wie GAP und FIGARO, aber
auch Initiativen wie SPARC, oder eben auch die Initiative der Grünen
gerichtet sind. Die Impactbemessungsverfahren sind als eine der
stärksten Abwehrwaffen des etablierten Systems von
Hochpreisveröffentlichungen in der Auseinandersetzung mit alternativen
Publikationsmodellen anzusehen, daher sollten die Verfahren hinter jedem
Impact-Ranking gründlich hinterfragt werden. Es ist in diesem
Zusammenhang kennzeichnend, dass die Preisexplosion im
Zeitschriftensektor ungefähr zeitgleich mit der Etablierung der
ISI-Impactbemessungsmodelle eingesetzt hat.

Hochschulen betreiben mithin in zwei Feldern extrem teure und fast
selbstmörderische Outsourcing-Strategien: sie stützen indirekt das
System der von kommerziellen Rechteverwertern produzierten
Hochpreiszeitschriften und bedienen sich zugleich der von ISI
produzierten Instrumente, von denen einzelne Wissenschaftsbereiche schon
regelrecht abhängig geworden sind. Es ist in diesem Zusammenhang
interessant, dass eine jüngst im Auftrag des französischen Syndicat
National de l?Edition erstellte Studie
(http://www.snedition.fr/numerique/index.htm) belegt, dass die
Veröffentlichungen des ISI mit einem Anteil von 10,51% den klar größten
Anteil der Erwerbungsmittel französischer Hochschulbibliotheken an sich
binden, direkt gefolgt dann von den Ausgaben für Veröffentlichungen von
Elsevier mit 9,19% ...

Es scheint mir auf der Hand zu liegen, dass beide Phänomene in einem
engen ursächlichen Zusammenhang stehen und einander wahrscheinlich
regelrecht bedingen und mithin das Handeln in einem Teilbereich dieses
Syndroms ohne begleitendes Handeln in dem jeweils anderen nicht
wirk-lich erfolgreich sein kann.

Um also die Publikationspraxis nachhaltig zu beeinflussen sind m. E.
weder Gesetze noch flankierende Maßnahmen der Forschungsförderung noch
erst recht moralische Appelle an die Adresse der Beteiligten allein
geeignete Mittel: zum Nutzen der Wissenschaft wirklich reformieren kann
man dieses System wahrscheinlich überhaupt erst, wenn es gelingt, eine
effektive Selbstkontrolle der Verfahren für die Impactbemessung zu
erreichen, und zwar in technischer und ökonomischer Hinsicht.

Dies aus dem novemberlich-trüben Hamburg mit den besten Wünschen für das
Wochenende -- Stefan Gradmann

************************************************************
Dr. Stefan Gradmann / Virtuelle Campusbibliothek / Projektleitung GAP
Regionales Rechenzentrum  der Universität Hamburg
Schlüterstr. 70, D-20146 Hamburg
Tel.: +49 (0)40 42838 3093
Fax.: +49 (0)40 42838 3284
GSM : +49 (0)170 8352623
E-Mail: stefan.gradmann _at__ rrz.uni-hamburg.de 

> -----Ursprüngliche Nachricht-----
> Von: owner-inetbib _at__ ub.uni-dortmund.de 
> [mailto:owner-inetbib _at__ ub.uni-dortmund.de] Im Auftrag von 
> Remco van Capelleveen
> Gesendet: Mittwoch, 13. November 2002 11:25
> An: Internet in Bibliotheken
> Betreff: Re: Publikationspflicht [iso-8859-1] für Professoren im Netz
> 
> 
> Liebe Kolleginnen und Kollegen,
> 
> die Universitaeten und oeffentlich gefoerderten 
> Forschungseinrichtungen 
> koennen und sollten Ihre Professoren und Wissenschaftler 
> verpflichten, die Ergebnisse ihrer Forschung der Einrichtung 
> zur Veroeffentlichung auf einem universitaeren 
> Dokumentenserver zur Verfuegung zu stellen. Freiwillig 
> werden weder die Verlage noch die (Mehrheit der) 
> Wissenschaftler von der 
> gegenwaertigen Praxis lassen, weil die einen damit Geld 
> verdienen und die 
> anderen persoenliche (Reputations-)Vorteile erlangen. Die 
> Nachteile tragen die Hochschulen und Forschungseinrichtungen 
> insgesamt und die Bibliotheken im besonderen. 
> Dass der Gesetzgeber in dieser Hinsicht nicht taetig werden 
> sollte, vermag ich nicht einzusehen. Bzgl. der Verwertung von 
> Patenten 
> ('Arbeitnehmererfindungen') hat der Bundestag Anfang 2002 
> auch ein Gesetz 
> beschlossen (Novellierung des § 42 ArbEG), dass es den Hochschulen 
> ermoeglicht, 'Diensterfindungen' primaer zu verwerten. Warum 
> soll das bei 
> der Veroeffentlichung von - dienstlichen - 
> Forschungsergebnissen nicht 
> moeglich sein. 
> 
> Mit freundlichen Gruessen
> 
> Remco van Capelleveen
> 
> > 
> > ---------- Forwarded message ----------
> > Date: Mon, 11 Nov 2002 18:18:54 +0100
> > From: rainer kuhlen <rainer.kuhlen _at__ fmi.uni-konstanz.de>
> > Reply-To: Internet in Bibliotheken <INETBIB _at__ ub.uni-dortmund.de>
> > To: INETBIB _at__ ub.uni-dortmund.de
> > Subject: Publikationspflicht [iso-8859-1] für Professoren im Netz
> > 
> > Jede Unterstützung allen Initiativen aus der Wissenschaft, zusammen 
> > mit Bibliotheken, die Organisation des Publizierens in die eigenen 
> > Hände zu nehmen - aber doch wohl nicht über ein verpflichtendes 
> > Gesetz. Der Staat hat weder die Kompetenz noch kann er die 
> Akzeptanz 
> > erwarten, das Publikationsverhalten der Wissenschaft zu regulieren. 
> > Aber er kann natürlich, wie es ja auch im aktuellen Strategiepapier 
> > des BMBF zur neuen Fachinformationspolitik vorgesehen ist, die 
> > Rahmenbedingungen setzen, dass solche 
> Selbstorganisationsformen nicht 
> > nur proklamiert, sondern dauerhaft tragfähig sind. Also ein, zwei, 
> > drei ganz viele MathNEts in die Welt setzen, aber sie dann, 
> dies auch 
> > als genuine Aufgabe von Bibliotheken, so unterstützen und 
> absichern, 
> > dass sie leistungsfähig und nachhaltig wirken können. RK
> > 
> > "Eberhard R. Hilf" wrote:
> > >
> > > wie kann ich mich da unterstuetzend einschalten?
> > > Alles Gute Ihr E. Hilf
> > 
> > > Subject: [ISO-8859-1] Publikationspflicht für Professoren im Netz
> > >
> > > Hallo InetBiblerInnen.
> > >
> > > Der Heise-Newsticker berichtet heute über eine Initiative der 
> > > Grünen, Professoren zur Publikation im Internet zu 
> verpflichten, um 
> > > so u.a. die Zeitschriftenkrise der Bibliotheken zu mildern.
> > >
> > > Enthalten sind auch zwei Links zu den Volltexten älterer 
> C't-Artikel 
> > > zum wissenschaftlichen Publizieren im Internet.
> > >
> > > Das ganze findet sich unter: 
> > > http://www.heise.de/newsticker/data/jk-10.11.02-003/
> > >
> > > MfG,
> > > Dennis König
> > 
> 
> -- _______________________________________________________________
> Dr. Remco van Capelleveen
> Zugangsbearbeitung / Acquisition & Cataloging / FU Webteam 
> Universitaetsbibliothek, FU Berlin, Garystr. 39, D-14195 Berlin
> Tel: +49/(0)30/8385 3644; 8385 4224 (Sekr.); Fax: 8385 3738
> URL: http://www.fu-berlin.de - http://www.ub.fu-berlin.de
> 
> 
> 
> 



Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.